Es bedurfte offenbar der Wahlzeit, dass das heikle Thema des Verhältnisses zwischen russischem Staat und Wirtschaft wieder einmal in die oberen Schlagzeilen kommt. Zwar lassen die gegenwärtigen russischen Realitäten mit ihrer gleichgeschalteten Medienlandschaft die nötige Diskussion über "Business versus Bürokratie" nicht zu. Immerhin aber werden vereinzelt Statements deponiert.
So meldete sich am Donnerstag der Chef des russischen Industrie- und Unternehmerverbandes (RSPP), Alexandr Schochin, zu Wort und erklärte, dass "die Wirtschaft eine Revision von Deals, die mit offensichtlichen Gesetzesübertretungen durchgeführt worden sind, für völlig zulässig" hält. Der Staat aber sollte dabei ein Beispiel abgeben: "Wenn er Aktiva erwirbt, wäre es sehr richtig zu erklären, weshalb er das tut."
Genau das war in den letzten Jahren nicht geschehen. Zu Berühmtheit gelangten die spektakuläre Zerschlagung des Ölkonzerns Yukos und die Inhaftierung seines Ex-Chefs Michail Chodorkowski. Der Großteil der Aktiva ging an den staatlichen Ölkonzern Rosneft, der damit zum größten russischen Ölförderer aufgestiegen ist.
Voreiliger Gehorsam
Auch andere Konzerne mussten Teile ihres Eigentums weit unter Wert an den Staat und seine verlängerten Arme abtreten. In voreiligem Gehorsam beteuern manche Unternehmer, klein beizugeben, wenn der Staat rufen sollte. Nachdem etwa der Gasmonopolist Gasprom, in dem Vizepremier Dmitri Medwedjew dem Aufsichtsrat vorsitzt, mehrheitlich unter Staatskontrolle gebracht war, expandierte er unaufhaltbar und zwang Shell und BP zur Überlassung der Mehrheit an ihren Öl- und Gasfeldern in Ostsibirien.
Die mehr oder weniger feindlichen Übernahmen führten nicht nur zu hohen Unternehmenskonzentrationen, sodass heuer laut Unternehmerverband „Delowaja Rossija“ nur noch 500 Firmen ganze 80 Prozent des BIP erwirtschaften, während es im Jahr 2000 noch 1200 waren. Sie führten auch dazu, dass der Wirtschaftsanteil der – meist ineffizienteren – Staatskonzerne, gemessen an Umsatz und Beschäftigtenanzahl während der Putin-Ära von 30 Prozent auf etwa 50 Prozent angestiegen ist. (Eduard Steiner aus Moskau, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.12.2007)