Afrika braucht in Sachen Aids unsere Hilfe. Das steht außer Diskussion. Sehr wohl aber stellt sich die Frage, wofür die Gelder in Milliardenhöhe eingesetzt werden sollen. Landis MacKellar plädiert dafür, mehr Geld in die Prävention und die Stärkung der Gesundheitssysteme zu investieren.

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STANDARD: Im Kampf gegen Aids fließen im Jahr etwa sieben Milliarden Dollar nach Schwarzafrika. Was haben Sie daran auszusetzen?

MacKellar: Entwicklungshilfe im Gesundheitsbereich ist großteils auf Aids festgelegt. Das Pepfar-Programm des US-Präsidenten (President's Emergency Plan for Aids Relief, Red.), das vom US-Außenamt abgewickelt wird, verfügt über 15 Milliarden Dollar ausschließlich gegen Aids. Sechzig Prozent des Global Fonds müssen gegen Aids verwendet werden. Es wird relativ zu viel gegen diese Krankheit investiert. Kommen internationale Programme mit vielen Millionen, die gegen Aids ausgegeben werden müssen, saugen sie Ressourcen anderswo ab.

STANDARD: Können Sie Beispiele dafür geben?

MacKellar: In Ruanda fehlen beispielsweise Krankenschwestern, die Babys impfen, weil sie für das doppelte oder dreifache Gehalt Aidskranke versorgen. In armen Ländern sind Ärzte, Schwestern und Spitalbetten knapp. Ein Teil der Gelder gehört in die Stärkung des Gesundheitssystems, in Impfungen, Ausbildung und Maßnahmen gegen den Braindrain der Ärzte und Schwestern.

STANDARD: Erreichen wenigstens die Aids-Programme ihren Zweck?

MacKellar: Zwischen Prävention und Behandlung stimmt die Verteilung nicht. Das Geld fließt überwiegend in Behandlungen. Eine Studie nach der anderen zeigt, dass in Behandlung gestecktes Geld 20- bis 25-mal weniger bewirkt als jenes für Prävention. Anders gesagt: Ein Dollar in der Prävention rettet bis zu 25-mal so viele qualitative Lebensjahre wie ein Dollar in der Behandlung. Aber Behandlung rettet Leben jetzt, Prävention rettet Leben in der Zukunft.

STANDARD: Warum werden diese Studien nicht beachtet?

MacKellar: Wer Zweifel an der Aufteilung zwischen Behandlung und Prävention äußert, ist schnell unten durch. Es ist nicht die Art Argument, das die Leute in der Aidslobby hören wollen. Im reichen Teil der Welt gibt es eine enorme Solidarisierung mit Menschen, die dieses schreckliche Schicksal Aids haben. Der ehemalige US-Präsident Carter hat gesagt: "Ich bin ungeduldig, ich will jetzt Leben retten." Das ist das verbreitete Gefühl in humanitären Kreisen.

STANDARD: Welche Versäumnisse gibt es in der Prävention?

MacKellar: Wird eine Schwangere als HIV-positiv getestet, und gibt man ihr während der Schwangerschaft und solange sie ihr Kind stillt Nevirapin, reduziert man die Übertragungswahrscheinlichkeit von etwa 35 Prozent auf 10 Prozent. Die ganze Behandlung kostet etwa 250 Dollar. Diese Behandlung bleibt vielen infizierten Müttern in Schwarzafrika verwehrt. Oder nehmen wir die Frage der Beschneidung. Beschnittene Männer haben eine erheblich geringere Wahrscheinlichkeit, HIV zu übertragen oder selbst angesteckt zu werden. Werbung für Beschneidung verspricht sehr kosteneffizient zu sein. Da haben wir die Schattenseite der Medikalisierung von Aids in Afrika: Ärzte und Schwestern sind ausgebildet zu behandeln, aber nicht dazu, für Prävention zu sorgen.

STANDARD: Kam Prävention nicht durch Pepfar in Verruf?

MacKellar: Gegründet auf den Fall eines einzigen Landes, nämlich Uganda, behauptet Pepfar die Wirksamkeit von Abstinenzkampagnen und hat eine Milliarde Dollar für Programme reserviert, die Abstinenz vor der Ehe predigen. Das hat den Zorn der Aidslobby entfacht, weil es als puritanisch gilt. Umgekehrt dürfen Pepfar-Gelder nicht für Kampagnen bei Sexarbeitern oder Drogensüchtigen ausgegeben werden. Dabei ist Prävention bei Hochrisikogruppen besonders kosteneffizient.

STANDARD: Warum gibt es keinen Aufschrei in Afrika?

MacKellar: HIV-Infizierte organisieren sich. Wo ist die Lobby von Jugendlichen, Sexarbeitern oder ungeborenen Kindern? Es ist schwer für Politiker, Wähler sterben zu lassen, um auf lange Sicht mehr Menschenleben zu retten. Die Tragödie in Afrika ist, dass die Verantwortlichen über Jahre nicht über Aids reden wollten, ja sogar Missverständnisse gepflegt haben, wie etwa, dass Aids eine Verschwörung der Weißen oder ein Produkt der CIA sei. Seit Gelder aus der Entwicklungshilfe und von humanitären Organisationen fließen, schmücken sich die gleichen Politiker mit Behandlungsprogrammen. Als Politiker wird man viel lieber mit dem Eröffnen von Kliniken verbunden als mit Fernsehspots über die Risiken von ungeschütztem Sex oder mit Kampagnen, die sich an Heranwachsende oder an Sexarbeiter richten.

STANDARD: Unaids hat die Schätzung der HIV-Infizierten weltweit gerade von 40 auf 33 Millionen korrigiert.

MacKellar: Dass die Zahl zu hoch war, ahnen wir seit langem. Das ändert nichts daran, dass Aids das drängendste globale Gesundheitsproblem ist. (Stefan Löffler/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1./2./12. 2007)