Dmitri Medwedew könnte statt Boris Nemsic Vorstandschef der Telekom Austria sein. Oder statt Win Bischoff neuer Chef von Citigroup, der großen New Yorker Bank.

Der designierte Nachfolger von Wladimir Putin tritt mit jener Selbstverständlichkeit auf, die diesem lange fremd war, und er wirkt leichtblütiger als so mancher russischer Oligarch. Sein fließendes, leicht amerikanisches Englisch ist facettenreich, auch schwierige Fragen beantwortet er rasch – und diplomatisch. Erlebt habe ich diesen Mann im Juni 2006 bei einem Mittagessen anlässlich einer Konferenz für Zeitungschefs.

Ein „Apparatschik“, wie einige Zeitungen schrieben, ist Medwedew sicher nicht. Seine Eltern sind beide Uni-Professoren, er selbst war, bevor er außenpolitischer Berater des St. Petersburger Bürgermeisters Sobtschak wurde, Jus-Dozent. Seine musikalische Begabung (er komponiert Lieder) wird offiziell gerne hervorgehoben.

Vor den Chefredakteuren und Verlegern, die Mehrheit aus den USA, antwortete er auf die Frage, wohin Russland zu zählen sei: „Wir sind ein Teil Europas.“ Um als Vorsitzender des Aufsichtsrates von Gasprom und Verantwortlicher für das „Zukunftsprojekt Russland“ hinzuzusetzen: „Als Teil Europas betrachten wir die Energielieferungen in den Westen als eine Verpflichtung.“ Gleichzeitig jedoch werde man nach Asien expandieren: „So wie andere europäische und amerikanische Konzerne.“

Nun wird der Aufsichtsratschef der Gasprom als russischer Präsident der Aufsichtsratschef des ganzen Landes. Denn Wladimir Putin – um in diesem sehr realen Bild zu bleiben – wird ab Frühjahr 2008 der Generaldirektor Russlands sein. Beide werden sie, mit neu verteilten Rollen, den Staatskoloss so führen wie bisher. Als einen international mächtigen Konzern, der über einige spezielle Fähigkeiten verfügt:

1. via Gasprom über die Macht, den Nachbarstaaten nicht nur die Energiepreise zu diktieren, sondern sie damit auch wirtschaftspolitisch zu beeinflussen;

2. über eine Armee (in einem kleineren Unternehmen heißt sie „Betriebspolizei“), die im östlichen und südöstlichen Hinterhof ethnische und oppositionelle Kräfte niederhält – siehe Tschetschenien. Der Geheimdienst assistiert und agiert wie gehabt;

3. über eine Medienmacht der Sonderklasse. Unliebsamen TV-Kanälen oder Zeitungen entzieht man die Inserate, kauft sie „zwecks ökonomischer Rettung“ via Gasprom auf und setzt dann Putin-treue Führungsleute ein. Diese Betriebszeitungen können über vieles offen berichten, nur nicht über den eigenen Konzern. Der umfasst die gesamte Putin-Nomenklatur und in den Provinzen die Clique der von Moskau eingesetzten Gouverneure. Europa, speziell die EU, sollte sich mit dieser russischen Konstruktion viel mehr befassen, als es derzeit geschieht. Denn diese Konzeption Staat=Großkonzern ist eine ziemlich schlagkräftige Antwort sowohl auf die USA als auch auf Europa.

Umgelegt auf die Debatte über den EU-Vertrag bedeutet dies u. a. zweierlei:

1. Die Stärkung des europäischen Parlaments ist richtig und sollte weiter betrieben werden.

2. Der Aufbau einer europäischen Armee jedoch ist möglicherweise falsch, weil das bloß der Rüstungsindustrie nützt und das Geld anderswo fehlt. Zum Beispiel im sozialen und klimatischen Bereich. Über eine kleine, hochmobile Eingreiftruppe hinaus wäre es nötig, den Russen innovativ zu antworten. Die Stichworte:Konfliktmanagement und Demokratiereform. (Gerfried Sperl/DER STANDARD, Printausgabe, 17.12.2007)