Die Künstlerin Eva Schlegel beschäftigt sich mit der Wahrnehmung des Körpers. Die Fotografie ist dabei manchmal zentrales Medium, manchmal die Basis ihrer Kunst. Sie experimentiert mit verschiedenen Materialien und erforscht die Schnittmengen etwa von Malerei und Fotografie. Dadurch entsteht eine Mehr-Schichtigkeit im Wortsinn und im künstlerischen Ausdruck. Ein Objekt und ein Körper rücken durch den Prozess ins Schemenhafte bis hin zur Rätselhaftigkeit. Für diese Geschichte porträtierte sie den Menschen Elfie Semotan, stellte sie als Supergirl in große Höhen, um sie zuletzt in Unschärfe zu hüllen.

Foto: Semotan

Die Fotografin Elfie Semotan lotet die Grenzen und Gemeinsamkeiten von Mode-, Werbe- und künstlerischer Fotografie aus. Sie rückt die Person in den Mittelpunkt und kontextualisiert sie neu. Die Ästhetik zu perfektionieren interessiert sie weniger als den Menschen durch einen unerwarteten Kontext neu zu zeigen. Für Eva Schlegel wühlte die Doyenne der österreichischen Modefotografie in der Kiste der weiblichen Archetypen, wollte ikonenhaft Weibliches von 1950er-Jahre Glamour bis zum Power-Stil der 1980er-Jahre.

Foto: Schlegel

Die eine machte die andere zum Supergirl und zur Märchenfigur, die andere inszenierte die eine als Ikone des Weiblichen. Wie es war und warum sich manches anders ent- wickelte als erwartet, wurde hinterher besprochen.

DER STANDARD: Wie wichtig ist Mode?

Semotan: Wie man sich anzieht, hat eine ganz große Bedeutung. Man macht sich einerseits anziehend, setzt andererseits auch Grenzen. Man darf es aber auch nicht überbewerten. Man sollte seine Bedeutung und seine Wirkung erkennen, darf es aber nicht allzu ernst nehmen.

Schlegel: Das ändert sich auch im Lauf des Lebens. Für mich gab es Zeiten, in denen die Beschäftigung mit dem Körper zentral war. Heute sehe ich das eher spielerisch. Manchmal ist es mir wichtig, manchmal völlig egal.

DER STANDARD: Verliert die Mode überhaupt an Bedeutung. Stichwort "Anything goes"?

Semotan: Das ist ganz individuell. Ich bin da momentan ganz genau. Das war eine Zeit lang nicht so, weil ich mit etwas anderem beschäftigt war. Es kommt immer drauf an, wie viel Platz man dem geben will, wie viel Zeit man sich nehmen will. Mit den Fetzen viel Aufwand betreiben – dafür ist nicht immer die Energie da.

Schlegel: Auch für mich haben sich die Prioritäten verschoben. Aber die Phasen der intensiven Auseinandersetzung mit dem Körper kommen immer wieder. Das Altern etwa erlebt man manchmal stärker. Aber mit dem bewussten Einsatz von Kleidung ist es jetzt lustvoller.

Semotan: ... so wie vieles lustvoller wird, weil man mehr davon versteht und daher besser damit umgehen kann.

DER STANDARD: Mode ist wie Kunst eine Form des kreativen Ausdrucks, gilt aber als kommerzieller. Ist Kunst künstlerischer als Mode?

Semotan: Manche Designer sehen ihr Entwerfen als Kunst. Da entsteht künstlerische Mode. Andere machen einfach Sachen zum Anziehen. Erstere sind einfach weniger oberflächlich. Dann wird es eine Art von Mode, die aus der geistigen Umgebung schöpft.

Schlegel: Mode wird bei uns immer noch als angewandte Kunst klassifiziert. Manche Designer haben den Anspruch, den Körper in seiner Erscheinung zu verändern oder aufzulösen. Wie etwa die japanischen Modemacher.

Semotan: Da muss man als Trägerin natürlich im Kopf auch mitkommen und akzeptieren, dass der eigene Körper nicht das Wichtigste in diesem Bild ist ... Und dann kann man sich nur noch auf sein Gesicht verlassen, um das Gesamtbild zu einem Bild von sich selbst zu machen ...

Schlegel: Das Schöne daran ist, dass die Idealisierungen des Körpers verschwinden.

DER STANDARD: Die japanischen Designer und ihr skulpturaler Zugang kennt man jetzt schon 20 Jahre. Wie bewerten Sie neuere Entwicklungen wie die Betonung des sexuellen Körpers, die derzeit die Laufstege kreieren. Ist das ein "backlash"?

Semotan: Ich denke, diese Strömungen existieren nebeneinander.

Schlegel: Die Gesellschaft hat sich in dem angesprochenen Zeitraum verändert. Die Frauen haben sich etabliert. Sie sind gebildeter, haben weniger Kinder, arbeiten freier und selbstbestimmter denn je. Hier traditionelle Frauenbilder aus vergangenen Epochen zurückzuholen, kann man als ironisches Statement lesen.

Semotan: Es gibt ganz erotische, "altmodische" Mode, die man gar nicht wahrhaben möchte. Ich denke, der backlash auf dem Laufsteg existiert. Es gibt so viele Fragen, die ungelöst sind. Und Fortschritte, die schon institutionalisiert waren, die jetzt wieder in Frage gestellt werden. Zum Beispiel hat man hat es nicht für möglich gehalten, dass es den Frauen versagt wird, über Kinderkriegen oder -nichtkriegen allein zu entscheiden. Diese Mode sehe ich als Begleiterscheinung dieser Entwicklung. Ich finde, man muss Kleider ganz bewusst machen, man muss wissen, welchen Platz sie einnehmen in der politischen, sozialen und feministischen Landschaft. Schlegel: Ich denke, der gesellschaftliche Fortschritt ist nicht aufzuhalten, bereits Erreichtes nicht effektiv rückgängig zu machen. Ich halte das Zitieren vergangener Epochen für ein Spiel, eine Sehnsucht und nicht für den Beleg eines Rückschritts.

Semotan: Fortschritt und Rückschritt kommen in Wellenbewegungen. Manchmal bin ich deprimiert, wenn ich sehe, wie Erkämpftes preisgegeben wird. Just forget it, das ist ein backlash.

Schlegel: In den vergangenen hundert Jahren sind aber de facto mehr Frauen in den Arbeitsprozess eingestiegen, sind wirtschaftlich unabhängiger, treffen ihre eigenen Entscheidungen. Es gibt also – global gesehen – eine Entwicklung in diese Richtung, die nicht umkehrbar ist.

DER STANDARD: Wie erzeugen Mode und Kunst Körperbilder? Warum bietet uns die Mode Kinderkörper als Ideale an?

Schlegel: Je älter die westliche Gesellschaft wird, umso mehr idealisiert sie die Jugend. Alles, was als begehrlich verkauft werden soll, wird mit Jugend gebranded.

DER STANDARD: Ist die Schönheitschirurgie die Haute Couture der Zukunft, wie Karl Lagerfeld es behauptet?

Schlegel: Da hat er sicher Recht. Leider. In Filmen wie "Beowulf" werden die Körper jetzt schon ideal gemorpht.

Semotan: Das würde heißen, dass man nicht in Ruhe leben, sich entwickeln, älter werden kann. Dass man das Leben nicht durchleben kann. Man wird gezwungen stehen bleiben. Ich finde es normal, dass man schaut, dass man gut älter wird. Dieses Lagerfeld-Statement ist auf jeden Fall absurd.

DER STANDARD: Diese Operationen sind nur zum Teil Verjüngungsmaßnahmen. Immer öfter werden sie gemacht, um nicht einen jüngeren, sondern einen anderen Körper herzustellen.

Semotan: Das ist ja vollkommen absurd. Aber zurück zur immerwährenden Jugend. Für das, was man sich davon erhofft, etwa als 60-Jährige mit 20-Jährigen zu konkurrieren, ist es sowieso nicht gut genug. Was man als 60-jähriger Mensch zu bieten hat, ist so dramatisch mehr, dass die schiere Idee eines Konkurrierens mit Jüngeren grotesk ist.

DER STANDARD: Propagiert die moderne Kunst ein Körperbild?

Schlegel: Die Kunst setzt sich mit Zeit- und Gesellschaftsphänomenen auseinander. Da dient alles als Material für künstlerische Reflexion.

Die Beschäftigung mit dem Körperbild in der Kunst war aber vor allem immer eine Auseinandersetzung mit dem Körper der Frau. Die Kunst ist da reicher als die Mode, weil sie sich einerseits mit dem jeweiligen Idealbild des Körpers, dem geschlechtlich definierten, aber auch mit dem psychisch und physisch deformierten Körper beschäftigt.

DER STANDARD: Kann man das als Demarkationslinie zwischen Mode und Kunst definieren?.

Schlegel: Die Mode hat wohl eine eher dienende Funktion. Nämlich die, Begehrlichkeit zu wecken.

Semotan: Sicher ist der Zweck der Mode, den Körper zu gestalten. Mode, wie wir sie jetzt präsentiert bekommen, an schmalen, langen Gestalten, sieht halt auf diese Weise am besten aus. Diese Aufgabe hat die Mode allerdings immer noch, wenn der Körper nicht lang und schmal ist. Und das geht auch. Interessanterweise sehen die meisten Menschen nackt gut aus. Mit Mode kann man alles zerstören.

DER STANDARD: Welche Körper-Inszenierung verlangt man von einer Modefotografin?

Semotan: Die Magazine wollen immer dasselbe. Mode mit Glamour. Wenn man mich anspricht, will man aber eine Auffassung sehen, einen Menschen. Dafür werde ich persönlich angesprochen. Ich bin nicht so eine tolle Glamour- und Luxusfotografin, weil für mich die Person im Mittelpunkt steht. Es wundert mich, dass die Magazine alles gedruckt haben, was ich so gemacht habe. Die Claudia Schiffer, die die Erdäpfel in die Luft wirft – da haben sie ziemlich geschluckt. Aber ich will da spielerisch sein und nicht um jeden Preis die Ästhetik perfektionieren.

DER STANDARD: Wenn die Künstlerin erotische Frauenbilder macht, läuft sie dann Gefahr abgestempelt zu werden?

Schlegel: Ich umschiffe das so, indem ich immer an mehreren Werkgruppen gleichzeitig arbeite. Ich experimentiere viel mit Grenzbereichen, mit unterschiedlichen Materialien. Ich versuche, die Grenzen der jeweiligen Medien auszuloten und aufzubrechen, etwa den Grenzbereich zwischen Malerei und Fotografie. Bei meinen letzten Bildern geht es um das idealisierte Frauenbild, wie es vor allem die Mode definiert. Schärfe versus Unschärfe. Es geht um das Erfassen von verschiedenen Stereotypen.

DER STANDARD: Wie war es für die Fotografin, die Künstlerin zu inszenieren, beziehungsweise umgekehrt?

Schlegel: Sehr spannend. Ich habe im Vorfeld recherchiert, wie Elfie Semotan fotografiert und fotografiert wird. Diese Annäherung war wichtig, auch um zu sehen, wie meine Vorstellung da einfließen kann, aber ihre Persönlichkeit voll zur Geltung kommt.

Ich wollte definitiv ein Bild von ihr machen, das ihr auch gefällt. Zudem wollte ich auch mit unterschiedlichen stilisierten Frauenbildern in meiner Darstellung von ihr als Frau spielen.

Semotan: Ich wollte definitiv auch ein positives Bild machen. Es ist natürlich schon eine Aufgabe, wenn man auch ein modisches Bild von jemandem machen soll, der kein Fotomodell ist. Das mache ich besonders gerne. Auch zu überlegen, wie sehe ich diese Frau, als was will ich sie wiedergeben. Ich fand es auch interessant, während des Fotografierens zu schauen, ob mein Bild bestätigt wird.

DER STANDARD: Gab es Hemmschwellen zu überwinden?

Schlegel: Überhaupt nicht. Ich habe mich zu jedem Zeitpunkt wohl gefühlt.

Semotan: Das war für mich auch so, obwohl ich es eigentlich hasse fotografiert zu werden.

DER STANDARD: Und so wurde die Elfie Semotan Supergirl.

Schlegel: Ich wollte ihre Dynamik, ihre Tatkraft, ihre Distanziertheit ausdrücken.

Semotan: Selbst erfasst man das ja gar nicht so. Man weiß nie genau, wie man gesehen wird. Das war also ein seltener Moment.

DER STANDARD: Ist das Konzept der Künstlerin, das Objekt Körper im Raum zu thematisieren, während des Fotografierens verschwunden?

Schlegel: In meinen Fotos von Elfie gibt es viele meiner künstlerischen Elemente bez. des Körpers im Raum, Unschärfe in der Kleidung, verschiedene räumliche Ebenen wie Filter eingesetzt, der Blick im Raum von oben, von unten auf die Person, wie filmische Strategien...

DER STANDARD: Klaut die Modefotografie von der Kunst?

Semotan: Das kann man so nicht sagen. Alle klauen. Nichts kommt aus dem Nichts. Alle inspirieren einander gegenseitig.

Schlegel: Spätestens seit den 1920er-Jahren gibt es eine enge Geschichte von Kunst und Modefotografie (Man Ray, Warhol etc). Immer wieder wurden Künstlerinnen eingeladen, Beiträge in Vogue, Haarpers Baazar zu gestalten. Aber auch durch die kapitalintensive Modefotografie entstehen viele Neuerungen von Bildsprache (Helmut Newton, Toscani ), anderseits gibt es z.B. ein neues Buch über Klimt, das seinen Einfluss auf die Mode eindrucksvoll offenlegt.

Es ist auch so, wenn auch selten, dass das, was in der Modefotografie passiert, von der Fotokunst aufgegriffen wird.

DER STANDARD: Gibt es demnach einen gemeinsamen Humus für Mode und Kunst?

Schlegel: Hauptsächlich in der Fotografie.
(Bettina Stimeder/Der Standard/rondo/07/12/2007)