Kurt Widhalm: "Dass Fleisch durch moderne Fütterungsmethoden ein günstiges Fettsäuremuster besitzt, muss ich bestreiten."

Foto: Standard/Hendrich

Meinrad Lindschinger: "Man kann es sich nicht so einfach machen und Fleisch als alleinigen Sündenbock hinstellen."

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Ist Fleisch überhaupt gut? Und was machen wir mit tierischen Fetten? Andreas Feiertag diskutierte mit den Ernährungsmedizinern Meinrad Lindschinger und Kurt Widhalm über des Österreichers Lieblingsspeise.

STANDARD: Angesichts des zunehmenden Problems Adipositas wird wieder vor Fleisch und tierischem Fett gewarnt. Was soll der Esser davon halten?

Lindschinger: Prinzipiell ist Fleisch nicht mit tierischem Fett gleichzusetzen. Es macht - mäßig genossen - nicht dick und wird sogar in der Reduktionskost eingesetzt. Fleisch, etwa Filet, Kotelett, Schinken, Schnitzel, ist generell ein mageres Lebensmittel. Meist ist aber die Zubereitung des Fleisches für den hohen Fettgehalt der Fleischspeise verantwortlich.

Neben der in Österreich generell zu hohen Fettzufuhr - dies trifft auch auf pflanzliche Fette zu - sind vor allem der hohe Konsum von Süßem, der Mangel an Obst und Gemüse sowie der Bewegungsmangel für inadäquate Ernährung und das massive Ansteigen der Adipositas verantwortlich. Und hier müssen wir ansetzen.

Widhalm: Die Aussage, Fleisch sei prinzipiell nicht mit tierischem Fett gleichzusetzen, ist missverständlich. Fleisch enthält natürlich tierisches Fett. Aber dass Fleisch, mäßig genossen, nicht dick macht und auch zur Reduktionskost eingesetzt werden kann, ist richtig. Es kommt jedoch immer darauf an, welches Fleisch man isst und welche Zutaten dazu verzehrt werden.

Lindschinger: Natürlich. Hier sollte man zur Vermeidung von Missverständnissen auch ganz klar feststellen, dass man unter Fleisch nur den Anteil an verzehrbarem Muskelfleisch versteht und keinesfalls Speck, fette Würste, Wiener Schnitzel und Ähnliches.

STANDARD: Das Wiener Schnitzel steht bei den Essgewohnheiten der Österreicher aber ganz oben. Das pure Gift?

Lindschinger: Natürlich nicht, wenn es mäßig genossen wird. Aber Sie sprechen ein weit verbreitetes Problem an: Erst durch teils traditionelle Zubereitungsmethoden wie das Frittieren in heißem Frittierfett kommt eben dieser ungesund hohe Fettgehalt in der Fleischspeise zustande.

STANDARD: Warum nicht überhaupt auf Fleisch verzichten?

Lindschinger: Fleisch ist ein Lebensmittel mit hoher Nährstoffdichte. In unserer Zeit haben sich Nährstoffbedürfnisse ganzer Bevölkerungsgruppen radikal geändert. Nehmen wir eine durch Beruf, Haushalt und Familie mehrfach belastete Frau, die aufgrund Zeitmangels zu wenig körperlich aktiv ist. Sie hat ein deutlich reduziertes Energiebedürfnis, aber wegen der Belastung erhöhten Mikronährstoffbedarf.

So sollte sie wenig mit viel Inhalt essen. Untersuchungen an unserem Institut haben gezeigt, dass gerade diese Gruppe besonders zu Defiziten an Mikronährstoffen neigt, daher Lebensmittel mit hoher Nährstoffdichte und hoher biologische Wertigkeit konsumieren sollte - dazu gehört Fleisch.

Widhalm: Fleisch, vor allem mageres, enthält ohne Zweifel hochwertige Nährstoffe, Eiweiße, Vitamine, Spurenelemente und etliches mehr. Allerdings enthält Fleisch auch Fett, vor allem in Form von gesättigten Fettsäuren. Wie Daten des Österreichischen Ernährungsberichtes zeigen, ist die durchschnittliche Versorgung der heimischen Bevölkerung mit Eiweiß hoch, ebenso ist die Zufuhr von Fett deutlich über der wünschenswerten Menge. Daraus folgt eindeutig, dass der Fleischkonsum keineswegs erhöht werden sollte.

Im Gegenteil sollte der Verzehr von Fleisch eher reduziert werden. Das ändert freilich nichts an der ernährungsphysiologischen Bedeutung von Fleisch. Ich möchte noch einmal festhalten, dass für schlanke, sportlich tätige Menschen ein regelmäßiger, aber mäßiger Konsum von magerem Fleisch ohne energiereiche Saucen und Beilagen kein Problem darstellt. Es ist aber auch in der wissenschaftlichen Literatur unbestritten, dass Menschen, die sehr wenig Fleisch essen, nicht a priori an Defiziten im Mikronährstoffbereich leiden.

STANDARD: Gesättigte Fettsäuren, also Fleisch, liefern zwar viel Energie, sind jedoch nicht essenziell. Und sollen sich negativ auf Cholesterinhaushalt und Gefäßregulation auswirken, Herz-Kreislauf-Erkrankungen fördern. Ungesättigte Fettsäuren hingegen, also pflanzliche Öle, sollen gesundheitsfördernd sein. Stimmt's?

Lindschinger: Es stimmt nicht, dass im Fleisch nur gesättigte Fettsäuren vorkommen. Im Gegenteil. Mit neuen Fütterungsregimen konnten Veterinäre nicht nur die Tiergesundheit erhöhen, sondern auch deren Fettsäuremuster ändern. Besonders in der Schweinezucht hat sich das Fettsäuremuster nachhaltig positiv verändert hat. Herz-Kreislauf-Leiden wegen erhöhten Cholesterinspiegels sind leider ein großes Problem.

Die Ursachen sind aber mannigfaltig und multifaktoriell, reichen von genetischen Faktoren über Adipositas, Zigarettenrauch und Bluthochdruck bis zu Stress und mehr. Deshalb muss dieser Symptomenkomplex auch multifaktoriell behandelt werden. Man kann es sich daher nicht so einfach machen und Fleisch als alleinigen Sündenbock hinstellen. In eigenen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass die Verwendung von magerem Fleisch in einer cholesterinsenkenden Ernährung sogar positiven Einfluss auf den Cholesterinspiegel hatte.

Widhalm: Dass Fleisch durch neue Fütterungsmethoden ein günstiges Fettsäuremuster besitzt, muss ich bestreiten. Mittelfettes gekochtes Rindfleisch enthält etwa vier Gramm gesättigte, nur 0,4 Gramm mehrfach ungesättigte und 4,2 Gramm einfach ungesättigte Fettsäuren. Selbst magerstes Rinderfilet enthält 1,8 Gramm gesättigte Fette, 1,7 Gramm einfach ungesättigte und 0,2 Gramm mehrfach ungesättigte Fette.

100 Gramm mageres Rinderfilet haben damit einen Gesamtfettgehalt von 3,7 Gramm, was bereits 28,4 Prozent des Gesamtenergiegehaltes ausmacht. Fettere Fleischsorten haben naturgemäß einen höheren Fettgehalt und liefern dadurch dem Körper auch wesentlich mehr tierische Fette, die zweifelsohne keine günstige Wirkung auf den Stoffwechsel haben.

Lindschinger: Die Diskussion über das Fettsäuremuster würde diesen Rahmen sprengen. Man muss jedoch auch andere Fleischsorten als Rind und neue Studien anschauen, aus denen hervorgeht, dass die Haltung von Rindern in Dauergrünflächen die Fettsäuren nachhaltig günstig verändern. Sicher ist, dass ein Lebensmittel mit 3,7 Prozent Fett pro 100 Gramm nicht fett ist und daher keine Bedrohung darstellt.

STANDARD: Und wie entgeht man der wahren Bedrohung?

Lindschinger: Fett macht dick, im Übermaß auch krank, egal, ob es tierischer oder pflanzlicher Herkunft ist. Daher sollten wir alles daran setzen, den Fettanteil auf das notwendige Maß zu senken, um dadurch ernährungsabhängige Erkrankungen zu vermeiden. Aber gänzlich ohne Fette können wir nicht leben. Etwa 25 Prozent der notwendigen Tagesenergie sollten in Form von Fetten aufgenommen werden.

Angefangen beim Vitaminstoffwechsel bis hin zu Zellmembranen, Hormonen, als Bau- und Speicherfett haben Fette lebenswichtige Funktionen. Aber auch hier kommt es auf die richtige Menge und Mischung an. Auch sollte man Zubereitungsarten wählen, die kein oder kaum Fett brauchen, etwa Dampfgarmethoden. Um sein Fettsäuremuster neben mäßig tierischen Produkten zu vervollständigen, sollte man Salate mit hochwertigen Pflanzenölen, etwa Raps-, Distel- oder Olivenölen, marinieren.

Zwei Dinge scheinen mir aber ganz entscheidend zu sein. Erstens: Lebensmittel erfüllen in richtiger Zusammenstellung aufgrund ihrer Inhaltsstoffe bestimmte Funktionen im Körper. Zweitens: Es gibt unterschiedliche Nährstoffbedürfnisse einzelner Bevölkerungsgruppen, auf die man bei Empfehlungen Rücksicht nehmen muss und kann. Das ist das neue Konzept des "Functional Eating". Ernährungsempfehlungen müssen neben der Evidenzbasiertheit auch in der Familie, im Beruf, in der Freizeit, in allen Lebenssituationen praktisch durchführbar sein.

Widhalm: Ernährungsempfehlungen auf wissenschaftlicher Basis, die für den Großteil der Bevölkerung Gültigkeit haben sollen, sind äußerst problematisch. Es kommt entscheidend darauf an, wie schwer man ist und welcher Tätigkeit man nachgeht. Da aber ein sehr großer Teil der österreichischen Bevölkerung an Übergewicht oder an Fettsucht leidet, muss man aus gesundheitspolitischen Überlegungen zunächst dieses Segment der Bevölkerung mit spezifischen Empfehlungen für eine gesunde Ernährung ansprechen.

STANDARD: Und wie sehen diese Empfehlungen aus?

Widhalm: Für jenen Bevölkerungsteil, der an Übergewicht beziehungsweise Fettsucht leidet, gibt es klare evidenzbasierte Empfehlungen. Diese sind auf der sogenannten Gesund-leben-Pyramide gut dargestellt. Dabei ist kein Lebensmittel verboten, jedoch neben täglicher körperlicher Aktivität sollen häufig verzehrt werden: Obst, Gemüse, Vollkornprodukte, fettarme Milchprodukte und Käse. Fettarmes Fleisch jedoch nur zwei- bis dreimal pro Woche.

Natürlich sind hier individuelle Bedürfnisse zu berücksichtigen. Und generell gilt: täglich Bewegung, viel Flüssigkeit, Getreideprodukte und Kartoffeln als Basis, reichlich Obst und Gemüse, tierische Lebensmittel in Maßen, pflanzliches vor tierischem Fett, Süßigkeiten sparsam, öfter kleine Mahlzeiten, Essen ohne Nebenbeschäftigungen, und es gibt keine Verbote. Wir empfehlen sogar täglich ein Achtel Rotwein. Aber eben nicht mehr. Denn es kommt bei allem immer auf die Menge an. (Andreas Feiertag, MEDSTANDARD, 03.12.2007)