Foto: Martin Fuchs
Die Situation spiele auf der Intensivstation. Das ist alles, was der Dozent seinen 14 Studierenden verrät. Sie befinden sich auf der Psychiatrie des AKH und warten auf die Schauspielerin, die eine Patientin mimen soll. Eine Studentin übernimmt die Rolle der Ärztin.

Die "Ärztin" verzweifelt

Die Schauspielerin kommt, begrüßt ihre vorgebliche Ärztin und fragt: "Sind Sie es, Frau Doktor Trifunovic?" Nein, sagt die Studierende und will klarmachen, dass sie eine Kollegin ist. Gelingt ihr aber nicht. Die gespielte Patientin fährt fort, sagt, dass sie jetzt zur Ernte müsse, jede Hand würde gebraucht, und lässt nicht locker. Die Studentin in der Rolle der Ärztin verzweifelt, dringt einfach nicht durch und schreit schließlich mit einem Blick zum Dozenten: "Genug!"

Verwirrte Patienten

Situationen wie diese finden im Krankenhausalltag genau so statt, und weil junge Ärzte darauf nicht vorbereitet sind, hat Gerhard Lenz das "Explorationspraktikum mit simulierten Patienten" an der Med-Uni Wien ins Leben gerufen. Was Studierende lernen: Situationen wie diese zu analysieren, und zwar zuerst auf der "Beziehungsebene".

Schwierig, den Zugang zu finden

Die Schauspielerin meint, sie hätte sich in der Situation mit der Ärztin wohlgefühlt. Der Studentin in der Rolle der Ärztin ist die Situation aber wesentlich schwerer gefallen. Es sei schwierig gewesen, Zugang zu der offenbar verwirrten Patientin zu finden.

Auf Intensiv- oder Geriatriestationen, erklärt Lenz, sei das oft so. Wichtig seien der "Inhaltsaspekt" und die möglichen Gründe: Kann es Dehydrierung sein? Welche Formen des Deliriums gibt es?

Erstmals Zeit dafür

So haben es Studierende noch nie betrachtet. Erst vor wenigen Wochen hat eine der Anwesenden ihr Pflichtpraktikum im Spital absolviert. "Da fehlte die Zeit, über das Erlebte zu sprechen." Während ihrer Famulatur hätte sie so gerne noch erfahren, wie es Ärzte und Schwestern schaffen, sich vom Leid ihrer Patienten nicht mitreißen zu lassen, ohne ihre Fähigkeit zu Empathie zu verlieren. In dieser Lehrveranstaltung, die einmal im Semester mit drei Schauspielern stattfindet, habe man erstmals Zeit dafür.

Schattendasein Kommunikation

Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient spielte im Medizinstudium lange ein Schattendasein. In englischsprachigen Ländern ist Gesprächsführung seit Jahrzehnten im Curriculum verankert, in Österreich erst seit 2002. Wer dem neuen Studienplan folgt, wird ab dem dritten Semester immer wieder mit diesem dritten Pfeiler neben Diagnose und Therapie konfrontiert.

Für die meisten der hier versammelten Studierenden - elf Frauen und drei Männer - gilt noch die alte Studienordnung. Neben Medizinischer Psychologie, seit 1981 Pflichtfach, ist das Explorationspraktikum die einzige Chance, sich im Studium mit Gesprächsführung zu befassen.

Schauspielende Profis

Dass die angehenden Ärzte und Ärztinnen mit Schauspielern üben, die Patientenrollen einstudiert haben, hat Gerhard Lenz in England abgeschaut und vor zehn Jahren in Wien eingeführt. Eine der Mimen, Eva Lindner, ist von Anfang an dabei und wollte ursprünglich sogar selbst einmal Medizin studieren. Für den Explorationskurs hat Lindner anderthalb Jahre als Gasthörerin in der Psychiatrie Lenz und dessen Kollegen begleitet.

Die schwierige Patientin

Was sie beobachtet hat, bildet die Grundlage für die Depressive, die Schizophrene oder die geistig Verwirrte, die sie im Explorationspraktikum spielt. Inzwischen tritt sie auch in Weiterbildungen auf, die eine Pharmafirma niedergelassenen Ärzten anbietet. Dort gibt Linder "die schwierige Patientin".

Abschauen von älteren Kollegen

"Heute praktizierende Mediziner haben Gesprächsführung fast ausschließlich durch Abschauen von älteren Kollegen gelernt", so Michael Musalek, der heute seine Kollegen in Kommunikation unterrichtet: "Vergessen wir nicht, dass der Patient die Qualität seines Arztes nicht über Fachkompetenz beurteilt. Das geht über Sympathie, über Vertrauen, über die interaktionelle Kompetenz."

Verstehen ist selten Thema

Der Wiener Psychiater hat oft beobachtet, dass Ärzte nicht darauf achten, wann und wie sie Patienten etwas mitteilen. Ob Gesagtes auch verstanden wird, ist selten ein Thema. Zuwendung kriegen aber auch eher die Falschen, fürchtet Musalek: "Der fordernde Patient bekommt in der Praxis die meiste Aufmerksamkeit, depressive am wenigsten."

Ärzte-Sprech

Das Lieblingsmotto vieler Ärzte laute: "Die Medizin wäre schön, gäbe es nur die Patienten nicht", schreibt der deutsche Journalist und frühere Spitalsarzt Werner Bartens. Sein "Ärztehasserbuch" (Knaur 2007) pflastert er mit Belegen für mangelndes Feingefühl: "Sie sind eine Risikoschwangere, das wissen Sie?" Oder für die nebenan wartenden Patienten unüberhörbar: "Sie bekommen diese Analwarzen nicht anders weg!"

Wir lernen systematisch uns unverständlich auszudrücken

Bartens Abrechnung wurde zum Bestseller. Ebenfalls erfolgreich in diesem die Sprachverwirrung in der Medizin aufs Korn nehmenden Genre ist Eckhard von Hirschhausens Wörterbuch "Arzt-Deutsch/Deutsch-Arzt" (Langenscheidt 2007). "Wir lernen systematisch Latein und damit uns unverständlich auszudrücken", sagt der gelernte Mediziner und heutige Fernsehkabarettist, "aber es gibt auch Patienten, die stehen darauf."

Der gute Arzt

Ein guter Arzt versteht es im Gespräch mit Patienten, Symptome zu erkennen, richtig zu deuten und schwierige medizinische Sachverhalte für Laien verständlich zu erklären. An der Med-Uni Wien gibt es Kurse zu dem Thema. (Stefan Löffler, MEDSTANDARD, 03.12.2007)