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An der Schnittstelle zwischen Kultur und Politik: Sponsor Pühringer, die Kulturministerin, die damals (2003) noch Gehrer hieß, Bürgermeister Häupl, im Hintergrund der Konzerthallenentwurf für den Augarten.

Foto: APA, Montage: Kohlhuber

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Ernst Kieninger (li.), Hans Hurch: "Es geht hier nicht um's 'Match' Film gegen Musik sondern um Strukturen politischer Entscheidungsfindung."

Fotos: Corn, Reuters
... um die Nutzung öffentlichen Raums in Wien - nicht nur in eigener Sache. Ein Lehrstück. Ein "Kommentar der anderen" von Ernst Kieninger, Leiter des Filmarchivs Austria, und Hans Hurch, Direktor der Viennale.


In diesen Tagen fällt die schon seit längerem viel und heftig diskutierte Einscheidung über den sogenannten Augartenspitz. Genauer: darüber welches der beiden für den Bereich am südöstlichen Rand des Parks zwischen Oberer Augartenstraße und Castellezgasse geplanten Bauprojekte die politische Zustimmung erhält. Die Entscheidung, die Minister Bartenstein in seiner Funktion als Wirtschaftsminister treffen wird, betrifft einerseits das Projekt einer Proben- und Aufführungshalle für die Wiener Sängerknaben, finanziert vom Fondsmanager Peter Pühringer und dessen Privatstiftung. Andererseits ein vom Filmarchiv Austria gemeinsam mit der Viennale geplantes Filmkulturzentrum, dessen Errichtungskosten vom Ehepaar Ingrid und Christian Reder-Zumtobel über deren Privatstiftung übernommen werden.

Zwei Kulturinitiativen, jeweils privat ermöglicht, geplant an einem außerordentlich spannenden, zukunftsträchtigen und zugleich sensiblen Standort mitten in Wien. Zwei Projekte, von denen jedoch auf Grund der eingeschränkten Flächenwidmung am Augartenspitz nur eines realisiert werden kann.

Und, so viel lässt sich heute sagen, die Entscheidung scheint so gut wie gefallen. Minister Bartenstein, der das Grundstück, das sich im Eigentum des Bundes befindet, verwaltet, wird einen Vertrag mit den Sängerknaben und der Pühringer-Stiftung über die Errichtung der projektierten Konzerthalle unterzeichnen.

Diese Entscheidung über den Augartenspitz und wie es dazu gekommen ist, hat eine politische Vorgeschichte, eine Geschichte, die es zu erzählen lohnt, da sie sich als geradezu paradigmatisch lesen lässt für eine bestimmte politische Kultur in diesem Land. Beispielhaft für den Umgang mit Öffentlichkeit, mit privaten und allgemeinen Interessen, mit den Vorstellungen von Stadt entwicklung, und nicht zuletzt um ein paar grundlegende Standards der politischen Entscheidungsfindung.

Minister Bartenstein zufolge hat sich diese Entscheidungsfindung an wirtschaftlichen Kriterien zu orientieren. Das mag für seine Verantwortung gelten, nur ist das ökonomische Interesse in diesem Fall nicht mit dem öffentlichen gleichzusetzen. Wirtschaftlichkeit kann und darf nur eines unter verschiedenen Argumenten sein. Der Vertrag mit den Wiener Sängerknaben und der Pühringer Privatstiftung sei zu weit gediehen, argumentiert Bartenstein, der Druck des Finanziers und Investors zu hoch. Ein ungemütlich gewordener Pühringer bedroht die Republik mit Klage. Das ist sein gutes Recht.

Will man diese seltsame und fragwürdige Geiselhaft verstehen, in der sich heute manche wähnen, muß man zurückgehen in die Tage der schwarz-blauen Regierung. Damals wurde in breiter Kooperationsbereitschaft und Einmütigkeit zwischen Schüssel, Bartenstein, Gehrer und Morak der kostbare öffentliche Teppich Augarten für die Pühringer Privatstiftung ausgerollt. Vom Bundesdenkmalamt über Burghauptmannschaft bis zu den Bundesgärten waren alle angehalten ihren Beitrag zu leisten. Und mittendrin der Direktor der Wiener Sängerknaben. Als Abteilungsleiter unter Gehrer war er als Ministerialbeamter zugleich für sich selbst als Direktor der Sängerknaben und Subventionsnehmer zuständig. Eine klassische Unvereinbarkeit, an der keiner was fand, und zugleich das perfekte Bild für jenes widerspruchslose politische System, in dem das Projekt des Konzertsaals seinen Ursprung hat.

Als jedoch das am Augartenspitz ansässige Filmarchiv Austria, das zuvor die Flächenwidmung und Baumöglichkeit erwirkt hatte, seinerseits Interesse an dem Standort anmeldete, wurde es unter Androhung wirtschaftlicher Nachteile vom Subventionsgeber diszipliniert. Das Filmarchiv, das sich im Konflikt um das Filmfestival "Diagonale" kritisch positioniert hatte, galt bei Staatssekretär Morak und seinen Beamten als nicht opportun. So wurde der Augarten nach allen Regeln der politischen Kameraderie und Willkür für das Projekt der Sängerknaben aufbereitet.

Die Stadt Wien, ihrerseits dem Investor und Sponsor Pühringer und der kulturellen und touristischen Marke "Sängerknaben" gleichermaßen verpflichtet, teilte stillschweigend die Interessen des Bundes. Sämtliche für diesen so wichtigen urbanen Standort mitbestimmenden Aspekte von Stadtentwicklung über Verkehrsplanung bis Parkökologie, von Architekturfragen über Anrainerinteressen bis Bürgerpartizipation waren außer Kraft gesetzt. Von einer klaren kulturpolitischen Haltung gar nicht zu reden. "Der Augartenspitz", erklärte Bürgermeister Häupl, "gehört den Sängerknaben". Dann aber geschah das Unerwartete. Mitte März dieses Jahres präsentierten das Filmarchiv Austria und die Viennale, ermutigt von der veränderten politischen Konstellation nach der Wahl, das detaillierte Konzept und architektonische Modell eines Filmkulturzentrums für den Augarten. Bestehend aus zwei Kinosälen, einer umfassenden, öffentlichen Mediathek, einer Forschungsstelle zur Filmintegration, Ausstellungsflächen und einem angeschlossenen Freiluftkino war dies der erste Film und Kino gewidmete Kulturneubau in Wien seit vielen Jahren. Und zugleich seit langem wieder das erste Kino für den aufstrebenden 2. Bezirk.

Wenige Tage später trat das Ehepaar Ingrid und Christian Reder, Lehrende an der Hochschule für angewandte Kunst und Miterben des Unternehmens Zumtobel an die Öffentlichkeit und erklärten sich bereit die gesamten Errichtungskosten für das Filmkulturzentrum in der Höhe von rund 6 Millionen Euro zu übernehmen, ein für den Bereich Film bis dahin beispielloses privates Engagement.

Zudem fand das Projekt in den Medien eine außerordentlich positive Aufnahme, erhielt die Unterstützung zahlreicher Personen und Initiativen, entsprach zugleich dem im Koalitionsübereinkommen vereinbarten kulturpolitischen Schwerpunkt zum Thema "Film und Medien" und löste nicht zuletzt unter den Anrainern und Bürgern des Bezirks, die von Beginn des Projekts an eingebunden waren, mehrheitliche Zustimmung und Akzeptanz aus.

Nun gab es, wie in der Presse zu lesen war "zwei gleichberechtigte Projekte auf Augenhöhe". "Die Karten im Augarten", hieß es, "sind neu gemischt". Aber wer dachte, dass damit ein neues Spiel beginnen würde, ein politischer Wettstreit der Argumente und Konzepte zu Stadtplanung und Kulturpolitik, eine Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum und den Interessen der Bürger, sah sich schnell enttäuscht.

Die Stadt lehnte sich zurück und ließ sich fortan nicht mehr in die Karten schauen. Minister Bartenstein unternahm ein paar vorsichtige Versuche zu pokern, fand aber keine Gegenspieler. Und die neue Ministerin für Kunst und Kultur, sowohl für Sängerknaben als auch Filmarchiv zuständig, für die Politik des Bundesdenkmalamts und neue Möglichkeiten des Kultursponsorings, tat so als hätte sie überhaupt noch nie Spielkarten gesehen. Anstatt politische Verantwortung zu übernehmen und als mitentscheidende und gestaltende Playerin ins Spiel einzusteigen, hieß ihr Motto "Wer nicht wagt, verliert nicht".

Die entscheidende Spielregel jedoch lautet: "Wer das neue Spiel nicht aufnimmt, spielt das alte zu Ende". Das wissend, warten der Bürgermeister, der Planungsstadtrat, der Kulturstadtrat, der Bezirksvorsteher und alle anderen, auf den Tag, wo Bartenstein die Karten einstreicht und nach Hause geht. Und am Ende des Tages sich dem Druck des Finanziers Pühringer beugt und den alten Vertrag unterzeichnet.

Ministerin Schmied erklärt entschuldigend sie sei Realpolitikerin genug, um die schwierige Situation zu verstehen und übt sich in leerem Pragmatismus zwischen Wirtschaftsminister und Bürgermeister und mit jeden Tag nimmt ihre enttäuschende Nicht-Politik konkretere Konturen an. Eine Politik des Abwartens und Totstellens, der abgesagten Termine und unbeantworteten Briefe. Dabei geht es schon lange nicht mehr um den sogenannten Kulturkampf zwischen Film und Musik, zwischen Moderne und Tradition, zwischen guten und besseren Sponsoren, mehr oder weniger guten Architekturmodellen und Nutzungskonzepten, sondern um die Glaubwürdigkeit und Verantwortung von Politik, um Strukturen von Entscheidungsfindung und den Umgang mit Öffentlichkeit. Das sind die Dinge, die auf dem Spiel stehen. Und das Spiel ist noch nicht ganz vorbei. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.12.2007)