Der Osten Deutschlands wird zunehmend männlicher. Während flexible junge Frauen lieber der Arbeit in den Westen nachziehen, als sich in der Ex-DDR mit kargem Arbeitslosengeld zufriedenzugeben, bleiben die Männer zurück. Frustriert, ohne Job und eigene Familie.

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Gerdshagen/Berlin - "Da lang! Dann rechts! Rechts!" Vermutlich denken die drei jungen Männer, die trotz der Kälte am Dorfplatz von Gerdshagen hocken und mit Dosenbier gegen die Zeit antrinken, der Besuch aus Berlin müsse geistig ein wenig minderbemittelt sein. So schwer ist es doch nicht, in der kleinen brandenburgischen Gemeinde das Gemeindehaus zu finden. Es gibt ja sonst ohnehin nichts mehr. Die Schule ist längst geschlossen, das Dorfwirtshaus ebenso. Der kleine Laden mit den nötigsten Lebensmitteln öffnet nur noch stundenweise.

Doch im Gemeindehaus wird heute gefeiert. Der Nikolaus kommt in Gestalt von Bürgermeister Thomas Zellmer zu den Senioren. Kuchen steht am Tisch, es ist also ein guter Tag für die Gemeinde Gerdshagen - so lange zumindest, bis man auf "die Studie" zu sprechen kommt. "Gehen wir raus", sagt der Bürgermeister knapp und zündet sich eine Zigarette an. Zunächst möchte er etwas klarstellen: "Es sind nicht nur die Vollidioten, die bleiben. Und wir, die noch da sind, versuchen ein Gesellschaftsleben aufrechtzuerhalten." Aber natürlich kennt Zellmer - wie jeder andere Ostpolitiker auch - die Untersuchung des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. "Not am Mann" heißt sie und damit ist das Kernproblem schon erklärt. Mehr als 1,5 Millionen Menschen sind seit der Wende 1989 aus der ehemaligen DDR abgewandert, darunter deutlich mehr Frauen als Männer.

Die entlegenen Gebiete "bluten regelrecht aus", konstatieren die Autoren und kommen zu verblüffenden Ergebnissen: In weiten Teilen Ostdeutschlands herrscht ein Frauenmangel, der europaweit beispiellos ist. Selbst in den schwedischen und finnischen Polarkreisregionen mit extremen Klimabedingungen ist der Männerüberschuss nicht so groß wie in einigen Landstrichen Ostdeutschlands. Die Prignitz ist so eine Gegend und Gerdshagen hält den Negativrekord. Auf 100 Männer kommen hier nur noch 45 Frauen. "Man merkt es schon", sagt Bürgermeister Zellmer, "Frauen können sich eben besser anpassen und kommen auch in der Fremde zurecht. Junge Männer hingegen bleiben lieber im Hotel Mama und sind dort dann auch unzufrieden."

Mirko etwa versteht nicht, warum er wegziehen sollte. "Ja, ich bin arbeitslos, "aber ich hab doch hier ein Haus gebaut", sagt der 32-jährige Maurer. "Ich habe schon mal daran gedacht, nach Berlin zu gehen", meint hingegen Kumpel Markus. Aber dann ist es doch bloß bei der Vorstellung geblieben. Berlin, das ist zu weit weg, zu kompliziert. Beim Wirt drei Dörfer weiter kennt man hingegen alle. "Aber stimmt schon, auch da sitzen nur wir Männer", sagen beide.

Angelika Schmole kann das ebenfalls bestätigen. Sie trägt in Gerdshagen und Umgebung die Post aus - meist sind es Briefe für Männer. "Was will man machen, wenn es hier halt so wenig Arbeitsplätze gibt", meint sie und berichtet von einem Fall im Bekanntenkreis: "Der Sohn ist auch schon 29 Jahre alt, wohnt aber noch bei den Eltern. Die Tochter ist gleich nach dem Abitur nach Hessen zum Studieren." Dann blickt sie die ausgestorbene Dorfstraße hinunter und fügt hinzu: "Aber ich kann nicht glauben, dass junge Männer grundsätzlich dümmer sind als junge Frauen."

So etwas würde auch Steffen Kröhnert, der die Studie "Not am Mann" verfasst hat, nie behaupten. Der ostdeutsche Männerüberschuss sei das Resultat der DDR-Gesellschaftspolitik: Während die Männer dort im Bergbau und der Schwerindustrie gearbeitet haben, blieben für die Frauen Jobs in der Verwaltung, im Gesundheitswesen und im Handel. "Als dann nach dem Ende der DDR die ,Männerindustrie" zusammenbrach, schafften es viele Männer nicht, sich umzuorientieren. Frauen hingegen waren flexibler und bemühten sich um Berufe in der artverwandten Dienstleistungsbranche", sagt Kröhnert zum Standard.

Kurzfristig sieht er kaum Hoffnung für die betroffenen Landkreise. Langfristig hingegen müsse man auf bessere Bildung für alle setzen. Dann hätten wohl auch rechtsextreme Parteien nicht mehr so viel Zulauf. Derzeit jedoch, so Kröhnert, würden "viele frustrierte, partnerlose Desperados" dort jene Anerkennung suchen, die sie sonst nicht mehr bekommen, "weil das klassische Männerbild längst entwertet worden ist." (Birgit Baumann/DER STANDARD, Printausgabe, 11.12.2007)