Eine Uniformierung im Gedenken macht sich breit. Eine Form davon sind die "Steine der Erinnerung", auch Stolpersteine genannt. In den Boden eingelassen wird eine Platte mit den Geburtsnamen und Daten der ermordeten Juden, die in dieser Straße, in jenem Haus gewohnt haben. Stolpern ist "state of the art", und ein Bezirk nach dem anderen wird sich auf diese Art an die "Mitbürgerinnen" und "Mitbürger" erinnern. Was soll daran schlecht sein?

Ich bekomme den Satz meiner Großmutter nicht aus dem Kopf, einen Satz, mit dem ich gehen gelernt habe. Wenn ich gestolpert bin, hat sie gemeint: Da liegt ein Jud begraben. Ich weiß nicht, ob ich nachgefragt habe damals, aber noch nach zwei Jahrzehnten ist mir dieser Satz immer eingefallen, wenn ich gestrauchelt bin. Rückblickend gesehen, ein wunderschönes Beispiel antisemitischer Hegemonie. Selbst im Tod stellen sie dir noch ein Haxl, und wenn es dunkel ist, könnte man sich à la Die Weisen von Zion schon vorstellen, dass eine Hand aus dem Boden nach dem Fuß greift.

Dunkelheit war gestern, Stolpersteine sind heute. Über Jüdinnen und Juden muss man/frau stolpern. Nein, da ist die Bauordnung vor, plan und eben ist das Gedenken, aber drübergehen ist schon möglich. Bitte mehr Achtsamkeit: Sie stehen auf der Sarah. Muss ihr Hund unbedingt auf den kleinen Samuel sch...

So ist der Alltag eben, so wird er sein. Stolpern und drübergehen. Der straßenwaschende Jude von Alfred Hrdlicka auf dem Albertinaplatz bekam einst eine Dornenkrone, um den Platz vor eisschleckenden und wurstsemmelessenden Touristen zu schützen. Auch eine Möglichkeit, eine verunglückte.

Wie Geschichte kulinarisch integriert werden kann, dafür liefert auch der Falter-Verlag ein aktuelles Beispiel in der Neuauflage des "feinen" Reiseführers für die Wachau. Es gibt kein "alternatives" Vergessen dachte ich mir - also wird bei Melk das KZ erwähnt und in Krems der jüdische Friedhof, aber dass es einen Nationalsozialismus gab, wird im Fall von Krems schon gänzlich ausgeblendet. Und die Jenischen von Loosdorf, die in der ersten Ausgabe aus dem Jahr 1994 noch ein eigenes Kapitel bekommen haben, sind nicht mehr existent. In einer kulinarischen Geschichte ist für eine nomadisierende Volksgruppe kein Platz mehr. Ein bisschen Schaudern über das NS-Grauen, das schon: Immerhin. "Schweigen. Nur die Kunst kann noch darüber reden", heißt es im Kapitel über die jüdischen Mahnmale in Krems. So hätten wir's gern. - Ja, es gibt auch ein alternatives Vergessen.

Stolpern wir zurück, bleiben wir stehen auf den Opfern und reden wir über - Normen: Als die Verordnung über das Tragen des Judenstern kam, mussten alle diesen Stern tragen, die Individualität war ausgelöscht, und alle hießen dann auch Sarah und Israel. Und heute? Genormtes Gedenken in Messing oder Stahl - gleicher Schrifttyp, gleiche Größe. Niemand braucht mehr einen Gedanken zu verschwenden, was die richtige Form des Erinnerns wäre, ein Muster wird erstellt und angewandt, x-fach: Wie zu hören ist, werden in Zukunft auch andere Bezirke und Städte so gedenken. Wenn aber überall gedacht wird - was wird dann noch erinnert? Der Weg ist das Ziel, nicht der Sockel, nicht die Plakette und nicht der Betonguss. Ohne Debatte wird Erinnern zur leeren Geste.

Und dann ist da noch die Sache mit den Patenschaften. Ich kauf mir einen Juden. Zynisch? So kann es wohl gesehen werden. Früher gab es die Hausjuden, und jeder hatte einen, der nicht so war, der anders war, der gerettet wurde. Jetzt gibt es eben Patenschaften: Bei "Letter to the Stars" können sich Schulen für das nächste Jahr ihre Zeitzeugin, ihren "Zeitzeugen reservieren" (Eva Blimlinger in einem Beitrag beim Symposium "Denken statt Gedenken?")

Die Gefahr der Erinnerungsarbeit liegt in der Gedankenlosigkeit, indem einmal "Erreichtes" nur mehr sauber gehalten, verwaltet wird. Die industrielle Massenvernichtung der Jüdinnen und Juden ist ein singuläres Ereignis, und jede Generation muss sich ihren Zugang zu dieser Geschichte erarbeiten. Eine Pädagogik ohne Schlussstrich ist nötig, denn "Geschichte ist keine Rechnung" (Konrad Paul Liessmann, beim nämlichen Symposium), und auch kein Selbstbedienungsladen für PR-Strategen. - Ich kann die zunehmend akzentuiertere Kritik an der Vermarktung von Geschichte à la "Letter to the Stars" gut nachvollziehen. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.12.2007)