Am Anfang von früher: Linzer Punks warten in den 80ern vor dem Veranstaltungslokal Kapu auf den Beginn eines Konzerts.

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Andreas Kump, 39, Autor von "Es muss was geben".

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Eine grandiose Chronik im Zeichen von Selbstermächtigung, bunten Haaren – und dem Mut der Verzweiflung.

Wien – Die Aneignung von Popkultur war und ist in Österreich ein problematisches Thema. Bis heute wird – mit wenigen Ausnahmen – nachgestellt, was in den Popmetropolen vorgemacht wird. Das ist insofern legitim, als Popkultur ihrem Wesen nach eine Mischung aus Reflexion und Einfluss ist.

Nur ist Reflexion hierzulande keine besonders beliebte Disziplin, was erklärt, warum es meist beim Kopieren bleibt. Das eigene Zutun beschränkt sich auf das Angleichen des Ausgangsmaterials und der Fremdideen auf "heimische Verhältnisse", was fälschlicherweise als eigene Identität und Leistung verhandelt wird. 95 Prozent des sich deshalb zu Recht als klein empfindenden Austro-Pop – Stichwort: "Weltberühmt in Österreich" – sind so entstanden. Andreas Kump erzählt in seinem Buch Es muss was geben – Die Anfänge der Alternativen Musikszene in Linz eine andere Geschichte, eine der Selbstermächtigung. Mit einer chronologischen Komposition von Gesprächsprotokollen mit den Protagonisten der in den späten 70er-Jahren in Linz unter dem Eindruck von Punk entstandenen Szene entwickelt er die Geschichte einer Kultur, die buchstäblich aus dem Nichts kam.

Daraus etablierte sich die neben Wien wichtigste Subkultur-Zelle Österreichs, die mit Bands wie Attwenger, den experimentellen Grenzgängern Fuckhead, dem Elektronikmusiker Fadi Dorninger, den Hardcorlern Valina, den HipHoppern Texta und auch Kumps eigener Band Shy längst auch international bekannte Aushängeschilder besitzt.

Soziales Modell

Was war damals das Besondere an Linz? Andreas Kump: "Es bestand für junge Menschen überhaupt kein kulturelles Angebot. Also gab es die Notwendigkeit, eigene Strukturen zu schaffen. Die Geburt der Szene war dazu von Einzelpersonen geprägt, die stark aufklärerisch veranlagt waren und ein Bewusstsein hatten, wie man Sachen verwirklicht. Dabei ist es nicht nur um Musik gegangen, sondern auch darum, ein soziales Modell zu errichten." Diese Geburtshelfer, darunter die Schauspielerin Sophie Rois, kommen in Es muss was geben zu Wort. Entstanden ist so die stark anekdotische Chronik einer Szene, die sich auch als Dokumentation großer Naivität und sympathischer Irrtümer erweist.

Kump: "Es geht um das Einfangen des Gefühls einer Aufbruchsstimmung, die heute kaum mehr möglich ist, weil es derlei hermetische Szenen mit so geringem Informationspotenzial wie damals nicht mehr gibt. Während man heute mittels Mausklick Zugang zu fast allen Informationen hat, tappten viele damals vollkommen im Dunkeln."

Dieses permanent leicht ohnmächtige "Es muss was geben"-Gefühl bringt eine Aussage des jungen Musikers Rainer Krispel auf den Punkt: "Ich wollte unbedingt Punk sein – was immer das auch bedeutete."

Ein ähnliches Buch veröffentlichte 2002 der deutsche Autor Jürgen Teipel: die mittlerweile sogar verfilmte Rekonstruktion Verschwende deine Jugend, die die alternative deutsche Musikszene zur selben Zeit aufarbeitete. Kump: "Der Auslöser für mich war Billy Grahams presents, ein Buch über den berühmten US-Konzertveranstalter Billy Graham. Das hat mir vorgezeigt, dass man so eine Geschichte vollkommen unkommentiert aufzeichnen kann. Mit all ihren kleinen Widersprüchen, die sich ohnehin von selbst filtern oder auch einen eigenen Charme entwickeln."

Besteht da die Gefahr der nostalgischen Verklärung? Kump: "Die besteht absolut. Das Buch heißt aber Es muss was geben und nicht Es hat etwas gegeben. Ich sehe es als nach vorne gerichtetes Werk. Markus Binder von Attwenger sagt darin auch, dass man aufpassen müsse, dass man das Eigene nicht zu super findet. Das hab ich sehr ernst genommen."

Entstanden ist so eine wundersame und auch so bebilderte Kultur- und Erfolgsgeschichte der Stahlstadtkinder, die ihre aus dem Nichts selbstgenerierte Kultur, ein rares Beispiel von Einfluss und Reflexion, bis heute weiterführen. Dass das erste österreichische Buch dieser Art ausgerechnet aus Linz kommt, ist da nur logisch und konsequent. (Karl Fluch, DER STANDARD/Printausgabe, 05.12.2007)