Wolfgang Frühwald, "Wieviel Wissen brauchen wir? Politik, Geld und Bildung". € 25/280 Seiten

Lutger Honnefelder, Matthias C. Schmidt (Hg.), "Naturalismus als Paradigma. Wie weit reicht die naturwissenschaftliche Erklärung des Menschen". € 51, 20/420 Seiten

Gottfried Boehm, "Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens". € 30,70/240 Seiten

Buchcover: BUP
Der Germanist Wolfgang Frühwald ist ein Bildungsbürger alter Schule. Von seinem Gymnasium im bayerischen Landshut kennt er die Geschichte seit dem Dreißigjährigen Krieg, als Absolvent weiß er sich in einer Reihe mit Ludwig Thoma und leider auch Heinrich Himmler. Frühwald hat Latein und Griechisch gelernt, er akzeptiert aber auch, dass in den modernen Biowissenschaften ohne das Englische heute nichts mehr zu sagen ist. In letzter Zeit mehren sich die Stimmen, die das Bildungsbürgertum zu einer bedrohten Art erklären wollen.

Da tut es gut, wenn ein Mann wie Wolfgang Frühwald sich ohne Larmoyanz anschickt, die ganze Idee von gebildeten Bürgern nochmals gründlich zu durchdenken. Er tut dies in dem Buch Wieviel Wissen brauchen wir? Politik, Geld und Bildung, das stimmigerweise in einem neuen Verlag erschienen ist, dem es durchaus als eine Art Programmschrift dienen kann: Die Berlin University Press will nämlich das Akademische mit dem Bürgerlichen versöhnen. Da passt es ganz gut, wenn mit Frühwald ein (emeritierter) Professor als neugieriger Zeitgenosse schreibt. Die schöne Literatur ist ihm keineswegs alleinige Norm, vielmehr träumt er - wie so mancher Physiker auch - von einer vereinheitlichenden Theorie: "Eine konsistente Theorie des evolutiven Wandels (...) würde nicht nur Biologie und Neurowissenschaften, Medizin und Genetik grundlegend verändern, sie würde, heißt es, wie eine universelle Säure in alle Fächer eindringen, die von den Geisteswissenschaften heute bevorzugte Memorialkultur ebenso verwandeln wie die von diesen Fächern inzwischen entwickelte kulturanthropologische Körpergeschichte."

Bildungsbürgertum, wie es von Frühwald verkörpert wird, glaubt nicht, zu allem und jedem etwas zu sagen zu haben, gibt aber die Hoffnung nicht auf, dass sich auch Fragen abstrakter und hochdifferenzierter Art auf einer Ebene verhandeln lassen, auf der das gesellschaftliche Selbstgespräch nicht zu einer Kakophonie von Experten verkommen muss. Wahrscheinlich ist dies von der Seite der Geisteswissenschaften leichter gesagt als getan, zumal die Naturwissenschaften ja ständig Forschungsergebnisse vorzuweisen haben und nicht ständig über sich selbst nachdenken müssen.

Deutlich abgeschaut

Was tut nun aber ein Buch wie dieses in einem Verlag wie Berlin University Press, von dem doch nach Maßgabe des deutlich von den angelsächsischen Universitätsverlagen abgeschauten Namens streng akademische und eher einzelwissenschaftliche Traktate zu erwarten wären? Die Antwort klingt zuerst einmal paradox: Die Berlin University Press ist kein Universitätsverlag, sondern ein ganz normaler Verlag mit intellektuellem Profil. Der Funktionär und Verleger Gottfried Honnefelder hat diesen Titel übernommen, der zu einem Zeitpunkt geschützt wurde, da die Berliner Universitäten darauf noch nicht gekommen waren - sie werden ja auch eher zur Konkurrenz als zur Kooperation gezwungen.

Inzwischen versuchen sich die Freie und die Humboldt-Universität, auch an eigenen verlegerischen Projekten. Die Trademark Berlin steht ihnen dabei aber zumindest im Titel nicht mehr zu Gebote. Man kann die Berlin University Press getrost - vom Anspruch her - als eine Provokation verstehen: Der garstige Graben zwischen unverständlichem Seminarjargon und dem populären Sachbuch soll endlich geschlossen werden.

Dass der in Wahrheit gar nicht so weit offensteht, und die deutsche verlegerische Landschaft - von C. H. Beck bis Wallstein - viel reicher ist, als Honnefelder tut, gehört zum Spiel: Marktauftritte sind selten leise. Die Berlin University Press wird an ihren Büchern zu messen sein, und da fällt an einigen zentralen Titeln des ersten Programms auf, dass es sich um Sammelbände handelt. Schon Wolfgang Frühwalds Texte wurden aus Organen wie Physik Journal, Theologie der Gegenwart, Nova Acta Leopoldina oder der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie zusammengetragen. Der vom Titel wie vom Großformat her starke Auftritt der Publikation Naturalismus als Paradigma. Wie weit reicht die naturwissenschaftliche Erklärung des Menschen? verdankt sich einer Tagung, die das Guardini Kolleg 2005 an der Humboldt-Uni veranstaltete. Der Schwerpunkt lag dabei auf einem ganzheitlichen Ansatz: Die Frage nach "Lebewesen und Person" wurde von Philosophen und Theologen, Medizinern und Ethikern bis in die Verästelungen des "naturalistischen" Diskurses verfolgt. Unweigerlich stellt sich dabei der schalen Nachgeschmack ein, den viele Bücher haben, die Tagungen dokumentieren: Sie erzeugen wenig Reibungsenergie, weil ja schon die Referenten so ausgesucht wurden, dass möglichst viele Standpunkte zu Wort kommen, gleichzeitig aber ein homogenes Feld repräsentiert wird.

Hier dominiert ein christlich-per-sonalistisches Menschenbild noch durch die Molekularisierung hindurch, es wird gerade angesichts der ausführlich behandelten Grenzfälle und Krankheitsbilder noch bekräftigt: "Der Vergleich der Theologie als einer praktisch-hermeneutischen, auf das seelsorgerliche Handeln ausgerichteten Wissenschaft lässt besonders deutlich hervortreten, weshalb auch die Medizin als eine praktisch-hermeneutische Disziplin zu stehen kommt", so der Theologe Wilhelm Gräb in seiner Abschlussreflexion. Hier gerät auch das Programm der bup an eine Grenze. Denn die Theologie hat zwar traditionell die gewichtigsten, aber auch die am schwierigsten zu kommunizierenden Argumente gegen einen forcierten Naturalismus - das mag sich eine religionsphilosophische Tagung lang ausklammern lassen, die Fronten dieser vor allem in den USA stark ideologisierten Angelegenheit werden aber auch hier allenthalben deutlich.

In der von Selbstzweifeln und Exzellenzeuphorie gebeutelten deutschen Uni-Landschaft wird immer wieder bemängelt, dass zwischen Lehre und Forschung, Sitzungen und Tagungen kaum mehr Zeit für das große intellektuelle "opus magnum" bleibe. Die Berlin University Press entwirft sich als (künftiger) Ort für derlei Anstrengungen, schon jetzt genügen die Bücher einem höheren Haltbarkeitsanspruch als die Theorie- Paperbacks, mit denen sich die ersten Generationen an den Massen-Unis durchschlugen.

Der Sammelband Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens von Gottfried Boehm dokumentiert vielleicht am besten, auf welchen Standards eine vereinheitlichende Theorie aufbauen müsste, wenn sie nicht nur auf Sprache und übersetzte Formel setzen will - der "pictorial turn" ist zwar nicht mehr der letzte Schrei, dahinter zurück geht es aber nicht mehr. In der Auseinandersetzung mit moderner Kunst lässt sich lernen, wie man "die Unähnlichkeit, den Einspruch und die Negation des Abstrakten, Befremdlichen und Unsichtbaren aushält. Wer diese Erfahrung macht, wird mit sich selbst vertraut, indem er sich einer möglichen Welt zuwendet." (Bert Rebhandl /DER STANDARD, Printausgabe, 1./2.12.2007)