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Das Gesicht der Anklage: Acht Jahre prägte die Schweizerin Carla Del Ponte das Jugoslawientribunal.

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Infografik: Gerichtshöfe und Angeklagte (1.000 Pixel breit, 280 KB)

Die Amtszeit von Carla Del Ponte, der Chefanklägern beim Jugoslawientribunal in Den Haag, ist zu Ende. Sie war das Gesicht der neuen internationalen Strafjustiz. Doch ihre Geschichte ist auch die eines großen Scheiterns.

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"Ich muss Mladic haben“, hat Carla Del Ponte einmal dem Standard gesagt. Nicht wir. Nicht das Gericht. „Ich.“ Der Satz verrät mehr über die Frau, die acht Jahre lang Chefanklägerin des internationalen Jugoslawien-Tribunals war, als alles andere. Kämpferisch, entschlossen. Vermutlich besessen. Ende des Jahres tritt Del Ponte ab, ihre Amtszeit kann nicht mehr verlängert werden.

An ihren eigenen Ansprüchen gemessen ist die Geschichte der Carla Del Ponte die eines Scheiterns. „Meine Arbeit ist nur zur Hälfte getan, wenn ich Mladic und Karadžic nicht fasse“, bekannte sie einst. Gemessen am Machbaren hatte sie gewaltigen Erfolg: Von 161 vom Tribunal gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrechern mussten sich alle bis auf vier ihrer Verantwortung stellen. Es fehlen die Hauptverantwortlichen, vor allem der Militärchef der bosnischen Serben, Ratko Mladic, und der Serbenführer Radovan Karadžic.

Hätte man mehr erwarten können? Das Jugoslawien-Tribunal, geschaffen 1993, war erst der Beginn der modernen internationalen Strafgerichtsbarkeit, in der sich Einzelne ihrer Verantwortung für schwerste Verbrechen stellen müssen. Bis dahin waren im Völkerrecht – wenn überhaupt – nur die Staaten Täter. Ein Lernprozess. Das einzige Vorbild für Den Haag war das Nürnberger Tribunal der Alliierten. Dann blockierte der Kalte Krieg jede Weiterentwicklung. Heute gibt es sechs dieser internationalen Gerichte (siehe Grafik), darunter der Internationale Strafgerichtshof als permanente Institution.

105 Staaten sind dem Gericht bisher beigetreten und haben sich dieser Behörde unterworfen. Doch diese neue Form der Justiz bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Politik und Recht. Kaum jemand weiß darüber so gut Bescheid wie Del Ponte. „Del Ponte verbrachte wenig Zeit im Gericht oder im Büro“, erzählt ihre langjährige Sprecherin Florence Hartmann. Ihr Job war es, in Brüssel und Washington anzuklopfen, um Druck auf Serbien und Kroatien aufzubauen, damit diese ihre Kriegsverbrecher ausliefern.

Aber ohne politischen Willen ist jede internationale Strafverfolgung machtlos. Del Ponte verfügte, wie die anderen Tribunale, über keine eigene Polizei. „Das Gericht hat keine Armee und keine Beine“, drückt es Hartmann aus.

Aber Del Ponte hat auch selbst Politik gemacht. Noch am Montag im UN-Sicherheitsrat drängte sie die EU, die Verhaftung von Mladic und Karadžic zur Bedingung für eine weitere Annäherung Serbiens an die Union zu machen. Das scheiterte wahrscheinlich nicht nur am politischen Willen Belgrads. Seit dem Vertrag von Dayton, der den Bosnienkrieg beendete, gibt es Gerüchte, Washington habe Karadžic Straffreiheit im Gegenzug für den brüchigen Frieden garantiert. Mehrmals hätten Del Pontes Leute die beiden ausfindig gemacht, erzählt Hartmann. „Doch stets hat die Nato grünes Licht von jemandem gebraucht. Sie können keine Kriegsverbrecher verhaften, wenn Sie die Genehmigung von Clinton oder Chirac brauchen. Um Kriegsverbrecher zu fassen, braucht man einen Blankoscheck.“

Beim Internationalen Strafgerichtshof wiegt die Absenz der USA, Chinas und Russlands am schwersten. Washington schloss mit vielen Staaten Nichtauslieferungsabkommen ab, die US-Soldaten im Ausland vor Strafverfolgung schützen sollen.

Politische Interessen spielen auch in die Prozesse hinein. Slobodan Miloševic nutzte seine Auftritte vor dem Jugoslawien-Tribunal als Bühne für sein Publikum zu Hause. Ähnlich wie der liberianische Ex-Diktator Charles Taylor, der vor dem Sierra-Leone-Tribunal angeklagt ist. Deswegen plädiert Frank Höpfel, österreichischer Richter am Jugoslawien-Tribunal, für die Abschaffung des Rechtes, sich selbst zu verteidigen.

Den internationalen Strafgerichten geht es aber nicht nur um Bestrafung. Die Gerichte glauben an ihre Rolle, durch Gerechtigkeit Versöhnung zu schaffen. „Die Urteile sollen durch ihre Klarheit der Gesellschaft einen Anhaltspunkt geben, wie sie weiterleben soll“, sagt Höpfel. So sperrig die Strafurteile der Gerichtshöfe auch sind, es geht um grundlegende Werte. Mord bleibt Mord, auch in einem vermeintlich rechtlosen Zustand, lautet die Botschaft.

Aber diese Funktion ist umstritten. Es geht um die Frage, ob Vergessen für die Versöhnung nicht besser ist, als die Vergangenheit aufzuwühlen. Kein Fall illustriert das so gut wie Uganda: Die Regierung hatte den Internationalen Strafgerichtshof angerufen, um Führer der Rebellenbewegung Lord’s Resistance Army anzuklagen. Dann setzten Friedensverhandlungen ein, und die Regierung forderte die Einstellung der Ermittlungen, um den Prozess nicht zu behindern. Aber: „Wie soll es in zehn oder 20 Jahren auch nur irgendeine Form von Verständnis geben, wenn das, was passiert ist, nie aufgearbeitet wird?“, fragt Regisseur Marcel Schüpbach.

Carla del Ponte wurde einmal gefragt, wovor sie Angst habe. „Vor nichts. Ich mach meine Arbeit, und manchmal schaffe ich es nicht. Aber ich werde nicht aufhören.“ Nun geht sie. Ihre Mission hat sie nicht erfüllt. Ihr Mandat allemal. (Julia Raabe, Andras Szigetvari, Printausgabe/DER STANDARD, 14.12.2007)