Ein in Schweden bekannter Ex-Nazi und verurteilter Mörder bildet sich seit dem Semesterbeginn im September in Stockholm zum Arzt aus. Er hatte davor acht Jahre im Gefängnis gesessen. Die verspätete Meldung über die Zuweisung eines der begehrtesten Studienplätze im Lande an einen Mörder bringt das ganze Land in Aufruhr.

Der 31-jährige, aus der Oberschicht von Stockholm stammende Mann wurde Anfang 2000 wegen Mordes zu elf Jahren Haft verurteilt. Zusammen mit einem Komplizen hatte der Neo-Nazi 1999 den linken Gewerkschafter Benny Söderberg vor dessen Wohnung mit sechs Schüssen in den Kopf hingerichtet. Es war ein Rachemord: Söderberg hatte bewirkt, dass ein rechtsextremer Arbeitskollege die Gewerkschaftsvertretung seines Betriebs verlassen musste. Die kaltblütige Tat führte zu Massenkundgebungen gegen den rechten Terror.

Heuer im Februar wurde der Häftling auf Bewährung entlassen und bewarb sich mit seinen guten Schulnoten für den Medizinstudiengang in Stockholm. Mit 130 Kommilitonen büffelt der Mörder nun am renommierten Karolinska Institut (KI) für die Erstsemesterprüfungen.

Das KI gilt als die Eliteschule des Nordens für die Ausbildung von Ärzten. Jedes Jahr schließen hier rund 250 Ärzte ab. Das KI vergibt auch den Nobelpreis in Medizin. Wer hier aufgenommen werden möchte, muss nicht nur Bestnoten haben. Die Bewerber müssen auch die für den Arztberuf entsprechenden "soziale Fähigkeiten, Reife und Stressresistenz" mit sich bringen. Die Eignung wird durch einen schriftlichen Aufsatz der Bewerber über ihre Lebensgeschichte überprüft.

Danach folgt ein 45 Minuten langes Eignungsgespräch. Der Mörder erwähnte seine Verurteilung nicht. Erst später wurde seine Tat durch Zufall bekannt.

Aber die Universität blieb tolerant. "Im September bekam ich zwei anonyme Briefe, die mich darüber informierten, dass er verurteilt war", sagt KI Rektorin Harriet Wallberg-Henriksson. "Wir diskutierten daraufhin mit der Polizei die Sicherheitsrisiken."

"Ethisches Dilemma" Aber weder die Verurteilung noch die Tatsache, dass der Student sie nicht erwähnt hatte, waren für einen Ausschluss ausreichend. "Wir haben kein Recht, jemanden zu exmatrikulieren, weil er im Gefängnis gesessen hat", sagt die Rektorin. Sie könne aber verstehen, wenn die Öffentlichkeit das als problematisch ansehe.

"Es ist ein ethisches Dilemma: Wann soll jemand eine zweite Chance im Leben bekommen?", fragt Harriet Wallberg-Henriksson in der Zeitung Dagens Nyheter. Ist Schweden zu tolerant geworden?, fragen sich nun die Kritiker.

Der christdemokratische Sozialminister Göran Hägglund drückte seine Missbilligung aus. Ein solcher Mensch dürfe nicht Arzt werden. Der liberale Hochschulminister Lars Leijonborg dagen meint, der frühere Häftling verdiene eine Chance. "Im Rechtsstaat ist es grundlegend so, dass das Verbrechen nach der verbüßten Strafe als gesühnt betrachtet wird", sagte er. Der Student selbst bat die schwedischen Zeitungen, seinen Fall zu verschweigen. "Ich muss doch irgendwann weiterkommen mit meinem Leben", sagte er.

Und selbst bürgerliche Zeitungen schreiben: "Warum soll ein Mörder, der seine Strafe abgesessen hat, nicht Arzt werden dürfen?" Ein Mörder könne klug, logisch, mutig und ehrgeizig sein, schrieb eine Kommentatorin der Boulevardzeitung Expressen. (André Anwar aus Stockholm/DER STANDARD – Printausgabe, 4.12.2007)