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Helmut Kraft

Foto: APA/Parrigger
Wien/Innsbruck - "Ich wollte nicht mehr Gast im eigenen Haus sein." Helmut Kraft (49) verließ den vom ihm zum Vizemeister gemachten SV Ried und übernahm die nach 13 Runden offenbar hoffnungslos an letzter Stelle liegende Mannschaft von Wacker Innsbruck. Er wollte heim - zu Frau, Kind und zu einem Job, von dem man ihn drei Jahre zuvor seiner Meinung nach zu Unrecht entfernte. "Wir haben den Aufstieg geschafft, haben uns adaptiert, lagen am fünften Platz. Dann haben wir dreimal en suite verloren. Wir waren immer noch Fünfter. Zwischen dem Vormittags- und dem Nachmittagstraining wurde ich beurlaubt." Ex-Tormann Stani Tschertschessow, der jetzt Spartak Moskau coacht, wurde zum Trainer ausgerufen.

Statt drei Monate mit vollem Gehalt spazieren zu gehen, übernahm Kraft die U15 des Bundesnachwuchszentrums. Kraft: "Das hat mich immer schon interessiert, aber ich hatte nie Gelegenheit, eine Nachwuchsmannschaft zu trainieren." Heute behauptet er, mehr von den Buben gelernt zu haben als die von ihm. Kraft zog nicht die anderen für die erste negative Erfahrung seiner Trainerkarriere zur Verantwortung, sondern suchte die Gründe bei sich selbst. Kraft: "Wenn eine Türe zugeht, und ich den Kopf nicht in den Sand stecke, geht eine Türe auf. "

Das Spiel

Wacker hat seit Krafts Amtsübernahme die kriselnde Austria Kärnten beinahe eingeholt. Am Freitag um 20.30 Uhr steigt in der Wörthersee-Arena ein kritisches Match. Falls die Innsbrucker gewinnen, überholen sie die Truppe des derzeit ratlos scheinenden Walter Schachner. Kraft: "Ich bin jetzt nicht euphorisch, arbeite nicht sorgfältiger als vor drei Jahren. Ich war überzeugt, dass in der Mannschaft viel mehr steckt, als sie gezeigt hat, und ich habe recht gehabt."

Und Massel. Als er in Innsbruck einritt, kehrten mit Feldhofer und Hattenberger wichtige Männer an die Arbeit zurück. Unter Krafts Vorgänger Lars Söndergaard musste der Tscheche Václav Kolousek, teils aus Personalmangel, einmal links, einmal rechts im Mittelfeld spielen und Gegenspielern nachlaufen. "Das hasst er", sagt Kraft.

"Ich habe ihn vor der Mannschaft gefragt, was er am besten kann, und er hat gesagt: ,Hinter den Spitzen spielen'." Kolousek übernahm Verantwortung, stellte die Mimosenanfälle ein, Innsbruck hat drei- mal gewonnen, zuletzt gegen den LASK mit 2:0.

Kraft: "Sie haben heuer viel Pech gehabt, Spiele in letzter Sekunde verloren. Da tut sich jemand, wie ich, der von außen kommt und sagt, ich weiß, dass ihr bundesligatauglich seid, viel leichter."

Kraft hat bei Wörgl, Wattens oder Untersiebenbrunn sein Handwerk perfektioniert und gilt als einer der offensten und weiterbildungsfreudigsten Trainer des Landes. Die Red Zac Liga kennt er dank eigener Arbeit und will sie auch deswegen nicht als das gelobte Land des Nachwuchses preisen. Kraft: "In Österreich bewegen sich Nachwuchskicker von 15 bis 17 Jahren im geschützten Bereich der BNZ, dann kommen sie in die Red Zac, weil die Vereine wegen der Jugendquote Burschen brauchen. Die Besten schaffen es in die T-Mobile. Wir müssen auch andere Kriterien anwenden, nicht nur den Geburtsschein."

In Frankreich fliegen jedes Jahr aus jeder Nachwuchsmannschaft fünf Fußballer, weil sie die Leistungskriterien nicht erfüllen. In Österreich steigt der Bub mit 15 ein und der Aufzug trägt ihn rauf in die Bundesliga.

Kraft: "Bei Selektion und Ausbildung wird zu viel Wert auf körperliche Tests gelegt. Früher hatten wir den Ruf, kreativ zu sein, wir müssen mehr Wert auf Spielaufbau und Kombinationen legen."

Tatsächlich wirft das gut dotierte Nachwuchssystem des Fußballs vielleicht zu viele früh körperlich ausgereifte, große, brave, gut ausgebildete, vife aber uninspirierte Kicker (Typ: Johnny Ertl, Sebastian Prödl) und zu wenige witzige, wendige, einfallsreiche, spritzige Kicker (Typ: Austrias Sulimani, Rieds Hackmair) aus.

Das hängt auch mit der Qualität der Trainer zusammen. In Österreich wird es - wie in Deutschland - ehemaligen Spitzenfußballern zu leicht gemacht. Der deutsche Weltklassekicker Matthias Sammer meinte selbstkritisch, dass es besser gewesen wäre, er hätte wie ganz "normale" Kicker den vollen Lehrgang und nicht die für verdiente Ballesterer verkürzte Version absolvieren müssen.

Kraft: "In Ried beispielsweise arbeitet die Akademie eng mit der Profiabteilung zusammen. Dort sucht man gezielt, Ersatzleute heranzuziehen, wenn in absehbarer Zeit wichtige Spieler wie Brenner oder Drechsel aufhören."

Das Leiden

Das Nationalteam leide am heftigsten unter dem Mangel an Kreativen und der unterentwickelten Kombinationsfähigkeit, so Kraft: "Gegen Tunesien haben sie das erste Mal seit langem das Spiel nach vorn gebracht und den Gegner im Ansatz des Spielaufbaus gestört. Das geht natürlich gegen Frankreich nicht, weil die spielen uns schwindlig. Bei der EM werden wir trotzdem auf Konter spielen müssen. Aber langsam entwickelt sich da eine Mannschaft." (Johann Skocek, DER STANDARD Printausgabe 30. November 2007)