Was bringt es, die Pflege aus der rechtlichen Grauzone zu rücken, wenn sich für die Betroffenen nichts verbessert?

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Warum die vom Sozialministerium und der SPÖ forcierte Legalisierung des häuslichen Pflegesystems nicht funktionieren kann: Anmerkungen eines präsumtiven Gesetzesbrechers.

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Der SPÖ ist gegen die Verlängerung der Amnestie bei nicht angemeldeter Pflege in den privaten Haushalten. Dem liegt die Vermutung zugrunde, dass dann nur länger davon Gebrauch gemacht würde. Sie hat recht. Denn das geplante System kann in der Praxis des Pflegealltags nicht funktionieren.

Freundlicherweise verbreitet diese Information das Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz selbst: Von der Webpage des Ministeriums kann man sich nämlich das Muster für einen Vertrag für Pflege im Rahmen der Gewerbeordnung herunterladen. Darin wird festgelegt, was eine Pflegerin zu tun hat. Das gehört wohl zu einem Leistungsvertrag. Aber es wird auch ausdrücklich festgehalten, was die Pflegerin nicht tun darf: Verabreichung von Medikamenten, Zahnpflege, Verabreichung von Nahrungsmitteln, Insulininjektionen, Anwendung von Inkontinenzhilfsmitteln, Vorbeugung gegen Wundliegen.

Gesellschaftsdame

Meint man das ernst? Dann geht es hier nicht um Pflege – insbesondere von hochbetagten und/oder schwer behinderter Personen – sondern um die Tätigkeit einer Hausgehilfin oder einer Gesellschaftsdame. Putzen, Kochen, Unterstützung bei der Reinigung von Händen und Gesicht und beim Fußbad, Konversation, Vorlesen, Hilfsdienste bei Hobby-Aktivitäten und gesellschaftlichen Kontakten werden als erlaubte Tätigkeiten aufgezählt.

Für die eigentliche Pflege benötigt man also weitere Kräfte, eben Pflegekräfte. Die gibt es. Von € 30 die Stunde aufwärts. Da fast alle pflegebedürftigen Personen Medikamente nehmen, müsste jede von ihnen zumindest ein Mal am Tag von einer solchen Pflegekraft besucht werden. Wer mehr als die Hilfe bei Gesichtswäsche und Fußbad benötigt oder gar gefüttert werden muss, benötigt die zusätzliche Pflegekraft jeden Tag für mehrere Stunden.

Ich gehe davon aus, dass die Regierung nicht bereit ist, diese Leistungen zu finanzieren. Da andererseits kaum jemand in der Lage sein dürfte, diese Kosten selbst zu tragen, werden die Betroffenen daher in der Regel trotz des neuen Vertrags gegen das Gesetz handeln und sich strafbar machen. Worin liegt dann aber Sinn und Wert einer solchen Legalisierung? Die SPÖ spricht davon, dass man nur wirklich gute Pflege für die Pflegebedürftigen haben will. Dazu benötigt man den Bestimmungen zufolge eine hierzulande anerkannte Ausbildung für Gesundheits- und Krankenpflege. Personen ohne diese Qualifikation sollen von diesem Bereich ferngehalten werden.

Fiktive Wahl

Der Sozialminister und die SPÖ tun also so, als könne man sich bei der Hauspflege zwischen in Österreich zugelassenen Krankenpflegern und den vor allem aus der Slowakei und der Tschechischen Republik kommenden Frauen (von denen nebstbei viele ausgebildete Krankenschwestern sind) entscheiden. Aber diese Wahl ist eine Fiktion, weil die erste Variante (s. o.) nicht zu finanzieren ist. Tatsächlich hat man nur die Wahl zwischen der Pflege zu Hause, wie sie jetzt stattfindet, und dem Abschieben in Pflegeheime. Glaubt jemand wirklich, dass die verstärkte Entscheidung für Letzteres den Betroffenen eine Verbesserung bringt, nur weil dort Pflegekräfte nach österreichischem Recht am Werk sind?

Diese Malaise gründet nicht im politischen Fehlverhalten eines Ministers oder einer Partei. Es ist de facto schlicht nicht möglich, diese Form der Pflege in die österreichische Rechts- und Sozialordnung einzufügen. Derzeit bekommen die Frauen etwas über 50 Euro plus Kost und Quartier für einen 24-Stunden-Dienst. Natürlich arbeiten sie nicht durchgehend rund um die Uhr. Aber sie müssen präsent sein. Sozialversicherung, Feiertage, Urlaub gibt es nicht. Aus guten Gründen will die SPÖ solche Arbeitsverhältnisse nicht zur gesetzlichen Norm erheben. Und aus ebenso guten Gründen will man für die eigentlichen Pflegeleistungen entsprechend qualifiziertes Personal (man stelle sich vor, in den Pflegeheimen würden diese Mindeststandards nicht eingehalten werden!). Aber: Muss man all das auch in den privaten Haushalten erzwingen?

Absurditäten

Welche Absurditäten dabei zutagetreten, zeigt eine weitere Bestimmung des Vertrages: Die Pflegerin muss ausdrücklich erklären, dass sie für ihre Tätigkeit keinen Weisungen der Auftragsgeber unterliegt. Dann wäre es nämlich ein Arbeitsvertrag und das gesamte Arbeitsrecht mit den Bestimmungen über Pausen, Urlaub, allfällige Kollektivverträge usw. müsste angewandt werden. Hier wird der Schwindel also sozusagen in den Vertrag eingeschrieben.

Die derzeitige Form der Pflege außerhalb der Rechtsordnung können sich nicht alle Haushalte mit Pflegebedarf leisten, aber doch sehr viele. Diese Hauspflege wird unfinanzierbar, wenn man sie in rechtlich einwandfreie Form bringt. In vielen Fällen wären dann nämlich nicht nur einige hundert Euro mehr notwendig, sondern – ausgehend von den durchschnittlichen Einkommen in Österreich – einige tausend.

Grenzen des Staates

Ich halte auch ganz grundsätzlich nichts davon, den Staat aufzufordern, diese Kosten zu übernehmen. Der Staat soll dafür sorgen, dass es gute Pflegeheime gibt, zu denen auch Personen ohne Vermögen Zugang haben. Wenn private Haushalte eine andere Lösung für Pflegebedarf finden, so soll man das stillschweigend akzeptieren und sich darüber freuen, dass nicht alle Pflegefälle in Heimen sind.

Natürlich ist diese Lösung nicht ideal, weil sie auf der Duldung unkontrollierter Arbeitsverhältnisse beruht. Es wird aber auch von niemandem verlangt, dass Familien für Babysitterdienste nur geprüfte Betreuer/innen einstellen dürfen und dies in einer sozialrechtlich abgesicherten Form zu geschehen habe. Das ändert allerdings nichts daran, dass in Krippen und Kindergärten nur gut ausgebildete Personen tätig sein sollen und dafür ein Einkommen gezahlt werden soll, von dem man leben kann.

Warum ausgerechnet bei der Pflege?

Es wird ja auch toleriert, dass Privatwohnungen sehr oft außerhalb der Rechtsordnung gepflegt, verbessert, umgebaut werden. Wollte man das alles verbieten, würde vieles sich zum Schlechteren wenden. Wieso sollte ausgerechnet bei der Pflege das Gegenteil der Fall sein?

Die Aufregung hatte in der zweiten Legislaturperiode der schwarz-blauen Regierung mit der Ausrufung des „Pflegenotstands“ begonnen. Für viele Familien, die es auch jetzt nicht leicht haben, beginnt der eigentliche Notstand mit dem Vollzug dieses Gesetzes. (Von Peter Lasalle, DER STANDARD, Printausgabe 30.11.2007)