Bild nicht mehr verfügbar.

Es ist "ku er", cool.

Foto: Paul Hilton/EPA, Cancan Chu/Getty Images

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Weihnachtsbaum ist in China meist aus Plastik.

Foto: Paul Hilton/EPA, Cancan Chu/Getty Images
Der 40-jährige Bauer hält im City-Einkaufszentrum Xindongan zwei große rot-silberne Christbaumkugeln in seinen schwieligen Händen. Er schüttelt sie vorsichtig, lauscht, ob sie klingeln. Er kommt aus Pekings ländlichem Vorort Daxing und schaut sich neugierig im Untergeschoß des Riesenkaufhauses um. Zwischen den festlich geschmückten Buden und Verkaufsständen läuft er verunsichert umher. Aber die Kugeln gefallen ihm. Nach kurzem Zögern kauft er sie für umgerechnet zwei Euro.

Ich stehe neben dem Landwirt und frage ihn, was er mit den glitzernden Gebilden vorhat. Er wolle sie über seine Haustür hängen. Sie würden zu dem im Januar gefeierten Frühlingsfest passen, bei dem traditionell auf rotem Papier zwei von oben nach unten gepinselte Glückssprüche an die Türen geklebt werden. Ich erzähle, dass die Kugeln bei uns an einen Weihnachtsbaum gehängt werden, der im Zimmer steht. Er sieht mich verschmitzt an. Ich merke, dass er mir kein Wort glaubt. Einen Baum in seine gute Stube stellen? Auf was für komische Einfälle die Ausländer doch immer wieder kommen.

Höchster Weihnachtsbaum Chinas

Das war im Dezember 2000. Das Pekinger Einkaufszentrum hatte seinen ersten Weihnachtsmarkt ausgerichtet und in seinem Basement versteckt. Heute, sieben Jahre später, findet Weihnachten in aller Öffentlichkeit statt. "Ganz über drüber", schwärmt mir Sunny Lee vor, die PR-Frau beim Schanghaier Times Square. Die Shopping-Mall der Luxusklasse plant eine Extravaganza, die selbst die verwöhnten Schanghaier anlocken soll. Auf ihrer Piazza glitzert seit 6. Dezember der mit 38 Metern "höchste Weihnachtsbaum Chinas". Drum herum ist Fantasialand.

Das christliche Fest, für das Chinas Sweatshops heute zwei Drittel allen Spielzeugs, aller Dekorationen und Verpackungen in alle Welt liefern - in den USA sind es 85 Prozent -, erobert sich auch das Reich der Mitte. Beim Konsum ist es längst präsent. Die gigantischen Ableger von Ikea, Metro, Carrefour bis Wal-Mart werben in Chinas Städten mit Weihnachtsangeboten und Spezialkatalogen. Auch rein chinesische Supermarktketten springen auf den Zug auf. Beim Rundgang durch die City verraten seit Ende November immer mehr Schaufenster mit aufgesprühten Porträts von Santa Claus, worum es geht. Die Aufschriften allein führen allerdings oft in die Irre: "Murry Chrixmash" oder "Morry Ctristmhus" sind unfreiwillige Blüten des "Chinglish"-Kauderwelsch, wie chinesisches English genannt wird. Die Falschschreibung trotzt bisher allen Korrekturkampagnen.

Missionierung erlaubt

Lange feierten nur Chinas Christen Weihnachten. Ab 1980 durften sie sich zuerst, versteckt wie eine verschworene Gemeinschaft, zu Mitternachtsmessen, Gesangsgottesdiensten und häuslichen Adventzusammenkünften treffen. Inzwischen sind ihre Kirchen Heiligabend überlaufen, warten lange Schlangen von Neugierigen auf Einlass. Am 24. Dezember werden in Peking 21 Kirchen für Protestanten geöffnet sein, die wegen des Andrangs bis zu drei Gesangsgottesdienste hintereinander anbieten wollen. Pekings Katholiken stehen 17 Gotteshäuser offen, darunter vier Kathedralen. "Wir werden dieses Jahr vor der Nordkathedrale (Beitang) eine Aufklärungsaktion für Passanten starten, warum Christen Weihnachten feiern", sagt Liu Bainian, ein Sprecher der offiziellen Kirche. Peking setzt ein kleines Signal, indem es die Missionierung zu Weihnachten erlaubt.

Für die Hip-Hop-Generation liegt das Fest seit Jahren voll im Trend. Es ist "ku er", cool. Nicht, weil es in den frostigen Winter fällt, sondern weil es "so romantisch" wie das ebenso übernommene Valentinsfest ist. IT-Ingenieur Shui Hengjiang ist es egal, wie es woanders gefeiert wird. "Für mich ist es eine Gelegenheit, um abzutanzen und zu relaxen" Noch vor ein paar Jahren fragten linientreue Zeitungen mit vorwurfsvollem Unterton die Jugend: "Liebt ihr es - das Fest des Auslands?" Rockstars, Computerfreaks, Studenten und Börsenspekulanten antworteten "dangran", ja, klar doch. Die Trend-Zeitschrift Mu Yu charakterisierte Chinas Weihnachtsfans als "jung, zwischen 16 und 35, avantgardistisch und Leute, die viel Freizeit haben". Hinzu kommen die ganz Kleinen. Mickey Mouse stattet sie für den Trip aus: Ihren chinesischen Weihnachtssonderheften liegen Nikolausmützen bei.

Hohoho

Witzige SMS, Klingeltöne, Blogs und Weihnachtsfilmchen auf "tudou.com" verbreiten vorweihnachtliche Gefühle der schrägen Art. "Merry Christmas" gibt es als Abziehschrift auf nackte Haut oder vom Tätowierer auch unter die Gürtellinie. Die Weihnachtskarte ist der Hit von gestern. Die Schriftstellerin Chi Li aus Wuhan in Zentralchina pflegte bis vor zwei Jahren aufklappbare bewegliche Grußkarten zu schicken. Beim Öffnen springt ein Weihnachtsmann im Boxring heraus und schlägt ein Rentier k. o.: "Hohoho" lachten die Chinesen dazu.

Trendillustrierte nennen Weihnachten ein Muss für die Lebensart der "Weiße-Kragen-Generation" und der Neureichen. Die chinesischen Ausgaben von Elle oder Figaro geben Einrichttips für "Schöneres Wohnen - mit dem Weihnachtsmann". Blauweißes Porzellan macht sich gut vor Weihnachtsrot und grünen Zweigen. Im Bad gehören Kerzen und Mistelzweige auf den Wannenrand und Rosenblätter ins Badewasser. Ein Katalog von Cosmopolitan offeriert 2007 Kleider, Düfte und Geschenke von 100 Euro an aufwärts - bis hin zum Porzellanschiff für den Büroschreibtisch des chinesischen Managers von Lladro für 135.000 Euro. Für Kurzurlaube sind Finnland (weil es am 24. 12. am kältesten ist), Paris (weil es am romantischsten ist) und Thailand (weil es in ist, das Christenfest im Buddhistenland zu erleben) angesagt. Wer im Land bleibt, kann sich am Heiligabend verwöhnen lassen: Im "Regent" gibt es österreichisches Ambiente im Wiener Saal, das Menü zu 2008 Yuan (208 Euro).

"Sexy"-Weihnacht

Statt "Happy"-Weihnacht ist 2007 unter der ideologisch prüden Oberfläche "Sexy"-Weihnacht angesagt. Chinas Dezemberausgabe von Good Housekeeping legt ihrem "Weihnachts-Spezial" ein Sonderheftchen bei, für mehr Sinnlichkeit unter dem Baum - "mit 101 Stellungen und Verhaltensweisen". Anregender Rat für die "Liebe in der stillen Nacht", die nicht unbedingt eine heilige Nacht sein muss: "Beide sagen kein einziges Wort und lauschen nur den Atemzügen des anderen."

Der Weihnachtsbaum ist in China meist aus Plastik. Schließlich ist das Land weltweit der größte Produzent und Exporteur davon. Echte Tannen leisten sich fast nur Europäer, die sie auf Blumenmärkten erstehen. Allerdings ist in China auch der Christbaum vor Fälschungen nicht gefeit. Im Pekinger Flora-Supermarkt stieß ich 2003 auf einen Baum wie aus dem Bilderbuch. Unten dicht und nach oben schlank gewachsen, kerzengrade und saftig grün. Nach langem Feilschen vom Startpreis 680 Yuan (75 Euro) eroberte ich ihn für 480 Yuan. Der Verkäufer gab das Prachtstück widerwillig ab, weil er ein "alter Freund von mir" sei. (Wir kannten uns da knapp eine halbe Stunde). Der Baum nadelte bei mir zuhause so schnell ab, dass ich ihm bald auf seinen dürren Stamm schauen konnte, an dem Dutzende von Tannenzweigen befestigt waren. Immerhin brachte mir der Baum mehr als ein Kilo biegsamen Draht ein, ein wahrer Schatz bei den heutigen Rohstoffpreisen.

Wahrlich kein Mangel herrscht an Weihnachtskitsch in den Geschäften. Die Accessoires spiegeln das weltweite Potpourri an Weihnachtsgebräuchen wider, von nachgemachten (Erzgebirge)-Pyramiden bis zur farbenfrohen Folklore Mexikos. Irgendetwas aus dem globalisierten Mischmasch hält zum Fest Einzug bei allen chinesischen Einkindfamilien. Wozu es dient, ist gleich. Auch für den Bauer aus Daxing. Er wollte mit den Christbaumkugeln vor der Tür nicht das ankommende Jesuskind feiern, sondern nach alter Sitte zum neuen Jahr die bösen Geister vertreiben. (Johnny Erling/Der Standard/rondo/14/12/2007)