70 Anrainer bangen um ihre Häuser und hoffen, dass der Erdrutsch im "Gschliefgraben" noch vor ihren Türen zum Stillstand kommt - Von Markus Rohrhofer
Gmunden – Der Traunstein ist bis weit unter seine Spitze in Nebel gehüllt. Fast bedrohlich wirkt der Gmundner Hausberg, wenn man so unmittelbar davorsteht. Auf der gegenüberliegenden Seite peitscht der Wind über den Traunsee, die Wellen brechen sich schäumend am Ostufer. Die Natur zeigt hier seit Tagen ganz besonders ihre Kraft. Nicht das schlechte Wetter macht Sorgen, das gehört im November zum Salzkammergut wie der Keramikteller zu Gmunden. Sorgen bereitet den Anrainern vielmehr der "Gschliefgraben". Rund 500.000 Kubikmeter drängen ins Tal, 70 "Unterlieger", so der ortsübliche Name der Ostufer-Anrainer, mussten ihre Häuser verlassen und wissen zur Stunde nicht, ob sie jemals wieder in ihr Eigenheim zurückkönnen.
Schock per Brief
Welche Gefühle ihn derzeit bewegen, kann Otto Scharmüller nur schwer beschreiben. "Was soll ich sagen. Diese Hilflosigkeit ist kaum zu ertragen. Wir können nur warten und hoffen", erzählt der Pensionist, während er fast liebevoll das Gartentürl schließt. "Wissen Sie, meine Frau ist hier geboren und ich wohn' seit 1962 hier. Wir hängen an unserem Haus, leicht ist das alles nicht", ist der Pensionist verzweifelt. Vergangene Woche flatterte dem Ehepaar Scharmüller ein Brief der Stadtgemeinde ins Haus. "Es war ein Schock, als da plötzlich stand, dass wir raus müssen", erzählt Scharmüller im Gespräch mit dem Standard. Seit diesem Tag pendelt das Ehepaar zwischen einer Zweitwohnung in Altmünster und der Wohnung der Tochter hin und her.
Geologen wenig optimistisch
Hochkonzentriert arbeiten die Geologen in der Sperrzone, stecken die Flora und Fauna mit neon-orangen Messstangen aus, warten mit Hochspannung auf neue Ergebnisse der Tiefenbohrungen. "Wir haben keinen Grund zum Euphorie. Keiner weiß im Moment, wann die Evakuierungen aufgehoben werden können." Bürgermeister Heinz Köppl (VP) wirkt von den Anstrengungen der vergangenen Tage sichtlich mitgenommen.
Wenig optimistisch sind derzeit auch die Experten. "Die Situation ist unverändert dramatisch. Wir messen im mittleren Bereich der Rutschung sehr hohe Bewegungsraten", erläutert Geologe Michael Schiffer. Problematisch sei vor allem das Wasser. "Das ist das Schmiermittel. Wir versuchen daher jetzt primär, Wasser nicht in die Masse eindringen zu lassen beziehungsweise Wasser aus der Masse herauszunehmen, um den Druck zu senken", schildert Schiffer. Man könne aus heutiger Sicht "auf keinen Fall sagen, ob sich die sehr weit fortgeschrittenen Prozesse aufhalten lassen".
Keine Angst
Hans Schallmeiner beeindrucken solche Prognosen wenig: "Ich hab überhaupt keine Angst. Ich würde auch sofort in meinem Haus übernachten, wenn ich dürfte." Darf der Wirt vom beliebten See-Gasthaus Hoisn aber genauso wenig wie alle andere Bewohner der Sperrzone. "In 24 Stunden hat sich unser Haus um 14 Millimeter bewegt. Das macht es wahrscheinlich das ganze Jahr, nur jetzt wird halt gemessen", schmunzelt Schallmeiner. Dass man auf nicht gerade festem Boden steht, sei allen bewusst gewesen. "Aber was hätten wir machen sollen?", fragt der Hoisn-Wirt.