Das Wiener AKH ist medizinisch erstklassig. Es ist als Gebäude wenig erfreulich, weder für die Patienten noch für die Mitarbeiter, die von Lärm, schlechter Luft und Mangel an Tageslicht geplagt werden. Aber es ist als medizinische Institution im Großen und Ganzen vertrauenswürdig und leistungsfähig.

Wie in jeder Großinstitution (oder auch in jeder mittleren und kleineren Bude) gibt es Machtkämpfe, Intrigen und persönliche Animositäten. Die kamen nun zum Ausbruch, anlässlich des unklugen privaten Verhaltens eines führenden Intensivmediziners. Ob er zu Recht als Leiter der Anästhesie und Intensivmedizin gefeuert wurde, kann hier nicht zweifelsfrei entschieden werden. Der Fall wirft aber verschiedene Grundsatzfragen auf, die teils mit populistischem Furor ("Ärzte-Stars verdienen hunderttausende Euro!"), teils mit echter Sorge um den Zustand und die Entwicklung unseres Gesundheitswesens gestellt werden.

Dieses Gesundheitssystem ist sehr teuer (wenn auch bei weitem nicht so teuer wie etwa das weitgehend privatisierte der USA) und wird immer teurer. Die Kassen von Wien und Niederösterreich stehen ohne Steuergeldzuschuss vor der Zahlungsunfähigkeit.

Das ist unter einem gewissen Blickwinkel ein gutes Zeichen. Unser großteils sozialisiertes Gesundheitssystem versorgt nahezu hundert Prozent der Bevölkerung ohne Rücksicht auf deren Einkommen und Vermögenslage mit einem ziemlich hohen und aktuellen Standard der Medizin. Wieder der Vergleich mit den USA: Behandlungen, die dort für eine Mittelstandsfamilie den Bankrott bedeuten können, werden hier zum Sozialtarif ausgeführt.

Einerseits ist das Gesundheitssystem also eine soziale Errungenschaft. Andererseits gestattet es hochspezialisierten Fachkräften - auch "Götter in Weiß" genannt - sehr viel zu verdienen.

Der Verdienst der Star-Ärzte macht aber nur einen Bruchteil der Gesundheitskosten insgesamt aus. Überdies dienen sie meist mindestens zehn Jahre als mittel bezahlte Spitalsärzte, bis sie zur Spitze vorstoßen, mit lukrativen Privatpatienten. Nimmt man ihnen diese Möglichkeit - angestellt sein am Spital, dort aber auch Privatpatienten behandeln -, werden sie nicht ins Ausland flüchten, aber vielleicht ganz in Privatkliniken abwandern, um reiche Russen zu behandeln.

Unser jetziges System - Spitzenärzte werden in öffentlichen Spitälern ausgebildet und nutzen deren Infrastruktur auch zur Behandlung von Privatpatienten - ist natürlich ständig der Missbrauchsgefahr ausgesetzt. Aber es gibt derzeit kein Besseres. Der Punkt ist die Verhältnismäßigkeit. Ein Abteilungschef muss nicht bei jeder Visite sein, er muss aber seine Abteilung wirklich leiten.

Ein zweites Thema: Etliche Spitzenärzte sind beteiligt an privaten Forschungsfirmen, die mit Drittmitteln (zum Teil von Sponsoren, zum Teil von der interessierten Medizinindustrie) arbeiten. Sie nutzen auch die Infrastruktur des öffentlichen Spitals, zum Teil sogar das "Patientengut" und werden reich, wenn tatsächlich eine neue Behandlungsmethode gefunden wird. Andererseits profitiert aber auch das Spital und das Gesundheitssystem insgesamt davon - wenn entsprechend gute Verträge geschlossen wurden.

Einige Ärzte verdienen sehr viel (so viel wie schlechte Fußballer). Aber im Gesamtkomplex Gesundheitssystem ist das ein zweitrangiges Thema. (Hans Rauscher/DER STANDARD – Printausgabe, 4.12.2007)