"Für mich ist es egal, ob Legionär oder Österreicher, für mich ist es wichtig, dass sie Eishockey spielen können und dass sie Charakter haben"

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Der Grunddurchgang in Österreichs Erste Bank Eishockey Liga nähert sich langsam dem Ende, nach der Platzierungsrunde geht es im Playoff um den Titel. Höchste Zeit also, sich bei den Vienna Capitals nach dem Stand der Dinge umzuhören. Im Interview mit Trainer Kevin Gaudet wurde die aktuelle Torhüter-Problematik ebenso angesprochen, wie die Vorfälle in Villach, als die Spielerbank der Caps ins Zentrum des Geschehens rückte. Auch Farmteams, Nachwuchs, Legionärsbeschränkung, Nationalteam, Vergleiche mit NHL und DEL, Status der Liga, ein schlimmes Erlebnis mit Straubing, Kanada, Fußball und Skifahren waren Thema. Mit Kevin Gaudet sprach Thomas Hirner.

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derStandard.at: Wie groß war Ihre Erleichterung nach dem Zwischentief mit drei verlorenen Spielen (zu Hause gegen Innsbruck und zweimal gegen Laibach) ausgerechnet in Innsbruck wieder auf die Siegerstraße zurückzukehren?

Kevin Gaudet: Sehr groß! Innsbruck war nur drei Punkte hinter uns, sie haben uns eine Woche vorher geschlagen. Sie sind die heimstärkste Mannschaft der Liga. Und mit diesem Sieg sind wir auch noch an der Spitze drangeblieben.

derStandard.at: Sie haben nach der zweiten Niederlage gegen Laibach die Chancenverwertung bemängelt. Hat sich durch die Erfolge ein gewisser Schlendrian bei den Sturmlinien eingeschlichen?

Gaudet: Ohne Frage, alles spielt eine Rolle. Der Torwart von Ljubljana ist hervorragend, das spielt auch eine Rolle. Wir haben beide Spiele 40 Schüsse gehabt, das ist viel im Eishockey. Dabei haben wir aber einmal nur zwei Tore geschossen und das andere Mal nur eins. Nur drei Tore aus 80 Schüssen ist nicht gut. Aber Westlund ist ein hervorragender Keeper, wir haben immer Probleme mit ihm gehabt, auch in den anderen zwei Spielen. Da haben wir einmal im Penaltyschießen 2:1 gewonnen und einmal haben wir auswärts im Penaltyschießen verloren. Das war großteils die Leistung des Tormanns, keine Frage. Wenn wir nur 15 oder 20 Schüsse gehabt hätten, dann könnte man sich fragen, ob es vielleicht an mangelndem Kampfgeist oder sonst was gelegen hätte, aber wenn man 40 Schüsse gegen ein Team abgibt, das um den sechsten Platz kämpft - und die Slowenen kämpfen wirklich hart um diesen sechsten Platz - dann hat das sehr viel mit dem Tormann zu tun.

derStandard.at: Abgesehen von einer regelrechten Torhüter-Epidemie läuft es für die Capitals diese Saison ganz gut, nach Stammkeeper Jean-Francois Labbé hat sich auch Ersatz Sebastien Charpentier verletzt. Wie geht es den beiden?

Gaudet: Ich denke, Charpentier kommt in den nächsten drei, vier Wochen ins Spiel zurück, hundertprozentig. Labbé kommt am 28. Dezember wieder, er wird dann mit dem Training beginnen. Also ich bin sicher, dass auch er im Februar für die Play-Offs bereit sein wird. Wir können nur an diesen Moment denken, wir haben zweimal großes Glück gehabt. Zum Einen, dass wir nach Labbe Charpentier bekommen haben, zum Anderen dass wir Kelly Guard verpflichten konnten, der gleich in seinem zweiten Spiel ein Shutout verzeichnete. Das war auch ein echter Glücksgriff.

derStandard.at: Wird Ersatzgoalie Florian Weisskircher in absehbarer Zeit wieder eine Chance erhalten, bei seinem ersten Einsatz war er wohl zu nervös?

Gaudet: Wer weiß, was in einem Kopf vorgeht. Normalerweise muss man nervös sein, wenn man zu Hause in einer ausverkauften Halle das erste große Spiel in seinem Leben spielt. Es war ein harter Tag für ihn, aber er ist noch jung und wird daraus lernen. Wir haben jetzt noch sieben Spiele. Vielleicht hat ein Ergebnis am Ende nicht eine so große Bedeutung für die Tabelle, dann möchte ich ihm auf jeden Fall noch eine Chance geben, damit er sich von seiner besseren Seite zeigen kann, keine Frage.

derStandard.at: Leider kommt es auch im Eishockey manchmal zu Übergriffen von "Fans" auf Spieler und umgekehrt (siehe Match in Villach gegen VSV, Latusa). VSV-Obmann Giuseppe Mion sagte zum Spiel in Villach: "Die Provokationen der Wiener sind auf Dauer nicht akzeptabel, mit anderen Mannschaften haben wir im Bereich der Spielerbank keine Probleme". Haben die Caps tatsächlich provoziert?

Gaudet: Mion verteidigt seine Zuschauer, Punkt. Wir haben überhaupt gar nichts gemacht auf der Bank. Im ersten Spiel im Oktober habe ich in Villach einen Gegenstand auf den Kopf bekommen, ich habe dann ein Timeout genommen, wir lagen zu dem Zeitpunkt ein Tor hinten. Münzen, Feuerzeuge, Bier kamen geflogen, das ist peinlich. Ich habe schon beim ersten Mal gesagt, wir brauchen Polizei hinter unserer Bank. Ich habe 15 Jahre in Deutschland gearbeitet und nie ist etwas Vergleichbares passiert. Wenn nämlich dort so etwas passiert wäre, hätte es eine saftige Geldstrafe gegeben und Spiele vor leerer Halle. Also konnte man sicher sein, dass soetwas nicht passiert. Das zweite Spiel war dasselbe, fliegende Gegenstände, Timeout, mein Co-Trainer hat ein Centstück an den Kopf bekommen und geblutet, das hätte auch ins Auge gehen können. Und gegen den Mann, der von oben auf unsere Bank zukam, haben wir uns verteidigt, wie man sich eben als Mensch verteidigt, wenn man mit Gegenständen beworfen wird. Wir haben nichts Schlimmes gemacht, nur gesagt, er soll da weggehen.

derStandard.at: Am Donnerstag ist der VSV zu Gast in Wien. Es geht um die Bestätigung des guten Ergebnisses in Innsbruck. Ihr Tipp für das Spiel?

Gaudet: Es wird bestimmt eine ganz enge Sache, weil die Villacher auch um den letzten Play-Off-Platz kämpfen und unbedingt gewinnen müssen. Das heißt, sie werden bestimmt 110 Prozent geben. Und wir möchten den ersten Platz zurückerobern. Das wäre mit einem Sieg möglich. Es wird daher ein sehr hartes Spiel von beiden Seiten.

derStandard.at: Der Grunddurchgang umfasst 36 Runden, dann kommen Platzierungsspiele (10 Runden) dann Play-Off mit Viertel-, Halb- und Finale, also bis zum Titelgewinn noch einmal 11 Spiele Minimum, 19 maximal. Gesamt also 57 bis 65. Das Ganze – abgesehen von wenigen Pausen - im Zweitages-Rhythmus. Ist die physische und psychische Belastung für Spieler nicht zu groß?

Gaudet: Das ist eben Eishockey. Das ist nicht nur hier so, das wird auf der ganzen Welt im Prinzip so gespielt. Eishockey ist einfach ein sehr harter Sport, man muss wirklich sehr fit sein, man hat sehr viel Körperkontakt, das kostet Kraft. Aber die NHL ist natürlich noch härter, die spielen drei, viermal die Woche. Wir haben zwar schon auch acht Spiele in 16 Tagen gespielt, aber das ist der Deal, man muss damit leben. Alle Mannschaften haben den gleichen Druck.

derStandard.at: NHL-Klubs verfügen aber auch über größere Kader, haben Farmteams, aus denen sie schöpfen können.

Gaudet: Genau, das ist der Unterschied, wir haben keine Farmteams. Die werden immer vier Reihen haben, egal was passiert, egal wieviele Spieler verletzt sind.

derStandard.at: Aber auch die Wiener kooperieren mit dem ehemaligen WE-V, dem EHC Team Wien. Wie läuft dieses Projekt?

Gaudet: Wir können auf Tormann Walter Bartholomäus zurückgreifen. Aber ich denke, die Stürmer und Verteidiger müssen sich erst noch etwas entwickeln, damit sie uns auch wirklich helfen können.

derStandard.at: Der Niveau-Unterschied ist noch zu groß?

Gaudet: Ja, viel zu groß. Sehr, sehr groß! Die Unterschiede zwischen den Farmteams und den NHL-Klubs sind da weit nicht so groß. Das ist nicht zu vergleichen. Ich hoffe, dass ein Lembacher irgendwann einmal bei uns spielen kann, aber er ist erst 18 und das dauert einfach seine Zeit.

derStandard.at: Die Caps lagen lange Zeit an der Spitze, sind aktuell auf dem zweiten Tabellenplatz, nur zwei Punkte hinter Jesenice. Im Kader stehen 10 Legionäre und 13 Österreicher. Liegt es an der guten Mischung, dass die Caps heuer so stark sind?

Gaudet: Für mich ist es egal, ob Legionär oder Österreicher, für mich ist es wichtig, dass sie Eishockey spielen können und dass sie Charakter haben. Linz und Red Bull zum Beispiel haben sehr gute Österreicher. Trattnig, Hohenberger, Kalt, Baumgartner...das sind Nationalspieler, die genauso gut sind, wie Legionäre. Bei uns passt die Mischung. Ich habe viel Arbeit investiert, die richtigen Charaktere in die Mannschaft zu holen. Dieser Charakter ist der Grund für unseren Erfolg. Sie spielen für sich, sie spielen gerne zusammen, sie trainieren gerne zusammen, sie mögen einander.

derStandard.at: Während die Mehrheit für eine Reduktion der Punktegrenze auf 55 Punkte ist, propagieren die Vienna Capitals, eine Erhöhung von 65 auf 70. Um das Nationalteam besorgte Fans schreien auf und sagen: "Das bedeutet de facto noch mehr Legionäre". Was entgegnen Sie?

Gaudet: Es kommt darauf an, was das Ziel der Liga ist. Ich habe die Liga letztes Jahr verfolgt und ich sehe sie dieses Jahr und meiner Meinung nach ist der Unterschied groß! Wir haben die Liga verbessert, das Tempo ist viel höher, jeder kann jeden schlagen, es macht auch den Zuschauern viel Spaß und es ist besser für die Nationalspieler, weil sie eben ein höheres Tempo spielen müssen. Es ist nicht einfach, wenn man das ganze Jahr bei geringerem Tempo spielt, dann nur zwei Wochen für die Weltmeisterschaft trainiert und dann das Turnier spielt. In Deutschland sind sie bereit für die WM, weil sie das ganze Jahr ein hohes Tempo gehen. Ich glaube, wenn man sich verbessern will und mit dem Nationalteam wieder in die A-Gruppe kommen will, dann ist das der richtige Weg.

derStandard.at: Sie kennen ihr Geschäft gut. Zum einen sind Sie Kanadier, zum anderen haben Sie jahrelang in Deutschland (Hannover Scorpions, Straubing) gearbeitet. Sie sind vermutlich mit Eishockey aufgewachsen, oder?

Gaudet: Ja natürlich, ich habe mit vier Jahren angefangen zu spielen.

derStandard.at: Gleich in einem Verein oder auf zugefrorenen Gewässern?

Gaudet: Beides. Wir haben bei uns, wo ich wohnte, den ganzen Winter - da kann es sehr kalt sein - sowohl im Freien als auch auf normalen Eisplätzen gespielt.

derStandard.at: Wo genau war das?

Gaudet: In Moncton, das ist in etwa zwei Stunden von Halifax entfernt und liegt fast am Atlantik. In der 100.000-Einwohner-Stadt gibt es 15 Eisarenen. Dort habe ich angefangen, habe auf der Universität gespielt und mit denen ein paar Meisterschaften gewonnen. Dann habe ich NHL-Probezeit in Edmonton gehabt, da war auch Wayne Gretzky, dann kam Minnesota - das war vor 25 Jahren - und ja dann bin ich nach Deutschland gekommen, war Spieler und Trainer. Tja und der Rest ist Geschichte.

derStandard.at: Wie beurteilen Sie die "Österreichische Eishockey-Schule" und wie schätzen Sie die Stärke der Liga ein?

Gaudet: Ich denke prinzipiell ist alles ganz gut, nur wenn man die Liga mit der Deutschen Liga vergleicht, dann sieht man, dass die DEL professioneller ist, die Teams besser sind. Natürlich haben sie mehr Geld, kriegen bessere Spieler. Sie haben einen besseren Nachwuchs. Aber wie gesagt, man braucht Zeit und ich denke, wir haben gesehen, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden, das österreichische Eiskockey zu verbessern. Wir haben Dolezal, Altmann, Latusa, Höller, sie sind alle besser geworden diese Saison.

derStandard.at: Würden Sie einem jungen Hockeyspieler raten, ins Ausland zu gehen um dort Hockey zu lernen, oder soll er hierzulande lernen und erst später einen Auslandstransfer anstreben?

Gaudet: Es kommt darauf an, was sein Ziel ist und wo er in seiner Entwicklung steht. Manchmal ist es gut zu wechseln, weil man vielleicht wo anders mehr Eiszeit bekommt oder von einem Trainer viel lernen kann. Es gibt viele Gründe, warum man den einen oder anderen Weg gehen sollte. Ins Ausland zu gehen ist manchmal sehr gut, manchmal weniger, das kommt ganz auf den Spieler an.

derStandard.at: Welche zwei Teams kommen diese Saison ins Finale?

Gaudet: Die Wahrheit ist, dass die Liga so stark ist, dass sechs Teams Meister werden können. Es wird darauf ankommen, gesund zu bleiben und Glück zu haben. In den Playoffs können glückliche Tore, die von Kopf oder Oberkörper abgefälscht werden, entscheiden. Spiele werden mit einem Tor Unterschied entschieden werden. Die Mannschaften sind einfach zu gut. Alle geben 100 Prozent. Man muss die Mannschaft nicht motivieren. Das Spiel wird einfach von den Hockey-Göttern gelenkt.

Ich bin in den letzten 15 Jahren schon so oft in den Play-Offs gestanden, ich habe alles gesehen. Mein schlimmstes Erlebnis war mit Straubing. Wir haben in der ersten Runde gegen den Titel-Favoriten gespielt. Wir waren Dritte, die waren Sechste, sie haben schlecht gespielt in der Vorrunde. Acht Sekunden vor Schluss stand es 3:2, einige Spieler haben sich auf der Bank schon die Hände geschüttelt, 5.000 Zuschauer haben schon gefeiert, als ein Verteidiger von denen aus Frust den Puck von der blauen Linie Richtung unser Tor schoss, mein Torwart wollte die Scheibe zur Verhöhnung direkt zurückschießen, verfehlte diese aber und da war es schon geschehen. Die Scheibe kullerte ins Tor. Es gab Verlängerung, wir gingen als Verlierer vom Eis und dann haben wir auch die Serie verloren. Wenn man das erlebt, dann kann alles passieren. Ich war sooo sauer.

derStandard.at: Sind sie auch an Fußball interessiert?

Gaudet: Ja natürlich! Ich verfolge die Ligen verschiedener Länder, vor allem Deutschland und auch ein bisschen Österreich. Ich schaue besonders gerne Weltmeisterschaften und verstehe jetzt auch viel mehr von Fußball, als früher. Jetzt fangen in Kanada übrigens schon mehr junge Leute mit Fußball an, als mit Eishockey.

derStandard.at: Ihr Vorgänger bei den Caps, Jim Boni hat gemeint, Fußball ist viel zu langsam, da schläft man beim Zuschauen ein.

Gaudet: Ja klar, Eishockey ist eine ganz andere Sportart, ist viel schneller, aber was mir Spaß macht, ist, die Tore anzuschauen.

derStandard.at: Gehen Sie auch manchmal Skifahren?

Gaudet: Vor 22 Jahren war ich Spieler-Trainer in Méribel, Frankreich. Les Trois Vallées, das ist die größte Piste der Welt. Dort war ich vier Monate lang jeden Tag Skifahren, aber seit dieser Zeit hab ich es kein einziges Mal mehr gemacht, seit 22 Jahren. Ich würde es gerne hier in Österreich wieder einmal probieren, weil es sehr viel Spaß gemacht hat.