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Foto: AP /Rick Bowmer
Die Amundsenstraße ist eine enge, kurvige Straße quer durch den hügeligen Wienerwald. Bis knapp an das Bankett stehen Bäume, ihre Kronen bilden ein fast geschlossenes Dach über der Fahrbahn. Darum ist es hier auch mitten am Tag recht schummrig. Für Autos gilt eine Geschwindigkeitsbeschränkung von sechzig Stundenkilometern. Sigrid Kundela hielt sich daran. Doch in einer Kurve raste ihr ein Wagen entgegen - auf ihrer Straßenseite.

An den Folgen leiden

Das, was vom Auto übrig blieb, haben Polizisten später untersucht. Sie fanden einen zerstörten Tachometer, die Nadel ist bei 130 Kilometern pro Stunde steckengeblieben. Beim Zusammenprall schlug Kundelas Stirn gegen das Lenkrad, dann wurde sie zurückgeschleudert, der Kopf prallte an die Kopfstütze. Die Folge: ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Das war vor 15 Jahren. Unter den Folgen leidet sie bis heute.

Schwere Verletzung des Gehirns

Verletzungen im Gehirn beeinträchtigen schwer, mitunter bleiben lebenslange Behinderungen zurück. Insgesamt gibt es in Österreich nach Schätzungen rund 70.000 Menschen, die eine mehr oder weniger schwere Verletzung des Gehirnes erlitten haben. Die Hauptursache sind bei jungen Menschen Unfälle im Verkehr, beim Sport oder in der Arbeit, bei älteren Menschen führen meist Stürze zum Hirn-Trauma.

Konzentrationsschwächen und Kopfschmerz

Je nach Schwere der Erschütterung reichen die Folgen von vorübergehenden Kopfschmerz bis zu lebenslanger, schwerer Behinderung. Nach internationalen Studien leiden 65 Prozent der schwer Betroffenen unter Lern- und Gedächtnisstörungen, 80 Prozent klagen über Konzentrationsschwächen.

Hirnareale zerstört

Entscheidend für das weitere Leben ist, was beim Unfall und danach im Kopf passiert. Das Gehirn ist gleichsam schwimmend im Schädel gelagert. Eine heftige Beschleunigung wirft es gegen die Innenseite des Schädels. Je heftiger der Aufprall, desto gravierender die Folgen: Durch die Quetschung können die betroffenen Hirnregionen direkt verletzt werden. Möglich ist jedoch auch, dass eine Schwellung den Druck im Kopf erhöht und dadurch umliegende Hirnareale zerstört.

Beschädigte Nervenbahn

Erkennen Ärzte diese gefährliche Situation, öffnen sie den Schädel und schaffen Platz für die Schwellung. Die Erschütterung kann aber auch Nervenbahnen im Gehirn beschädigen: Das kann zu Ausfällen beim Sehen, Hören oder Riechen führen.

Störung des Gleichgewichts

Die Folgen des Traumas hängen davon ab, welche Hirnregionen betroffen sind: Häufig leiden die Patienten unter Störungen des Gleichgewichts und der Sprachfähigkeit, unter Lähmungen und fehlender Koordination der Gliedmaßen. Doch wie reagiert das Gehirn auf die Verletzungen? "In einem bestimmten Ausmaß kann es sich neu organisieren", erklärt Heinrich Binder, Neurologe am Sozialmedizinischen Zentrum Baumgartner Höhe in Wien.

Mühsamer Lernprozess

"Areale, die zuvor nicht aktiv waren, übernehmen die Funktionen von zerstörten Zentren." Notwendig ist dafür jedoch ein oft mühsamer Lernprozess - etwa in der Physiotherapie, wo die Patienten das Schlucken trainieren oder Schritt für Schritt gehen lernen. In der Logopädie geht es um das Wiedererlangen der Sprache, Ergotherapeuten vermitteln "Tricks, wie ein Mensch mit den verbliebenen Fähigkeiten im Leben zurechtkommt", so Nikolaus Steinhoff, Neurologe im Rehabilitationszentrum Hochegg.

Überlastung oder Unterforderung

Wichtig bei all diesen Bemühungen sei die Koordination aller Beteiligten. Ansonsten drohen Überlastung oder Unterforderung, jedenfalls suboptimale Betreuung. Steinhoff schwebt deshalb ein "Case Manager" vor, der sich individuell um einzelne Patienten kümmert (siehe Interview).

Manfred Freimüller, Leiter der Neurologischen Rehabilitationsklinik in Hermagor, verweist dagegen auf erfolgreiche Pilotprojekte, in denen die Schnittstellen zwischen behandelnden Ärzten, Therapeuten und Sozialarbeitern zu "Nahtstellen" gemacht wurden. "Ein Mitglied des Teams mit besonderen kommunikativen Fähigkeiten sollte explizit die Aufgabe übernehmen und Betreuer auf dem neuesten Stand halten."

Veränderung im Kopf

Bei Sigrid Kundela hat der Aufprall auf die Nackenstütze das Sehzentrum beschädigt. Deshalb ist sie "zur Hälfte blind". "Bei genauerem Hinsehen würde man auch bemerken, dass ich einen Fuß nachziehe." Schwerer wiegt jedoch eine Veränderung im Kopf: Sie kann sich nicht mehr so konzentrieren wie früher. "Vor dem Unfall arbeitete ich an meiner Publizistik-Dissertation", erinnert sie sich, "heute fällt es mir schwer zu erfassen, was ich damals geschrieben habe. (Gottfried Derka, MEDSTANDARD, 10.12.2007)