Vatikanstadt - Der österreichische Kurienkardinal Alfons Maria Stickler, das älteste Mitglied des Kardinalskollegiums, ist am Mittwochabend im 98. Lebensjahr im Vatikan gestorben, wie Kathpress meldet. Der ehemalige Präfekt der vatikanischen Bibliothek und des päpstlichen Archivs (bis 1988) stammte aus Neunkirchen in Niederösterreich, wo er am 23. August 1910 geboren wurde. Er trat jung in den Orden der Salesianer Don Boscos ein, 1937 wurde er zum Priester geweiht. Im September 1983 - unmittelbar vor dem ersten Österreich-Besuch von Papst Johannes Paul II. - wurde Stickler zum Titularerzbischof ernannt und im Mai 1985 in das Kardinalskollegium aufgenommen.

1983 berief Johannes Paul II. den Österreicher als Nachfolger von Kardinal Antonio Samore zum "Pro-Bibliothekar der Heiligen Römischen Kirche" und ernannte ihn gleichzeitig zum Erzbischof mit dem Titularsitz Bolsena. Am 7. Juli 1984 übertrug ihm Johannes Paul II. außerdem die Leitung des vatikanischen Geheimarchivs. Während seiner Amtszeit setzte sich Stickler unermüdlich für die Erhaltung und Modernisierung der Vatikan-Bibliothek ein, die nicht nur als Aufbewahrungsort der weltweit reichsten Sammlung an Handschriften (rund 70.000) gilt, sondern auch eine Million gedruckter Bücher, rund 150.000 Kupferstiche und eine überaus wertvolle Münzsammlung umfasst. Unter der Leitung des österreichischen Kardinals wurde ein großer Bunker errichtet, in dem die wichtigsten Schätze der Bibliothek (unter anderem der "Codex Vaticanus") atombombensicher untergebracht sind.

Überaus ablehnend äußerte sich der konservative Traditionalist Stickler zu dem hierarchiekritischen "KirchenVolksBegehren" in Österreich. Der Kardinal, der ein vehementer Befürworter des vorkonziliaren tridentinischen Messritus war, sagte damals wörtlich, das "Aufbegehren" richte sich gegen den Papst und "gegen das Wesen unseres Glaubens". Der Autorität des Lehramtes müsse sich auch das Gewissen des Einzelnen unterordnen.

"Friedlich entschlafen"

Kardinal Stickler sei am Mittwochabend um 19.30 Uhr "friedlich entschlafen", gab der Linzer Diözesanbischof Ludwig Schwarz im Gespräch mit Kathpress bekannt. Schwarz kannte Stickler aus seiner Zeit als Provinzial der römischen Provinz der Salesianer Don Boscos sehr gut. Der älteste Purpurträger lebte in den letzten Jahren sehr zurückgezogen in seiner Wohnung im Palazzo del Sant'Uffizio.

Der verstorbene Kardinal stammte aus einer großen Familie. Er war das zweite von insgesamt zwölf Kindern. Nach der Matura in Wien trat er in das Noviziat der Salesianer Don Boscos ein und legte am 15. August 1928 die Ordensprofess ab. Seine theologischen Studien absolvierte er in Benediktbeuern und setzte sie in Turin und Rom fort. An der römischen Lateranuniversität promovierte er zum Doktor beider Rechte.

Rektor der Hochschule

Stickler lehrte Kirchenrechtsgeschichte an der kanonistischen Fakultät der römischen Salesianer-Universität, wurde Dekan der Fakultät und schließlich Rektor der Hochschule. Am 25. März 1971 (Aschermittwoch) ernannte ihn Papst Paul VI. zum Präfekten der Vatikanischen Bibliothek; für Stickler war es nach eigener Aussage der bedeutendste "Wechsel seines Lebensgleises". Am 8. September 1983 wurde Stickler zum "Probibliothekar der Heiligen Römischen Kirche" und gleichzeitig zum Titularerzbischof von Bolsena ernannt. Papst Johannes Paul II. persönlich weihte ihn am Fest Allerheiligen 1983 zum Bischof. Am 7. Juli 1984 übertrug ihm Johannes Paul II. außerdem die Leitung des vatikanischen Geheimarchivs. Im Konsistorium vom 25. Mai 1985 erhob ihn Johannes Paul II. zum Kardinal und übergab ihm als Titelkirche San Giorgio in Velabro (die Kirche wurde in der Nacht vom 27. auf den 28. Juli 1993 bei einem Bombenanschlag vermutlich der Mafia schwer beschädigt). Ab diesem Zeitpunkt war Stickler bis zu seinem Ruhestand offiziell "Bibliothekar und Archivar der Heiligen Römischen Kirche".