STANDARD : Sie sprechen in Ihrem Buch davon, dass eine "jüdische Elite" in den USA die Erinnerung an den Holocaust "ausbeute". Ist das nicht zumindest eine grobe Vereinfachung? Wer ist überhaupt diese "Elite"? Finkelstein : Ich nehme diesen Begriff soziologisch und wertfrei. Natürlich gibt es da abweichende Gruppen und Dissidenten. Im Buch werde ich ja auch spezifisch und nenne Namen - ich warte darauf, dass sie mich verklagen, (lacht) aber es passiert nicht. In den USA gibt es eine fast komplette Stille als Reaktion auf mein Buch. Die New York Times hat mein Buch negativer besprochen als seinerzeit Hitlers "Mein Kampf" - dem wurde immerhin der Antikommunismus positiv angerechnet. S TANDARD : Dass sich bei aktiven Interessengruppen Oligarchien herausbilden, ist aber doch nichts Neues. Finkelstein : Ja, aber ich glaube nicht, dass es notwendigerweise zu Korruption kommen muss. Die Gefahr wird nur größer, wenn keine Kritik erlaubt beziehungsweise als Antisemitismus diffamiert wird. Ich kenne Holocaust-Opfer, die haben, was die Rückerstattung anbelangt, mehr Vertrauen in die deutsche Regierung als in die jüdischen Organisationen, die ihre Ansprüche angeblich vertreten. Das gibt zu denken. S TANDARD : Was Österreich anbelangt, hätte dieses Vertrauen die längste Zeit wenig genützt. Aber nochmals zu Ihrer Formulierung von der "Ausbeutung" des Leidens der Shoa-Opfer: Selbst wenn eine ganze "Industrie" davon lebte - ist die Erinnerung an das Geschehene nicht notwendig und geradezu konstitutiv für die Politik seit dem Zweiten Weltkrieg geworden? Finkelstein : Ich meine, dass man von der Art, wie die Erinnerung wachgehalten wird, nichts lernen kann. Die Verfechter sprechen immer von der "Einzigartigkeit" des Holocaust; wer das bestreitet, gilt schon als Leugner. Aber die Geschichtsforschung lebt vom Vergleichen, sonst kann man nichts erkennen. Und durch die Art, wie die Organisationen Geld von europäischen Ländern fordern, tragen Sie zum wachsenden Antisemitismus bei. S TANDARD : Ihr Buch wird in England und Deutschland offenbar auch mehr diskutiert als in Amerika - aus den falschen Gründen? Finkelstein : Das ist schwer zu sagen. Rund 90 Prozent der E-Mails, die ich aus Europa bekomme, sind positiv, und von denen sind es vielleicht 15 Prozent aus den "falschen Gründen". Bei anderen und in der öffentlichen Debatte habe ich nicht das Gefühl, dass sie durch Ressentiments gegen Juden getragen werden. S TANDARD : Sie und Ihre Arbeit werden in rechtsextremen Websites beifällig angeführt. Finkelstein : Das freut mich natürlich nicht. Aber Holocaust-Leugner holen sich überall heraus, was sie wollen. Es gibt eben die nicht intendierten Konsequenzen, mit denen man leben muss. Außerdem ist es ja so, dass im akademischen Leben die Suche nach der Wahrheit gegenüber Macht und Prestige zurücktritt. Es wird ja nie gefragt: Was hat er geschrieben?, sondern: Warum hat er es denn geschrieben? S TANDARD : Sie fragen ja aber auch nach den Motiven der von Ihnen Kritisierten. Warum schreiben Sie Ihre Bücher? Finkelstein : Die Frage nach Motiven ist schwer zu beantworten, von außen, aber auch für einen selbst. Ich versuch’s trotzdem: Erstens glaube ich, dass das, was meine Eltern durchgemacht haben, etwas Besseres verdient als das, was die Holocaust industry für sie getan hat. Sie sind nicht respektiert worden. Zweitens geht es um eine politische Agenda. Meiner Ansicht nach beuten die jüdischen Eliten die Erinnerung dafür aus, Israel gegen Kritik zu immunisieren. Drittens geht es um die wissenschaftliche Ebene. Es gibt in der Holocaust-Literatur zu wenig Qualitätskontrolle; das hat der anerkannte Forscher Raul Hilberg etwa im Fall Wilkomirski (eine, wie sich herausstellte, erfundene Überlebens-Autobiografie) beklagt. Wenn man mir aber nachsagen will, dass ich nur eine Nische in der Forschung gefunden habe und diese ausbeute: Da hätte es für einen Absolventen von Princeton einfachere und erfolgversprechendere Wege gegeben. Nein, ich bin dickschädelig, und ich bin meinen inzwischen verstorbenen Eltern noch immer äußerst nahe. Nicht um eine Million Dollar würde ich auch nur ein Komma in meinem Buch ändern. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24. 8. 2000)