Zur Person

Nikolaus Steinhoff ist Facharzt für Neurologie und Oberarzt im Landesklinikum Hochegg, einem unter anderem auf Schädel-Hirn-Trauma spezialisierten Rehabilitationszentrum in Niederösterreich. Zudem ist Steinhoff im Vorstand der Selbsthilfegruppe für Schädel-Hirn-Trauma- Betroffene.

Foto: IntMedCom
STANDARD: Wo hapert es in Österreich bei der Behandlung von Patienten, die ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten haben?

Steinhoff: Die Erstversorgung nach einem Unfall ist gut organisiert. Die Frage ist aber, was danach kommt. Viele Menschen tragen ja Langzeitschäden davon. Auch da gibt es eigentlich ein gutes Netzwerk, doch nur die Wenigsten wissen, wie sie das auch tatsächlich nutzen können.

Und das in einer Situation, in der ohnehin enorme Probleme anstehen: Die Patienten müssen ihre Existenz neu ordnen, stehen oft nicht nur vor emotionalen, sondern auch enormen finanziellen Problemen, sie müssen sich in der neuen Situation zurechtfinden, sich neu organisieren, den Schlüssel für ihr neues Leben finden.

STANDARD: Wer kann da wie helfen?

Steinhoff: In den kommenden beiden Jahren werden wir versuchen, die Lage gemeinsam mit Selbsthilfegruppen zu verbessern. Unser Ziel ist es, eine Beratungsstelle einzurichten, die telefonisch weiterhilft, etwa schon dadurch, dass sie informiert, an welche Stelle sich die Betroffenen wenden können, welche Angebote ihnen eigentlich zur Verfügung stehen.

STANDARD: Patienten in Wien klagen, dass sie monatelang auf einen Platz in einer Tagesklinik warten müssen.

Steinhoff: Bei den Tageszentren gibt es tatsächlich erst ein kleines Angebot. Dabei wäre gerade das besonders wichtig, weil viele Patienten ständig, über lange Zeit und immer wieder eine Therapie benötigen. Die können ja nicht immer in einem Krankenhaus leben - auch aus medizinischen Gründen: Viele Patienten können die Trainingserfolge, die sie in der künstlichen Umgebung eines Krankenhauses schaffen, nicht zuhause umsetzen. Hier wäre eine stän-dige Betreuung wesentlich besser.

STANDARD: Ist das finanzierbar? Einige Krankenkassen stehen nach eigenen Angaben schon jetzt vor der Pleite.

Steinhoff: Bei einigen Stellen gibt es tatsächlich ein Problem mit dem Verständnis für die Situation der Schädel-Hirn-Trauma-Patienten. Das führt zu weniger Unterstützung, zu weniger Therapien und damit zu einer schlechteren Betreuung. Da werden dann zehn Einheiten Physiotherapie bewilligt, doch das bewirkt weniger als ein Tropfen auf einem heißen Stein - zumal ja viele Patienten auch unter Störungen des Gedächtnisses leiden und das Erlernte rasch wieder vergessen. Besser wäre es, diese Patienten unter Supervision zuhause zu beschäftigen, ihnen sozusagen Hausaufgaben mitzugeben.

STANDARD: Das funktioniert?

Steinhoff: Ja, in Frankreich ist das bereits in einigen Regionen tatsächlich so organisiert: Da gibt es zum Beispiel Zentren für Rehabilitation und Langzeittherapie und die koordinieren für ihre Patienten die Therapien zuhause. Über eine Art Case-Management gibt es dann einen Überblick über sämtliche Therapien des Patienten.

Diese Reform der herkömmlichen Betreuungsmethoden war möglich, weil einige Betroffene in wichtigen gesellschaftlichen und politischen Positionen sitzen. Gesundheits- und Sozialministerium haben in Frankreich, im eigenen Interesse, und in engem Kontakt mit der dortigen Gesellschaft für Schädel-Hirn-Traum-Patienten sehr wesentlich dazu beigetragen, die Versorgung zu regulieren.

Unterm Strich hat das zu Einsparungen geführt, weil etwa die bessere Organisation teure sekundäre Erkrankungen der betreuenden Angehörigen vermeiden hilft.

STANDARD: Kann das auch ein Vorbild für Österreich sein?

Steinhoff: Ich denke schon. Jeder, der ein Schädel-Hirn-Trauma überlebt, hat das Recht auf qualitativ entsprechende Weiterbehandlung. Doch bei uns ist es so, dass die Betroffenen und ihre Angehörigen häufig selbst und vollkommen allein darum kämpfen müssen. (Gottfried Derka, MEDSTANDARD, 10.12.2007)