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Starrer Kurs, enger Blick: EZB-Chef Trichet aus der Sicht seines Kritikers im Elysée-Palast.

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Ex-Banker Manfred Dennig: "Es darf gefragt werden, wie weit die Festlegung auf den absoluten Vorrang der Geldwertstabilität der heutigen Lage Europas und der Weltwirtschaft noch angemessen ist."

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Der Vorschlag des französischen Präsidenten Sarkozy, die Europäische Zentralbank stärker in die - politisch bestimmte - Wirtschaftpolitik der Europäischen Union einzubinden, ist auf einhellige Ablehnung gestoßen. Niemand soll die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank antasten. Einverstanden. Wo immer auf der Welt die Politik sich in die Gestion der Notenbank eingemischt hat, waren die Ergebnisse desaströs.

Aber der Vorschlag von Sarkozy zielte auf mehr. Ihm ging es außerdem um eine inhaltliche Diskussion der derzeit von der EZB verfolgten Linie, sich allein auf die Erhaltung der Geldwertstabilität zu konzentrieren und dafür notfalls die Zinsen weiter anzuheben.

Nun ist der einseitige Vorrang der Geldwertstabilität derzeit ausdrücklich festgeschrieben. Trotzdem darf gefragt werden, wie weit diese Festlegung der heutigen Lage Europas und der Weltwirtschaft noch angemessen ist

Die wichtigsten Notenbanken der Welt verfolgen derzeit unterschiedliche Ziele. Die Federal Reserve der USA bekennt sich auch zu einer Mitverantwortung für Konjunkturgeschehen und Beschäftigung. Und die Notenbanken Japans und Chinas achten darauf, dass der Wechselkurs ihrer Währungen nicht zu rasch steigt, um Beschäftigung und Konkurrenzfähigkeit ihrer Exportindustrie zu sichern.

Merrill Lynch nannte dieses Verhalten bereits 2003 die "Mutter aller Absatzfinanzierungen". Seither wurden die Ungleichgewichte im Welthandel nur noch größer, doch die Strategie beider Zentralbanken hat sich trotz enormer und im Fall Chinas weiter steigender Handelsbilanzüberschüsse nicht geändert.

Mit anderen Worten: Die wichtigsten Notenbanken der Welt handeln nach völlig unterschiedlichen Spielregeln. Das Dilemma wird verschärft durch die immer stärkere Reaktion der Märkte auf Zinsdifferenzen. Höhere Zinsen in stabilen Regionen führen heute vor allem dazu, dass die Devisenspekulation in sogenannten Carry-Trades die Währungen von Niedrigzinsländern verkauft, um in Hochzinsländern zu veranlagen. Dadurch wird der Kurs von Währungen wie etwa dem Yen noch mehr gedrückt und der Euro noch höher getrieben. Und weil die Fed unter Druck steht, die Zinsen weiter zu senken, ist der Euro gegenüber dem Dollar in den letzten Wochen immer stärker geworden.

Mit steigendem Euro-Kurs sinken die Importpreise. Wie schön, wenn der hohe Ölpreis auf Dollarbasis berechnet wird. Aber zugleich bekommt Europas Exportindustrie immer härtere Konkurrenz.

Der Chef-Volkswirt der EZB, Jürgen Stark, hat noch im Sommer gemeint, die Exporteure des Euro-Raums hätten bisher nicht unter dem starken Euro gelitten, und auch in der Vergangenheit hätten starke Währungen dem jeweiligen Land mehr genutzt als geschadet. Und auch heute weisen so manche Wirtschaftsforscher darauf hin, dass die Firmen sich auf den Dollarverfall ohnedies eingestellt hätten und ihre Ertragslage weniger leiden werde als befürchtet.

Investmentproblem

Das ist richtig, aber ungeheuer kurzsichtig. Vermutlich werden tatsächlich weder die Firmen noch die Beschäftigten in den nächsten Monaten leiden (Sehen wir einmal ab von der Beschäftigung bei Magna in der Steiermark und von noch so manch anderen verkündeten Kürzungen ab). Aber das ist ja nicht das eigentliche Problem. Auf Dauer ist entscheidend, wo in Zukunft investiert wird. Und da braucht man ja nur die Ohren offen zu halten. Investiert wird nicht nur zunehmend im Dollarraum. Die massive Aufwertung des Euro macht die ohnedies nicht niedrigen Arbeitskosten in Europa erneut relativ teurer und Investitionen in der ganzen übrigen Welt relativ billiger.

In der Praxis zeigt sich, dass einmal verlorene Arbeitsplätze nicht mehr zurückzugewinnen sind. Selbst hochwertige Arbeitsplätze im High-Tech-Bereich geraten in den westlichen Industriestaaten immer stärker unter Druck.

Das starre Beharren auf einer relativen Hochzinspolitik durch die EZB ist umso bedenklicher, als so ziemlich jeder erwartete Effekt auch in der ökonomischen Theorie bereits umstritten ist. Der angebliche Zinseffekt auf die Nachfrage der Haushalte hat deutlich weniger Einfluss als die langfristigen Einkommenserwartungen. Heute sind Friedmans "Permanent Income"-Hypothese und das Lebenszyklus-Modell von Modigliani unbestritten die gängigen Erklärungsmodelle für die Verhaltensmuster bei Konsum und Sparen.

Auch das klassische Geldmengenmodell macht in der Praxis wenig Freude. In den diesjährigen Forschungspapieren der Deutschen Bundesbank wird gar nicht mehr behauptet, dass einzelne monetäre Indikatoren die Inflation zuverlässig vorhersagen könnten, sondern nur mehr, dass im Nachhinein zumindest einer der Indikatoren einen Gleichlauf mit der Inflation zeige. Das klingt schon deutlich bescheidener als die bisher von der EZB offiziell aufrechterhaltene Aussage, die Indikatorqualität der Geldmenge habe nicht nachgelassen.

R. Bootle hat die These aufgestellt, dass zur relativen Preisstabilität der letzten Jahre weniger monetäre Komponenten als vielmehr der Umstand beigetragen hat, dass der technische Fortschritt mehr und mehr Überproduktion möglich mache, und der dadurch ausgelöste Preisdruck die Inflation bei allen Massengütern wirksamer bekämpfe als jede monetäre Maßnahme. Die These wurde in Fachkreisen intensiv diskutiert, warum eigentlich nicht auch in Zusammenhang mit der Währungspolitik? - Und die Hoffnung, dass Gewerkschaften ihre Forderungen trotz kräftig steigender Gewinne zurückschrauben, bloß weil eine Zinserhöhung droht, gehört auch eher zu dem, was Joschka Fischer kürzlich böse, aber treffend als "Auszeit von der Wirklichkeit" bezeichnet hat.

Kronzeuge Friedman?

Eine Diskussion über die teils recht besorgten Argumente gewichtiger ökonomischer Schulen sollte man nicht einfach abwürgen. In einer Zeit, in der es um nicht weniger geht als um die Behauptung Europas in einer Zeit immer größerer wirtschaftpolitischer Herausforderungen, darf auch die Notenbankpolitik nicht gegen Sachargumente tabuisiert werden. Diese Erstarrung scheint Sarkozy aufbrechen zu wollen, und dafür sollte man Verständnis haben.

Milton Friedman wird gerne als Kronzeuge für eine konsequente Geldmengenpolitik angeführt. Ihm war eine stabile Geldmengenpolitik nach fixen Regeln so wichtig, dass er appellierte, sie zu schützen - aber nicht nur vor Politikern, sondern auch vor Zentralbankern ohne politische Legitimation: "A monetary rule would insulate monetary policy both from arbitrary power of a small group of men not subject to control by the electorate and from the short run pressures of partisan politics", hat er 1972 geschrieben. Unter heutiger Perspektive: Geldpolitik ist nicht nur vor Politikern zu schützen, sondern auch vor überholten Dogmen. (Manfred Drennig, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.12.2007)