Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war gestern. Da erzählt S. dann von ihrer jüngsten "Sardinenfahrt". Und abgesehen davon, dass wir alle froh waren, diesen in S. Universum angeblich lange eingeführten Terminus endlich auch erfahren zu haben, waren wir dankbar, wieder ein Stückchen mehr über die kollektive Psyche der Wiener Busfahrer zu lernen.

Es war, hatte S. nämlich erzählt, ein ganz normaler Tag gewesen: Als sie ihr Kind in den Kindergarten gebracht habe, seien die Busse in ihrer Außengürtelzone wie Elefanten dahergekommen. "Rüssel-an-Schwanz-mäßig eben", illustrierte S., "oder vielleicht ja auch wie ein vertikaler Paternoster." Oder ein Konvoi. Oder ein amerikanischer Planwaggentreck, der sich durch feindliches Indianerland wagt: "Manchmal habe ich das Gefühl, die kommen deswegen im Pulk, um sich bei Gefahr zu einer Wagenburg formieren zu können", meinte S. Aber, ergänzte sie, sie wisse schon, dass ihre Phantasie manchmal mit ihr durchgehe: "Obwohl das doch eigentlich ein netter Anblick wäre."

Kinderwagenkriegspfad

Tatsächlich, so S., sei ihr aber anderes durch den Kopf gegangen als sie da im dritten oder vierten Bus froh war, mit Kind und Kinderwagen genügend Platz zu haben: "Ich stell mir dann immer vor, wie das hier 25 Minuten später wohl zugeht: Ewig kein Bus – und dann versuch mal, mit einem Kinderwagen in den einzigen, der noch auf der Strecke ist, rein zukommen." Besonders lustig werde es, wenn noch drei Mütter mit Babybuggy da stünden. Am besten bei Regen: "Da fällt dann von jeder das Mäntelchen der Zivilisation ab – und es gibt Krieg."

Aber an diesem Tag, so S., sei der Konvoi eben gerade rechtzeitig für ihre Kindergartenbringzeit gekommen. Bei der Weiterfahrt ins Office habe sie dann keinen Kinderwagen mehr dabei gehabt. Und das, so die junge Mutter, sei dann ohnehin ein Glück gewesen – weil sie sonst nie und nimmer rechtzeitig an ihrem Arbeitsplatz angekommen wäre. Aber so, erzählte S., sei sie zwischen zwei anderen Damen und einem Schulkind "beinahe kuschelig, in jedem Fall aber sturzsicher" gleich hinter dem Fahrer eingekeilt gewesen – und habe sich durch die Stadt schaukeln lassen. "Zum Glück waren die Leute rund um mich gewaschen. Und keiner hatte Mundgeruch."

Stimmungsmelange

Wirklich lustig, so S., wären die Stationsaufenthalte gewesen. Denn nachdem die maximale Fahrgastkompression erreicht gewesen sei, wäre eben nichts mehr gegangen. Nur sei das den weiterhin Hereindrängenden ("Wir warten schon seit einer Viertelstunde!") eben nicht klar zu machen gewesen. Und das Potpourri aus allen möglichen Wiener Morgenstimmungen wäre immer ein spannendes Hör- und Schauspiel, meinte S. "Natürlich nur dann, wenn man selbst drinnen ist." Das ganze Spektrum von Resignation über Larmoyanz und Ironie bis hin zu Wutanfällen und Drohungen in wenigen Minuten vorgelebt zu bekommen, sei jedes Mal wieder spannend. Und auch das Ratespiel, welcher der verhinderten Zusteiger das Drama wirklich persönlich nehmen würde, "hat was."

Wirklich bewundert, so S., habe sie aber den Busfahrer. Weil der auch die wüstesten Beschimpfungen mit stoischem, höflichem Gleichmut über sich ergehen ließ. Sie sei, erzählte S., aber nicht die einzige gewesen, die den Fahrer um dieses Phlegma beneidete: Nach der vierten oder fünften Schimpfkanonade durch die offene, aber unpassierbare Tür habe ein anderer Fahrgast nämlich seiner Frau zugeraunt, "na servas – wenn ich eines nicht sein, will, ist das Busfahrer in Wien." Und da, erzählte S., habe der Fahrer zum ersten und einzigen Mal das Visier hochgeklappt. Und mit dem Brustton der tiefste, ehrlichsten und innersten Überzeugung einen einzigen Satz gesagt: "Glauben sie mir: Ich auch nicht." (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 6. Dezember 2007)