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Schreiben mit gewohnter Wucht: A. F. Th. van der Heijden

Foto: EPA/Hemelrijk
Apollo hat auch schon bessere Zeiten gesehen: "Wegen meines Images als phosphoreszierendes Wesen ernannte Papa mich zum Gott des Lichts", erinnert er sich zurück, "tja, irgendwas musste er ja mit mir machen." Jedenfalls: "Ich amüsierte mich bestens."

Doch das ist lange her. In der Zwischenzeit hat die Gottheit alles, sogar ihren Namen eingebüßt, sie musste ihn in den 60er-Jahren aus Geldmangel an die Nasa verscherbeln. Ein schlechtes Geschäft, da die Zahlungen nach dem Ende der Apollo-Mondmissionen stoppten. Unser Gott hätte besser das Kleingedruckte in dem mit der Nasa abgeschlossenen Vertrag lesen sollen.

Nunmehr seiner Identität beraubt, hat er genug von den USA. Nach einem Fußballcrashkurs setzt er ins Land der Windmühlen über, wo sich die Fans der rivalisierenden Klubs Ajax Amsterdam und Feyenoord Rotterdam erbitterte Auseinandersetzungen liefern. Was ein Gott in diesem Milieu zu suchen hat? Nun, auch Götter müssen sich in Zeiten wie diesen ihre Jobs selbst erschaffen, und so ist Apollos Mission zunächst unklar.

Man sieht jedoch jetzt schon: Adrianus Franciscus Theodorus (kurz A. F. Th.) van der Heijden (Jg. 1951), der vielleicht ambitionierteste und ganz sicher wahnwitzigste europäische Großschriftsteller unserer Zeit, ist wieder ganz in seinem Element. Er vermischt Hochkultur und Hooliganismus, philosophische Abschweifungen und ausufernde Schilderungen von einem kuriosen Pornodreh im Holland der 70er-Jahre.

Vor einigen Jahren hat der niederländische Autor seinen ersten Romanzyklus Die zahnlose Zeit fertiggestellt, nun stürzt er sich in die nächste Serie namens Homo Duplex. Die weit über 700 Seiten starken Movo-Tapes führen, als Band 0 gekennzeichnet, mit gewohnter Wucht in das Homo Duplex-Universum ein. Dessen übergeordnetes Thema ist Namensverkauf und Identitätsschwindel. Gelegenheit, große Fragen zu stellen, allen voran: Wer bin ich eigentlich? Nicht nur Ex-Apollo fragt sich das, sondern auch ein junger Niederländer namens Tibbolt Satink, der mit einem Fußleiden sowie mit einem Superhirn ausgestattet ist. Die humpelnde Leseratte wuchs in der großväterlichen Buchhandlung auf, hat irgendwann jedoch genug von ihrer Unsicherheit als Computer-Nerd und möchte sich als gewissenloser Böser namens Movo neu erfinden. Auf langen Fahrten über holländische Autobahnen spricht Tibbolt/Movo seine Gedanken in ein Aufnahmegerät.

Göttliche Scham

Diese Tapes sind faszinierende Protokolle einer Verwandlung und eines Kampfes zwischen Dunkelheit und Licht. Dem nach Abenteuern gelüstenden Gott scheinen sie auch sehr gelegen zu kommen. Worin genau sein Interesse an Tibbolt besteht, wird in Band 0 von "Homo Duplex" aber noch nicht enthüllt.

Wie van der Heijden überhaupt mit Vorliebe Fährten auslegt, die in verschiedene Richtungen weisen. So hält er dem Leser über viele Seiten ein Fußballtalent vor die Nase, das sich bei einem Pornodreh unsterblich verliebt und mit seiner weiblichen Partnerin auch gleich ein Kind zeugt. Als Tibbolts Mutter wird in Die Movo- Tapes jedoch eine andere Frau präsentiert. Auch die Frage, wie weit die Intimitäten zwischen Tibbolt und seiner angeblichen Mutter gehen und ob wir es nicht mit einer Ödipus-Geschichte zu tun haben, lässt der Autor fürs Erste offen. Sein wundervoll verschlungener, in alternierenden Kapiteln erzählter Prolog über einen jungen Mann und einen alten Gott, die auf der Suche nach ihrer Identität sind, macht sehr neugierig auf das, was noch kommen wird.

Und eines ist klar: Van der Heijden, der letztlich gegen das Fortschreiten der Zeit anschreibt, werden die Geschichten so schnell nicht ausgehen. Was er seinen Gott einmal sagen lässt, das gilt ebenso für ihn und für unsere Lust an Romanen: "Ich habe gelacht und geweint über das Los der Menschen und mich göttlich geschämt für meine eigene Position in der Welt: dass ich so süchtig war nach dem masochistischen Genuss der menschlichen Schicksale hier auf der Erde." (Sebastian Fasthuber, ALBUM/DER STANDARD/Printausgabe, 08./09.12.2007)