Der in der vorigen Woche abgesandte Brief der vier größten EU-Staaten - Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs und Italiens - an die anderen 23 Mitgliedsstaaten mit der klaren Stellungnahme gegen weitere Verhandlungen war ein überfälliger Schritt, um die Hängepartie über den Status der abtrünnigen Kosovo-Provinz zu beenden und grundsätzliche Klarheit über die Zukunft des von Serbien beanspruchten UN-Protektorates zu schaffen. Was Konfliktprävention und Konfliktlösung betrifft, gehören die Jugoslawienpolitik im Allgemeinen und die Kosovofrage im Besonderen nicht zu den Glanzleistungen der westlichen Diplomatie.

Nicht wenige westliche Diplomaten und Journalisten betrachten das lästige Kosovoproblem mit kaum verhohlenem Zynismus, gemischt mit Ignoranz gegenüber der Geschichte Serbiens und der Kosovo-Albaner. Sie vergessen oder verdrängen die Tatsache, dass seit der Eroberung dieser an Naturschätzen reichen Region durch Serbien in den Balkankriegen 1912/13 die serbische politische Klasse - ausgenommen in den 70er-Jahren während der Tito-Ära - im Grunde ein "Kosovo ohne Albaner" (so der Balkan-Historiker Prof. Holm Sundhaussen) behalten und verwalten wollte.

Bereits die jugoslawische Verfassung von 1946 garantierte (freilich nur auf dem Papier) das Recht auf "freien Austritt aus der föderativen Volksrepublik", und in der Verfassung von 1974 hatte Kosovo als autonome Provinz innerhalb Serbiens auf Bundesebene den gleichen Status und die gleichen Rechte wie die jugoslawischen Teilrepubliken, was die Vertretung in den obersten Bundesorganen und das faktische Veto anbelangt.

Nach Titos Tod kam es zu Zwischenfällen, als die jungen Albaner für ihre Region (mit damals 1,8 Millionen Einwohnern) den gleichen Status einer jugoslawischen Teilrepublik forderten, den die nicht einmal eine halbe Million zählenden Montenegriner von Anfang an besaßen. Der serbische Ministerpräsident Kostunica will einen "Schurkenstaat Kosovo" nie anerkennen, obwohl er das Referendum der Montenegriner zugunsten ihrer staatlichen Unabhängigkeit von Serbien zur Kenntnis nehmen musste.

Kosovo wurde eigentlich bereits 1999 unabhängig, als die NATO nach 78 Tagen den serbischen Widerstand durch Luftangriffe brach. Es war der später wegen Kriegsverbrechen angeklagte Serbenführer Slobodan Milosevic, der durch eine illegale und brutale Gewaltherrschaft ab 1997 die Autonomie gänzlich liquidierte, den bewaffneten Widerstand der Kosovaren und schließlich die Kettenreaktion der blutigen Jugoslawienkriege provozierte.

Nach der Vertreibung von hunderttausenden Kosovaren nach Mazedonien und Albanien und dem gewaltsamen Tod von fast zehntausend Menschen übten die zurückgekehrten Albaner blutige Rache. Seitdem sind die Serben - heute kaum 5 Prozent der Gesamtbevölkerung - (und die Roma) immer wieder Opfer von albanischen Gewalttaten, zuletzt 2004.

Deshalb hatten die zwei herausragenden UNO-Vermittler, der finnische Ex-Präsident Martti Ahtisaari und der frühere Generalsekretär des österreichischen Außenamtes, Albert Rohan, in ihrem von Serbien und Russland verworfenen Projekt der "überwachten Unabhängigkeit" detaillierte Schutzbestimmungen für die rund 100.000 Einwohner starke serbische Minderheit und die weitere Stationierung internationaler Truppen (derzeit 16.000 Mann) und ausländischer Polizeikräfte mindestens für zwei Jahre vorgesehen.

In der gefährlichen Übergangsperiode vor der Unabhängigkeitserklärung der Kosovaren ist angesichts der russischen Veto-Drohung im UN-Sicherheitsrat die Einigkeit der EU die wichtigste Voraussetzung der Handlungsfähigkeit. (Paul Lendvai/DER STANDARD, Printausgabe, 13.12.2007)