Derzeit im Wiener Stadtkino: Jeanne Balibar und Guillaume Depardieu in Jacques Rivettes Balzac-Adaption "Die Herzogin von Langeais".

Foto: Stadtkino Verleih
Wien - Nicht viele Männer können von sich behaupten, eine Wüste durchquert zu haben. Armand de Montriveau (Guillaume Depardieu) verleiht diese Tat deshalb besondere Attraktivität. Er ist als Held aus dem Krieg zurückgekehrt. In den Pariser Salons Anfang des 19. Jahrhunderts giert man nach solchen Erzählungen, die dem geschlossenen Gesellschaftskreis eine Ahnung von den Unberechenbarkeiten der äußeren Welt vermitteln. "Er könnte interessant sein", mutmaßt auch die Herzogin Antoinette de Langeais (Jeanne Balibar) und lässt sich dem Herrn mit der strengen Miene vorstellen.

Die Herzogin von Langeais (dramatisch der Originaltitel: Ne touchez pas la hache - Berühren Sie nicht das Beil!), der neue Film des Nouvelle-Vague-Meisterregisseurs Jacques Rivette, spiegelt in gewisser Weise nichts anderes als die Konsequenz dieses ersten Schritts, aus dem ein folgenreiches Spiel aus Verführung und Zurückweisung, eine mannigfaltige Variation von Gefühlsmanipulationen hervorgeht. Während der General nach der ersten Unterredung noch siegessicher meint, soeben seiner Geliebten begegnet zu sein, ist die Herzogin beim nächsten Zusammentreffen schon um die passende Inszenierung bemüht.

Das Zimmer lässt sie abdunkeln, der Fuß ragt kokett aus dem Gewand hervor, aber ist sie sich erst einmal der ungeteilten Aufmerksamkeit ihres Gegenübers sicher, zieht sie nicht nur diesen wieder rasch zurück. Etikette (die Herzogin ist verheiratet), die Erregung, die ein Verstoß gegen diese noch steigern kann, und die Verwechslung (oder Ununterscheidbarkeit) von Koketterie und authentischem Gefühl: Zwischen diesen Eckpfeilern lotet Rivette auf minutiöse Weise aus, wie eine Liebe an Hindernissen zerbricht, die nie ganz festzumachen sind. Oder von denen es vielleicht einfach zu viele gibt.

Low-Budget-"Leopard"

"Wie macht man Der Leopard mit 3,5 Franc" - dies sei die eigentliche Herausforderung des Films gewesen, sagt Rivette über seine nach Out 1 (1971) und Die schöne Querulantin (La belle noiseuse,1991) nunmehr dritte Adaption eines Romans von Honoré de Balzac. Ursprünglich plante er ein Verschwörungsdrama in der Gegenwart. Die Klassizität und Zurückhaltung schadet dem alternativen Film in keiner Weise, sondern steigert seine Konzentration noch: auf die Studie einer komplizierten Anziehung, die als ein eindringliches Kammerspiel ausgetragen wird. Dem Raum und der Ausstattung kommen trotz Kargheit Hauptrollen zu, während andere Figuren (etwa Michel Piccoli als süffisanter Vertrauter der Herzogin) bloß Rat gebende Nebenrollen einnehmen.

Die Kamera von William Lubtchansky rückt von den Körpern nie zu weit weg, kommt ihnen auch nicht zu nah, aber sie lässt die Teile mit elegantem Schwung miteinander sprechen. Der Ton betont das Stoffliche und verleiht dem Drama plastische Qualität. Rivette, der schon immer eine Vorliebe für theaternahe Stilisierungen hatte, zieht den Vorhang nach Belieben auf und zu, so als würde er das im Film angesprochene Streben nach Unendlichkeit der Seele als Illusion enttarnen wollen. Balibar und Depardieu tragen den Kampf um die Führung in einem Liebesduell aus, das umso intensiver wird, je weniger sie sich vertrauen.

Die gesellschaftlichen Rollen geben diesem Geschlechterkampf eine politische Dimension. Schon der Beginn des Films, ein Vorausblick, erzählt von einer selbst gewählten Verbannung. Die Herzogin lebt in einem Kloster, der General sucht sie schon seit geraumer Zeit und sieht in Gott nur einen weiteren Nebenbuhler. Vor einem Gitter tauschen sie sich verstohlen aus. Nicht nur an dieser Stelle wird Die Herzogin aus Langeais auch als das Gefecht zweier Weltanschauungen lesbar, zwischen einem ungestümen Bürgertum und einer defensiven Aristokratie, das in auswegloser Verhärtung enden muss. Der Gang durch die Wüste war für den General nur ein Vorspiel für ein viel längeres Martyrium. (Dominik Kamalzadeh /DER STANDARD, Printausgabe, 11.12.2007)