Jules Hoffmann (66), Biologe und Chemiker, ist Vorstandsmitglied der nationalen französischen Forschungsorganisation Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS). Bis 2005 leitete er das Institut für Molekular- und Zellbiologie in Straßburg. Seit 2007 ist der geborene Luxemburger Präsident der französischen Académie des Sciences.

Foto: Standard/Balzanstiftung

Bruce Beutler (50) ist promovierter Mediziner. Seine Schwerpunkte sind Immunologie und Genetik. Seine erste wissenschaftliche Arbeit veröffentlichte er mit 16 Jahren. Unterstützt wurde er dabei von seinem Vater Ernest Beutler, einem Pionier der Biomedizin. Bruce Beutler leitet das Genetik-Department am Scripps Research Institute in La Jolla, Kalifornien.

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Menschen und Fruchtfliegen sind sich ähnlich. Zumindest, was die angeborene Immunität betrifft. Der Franzose Jules Hoffmann und der Amerikaner Bruce Beutler erforschen sie und erhielten den Balzan-Preis.

"Insekten gegen bakterielle Infektionen sehr resistent"

Für Immunologen ist die Fruchtfliege kein lästiges Ding. Ganz im Gegenteil, in ihren Labors ist sie gerne gesehen. Jules Hoffmann, langjähriger Leiter des Instituts für Molekular- und Zellbiologie in Straßburg, hat sie gar zum Modellobjekt bei der Erforschung des Immunsystems gemacht. "Wir wissen seit langer Zeit, dass Insekten gegen bakterielle Infektionen sehr resistent sind, obwohl sie keine Antikörper bilden", sagt Hoffmann. "Wir wollten wissen, warum das Insekt weiß, dass eine Infektion da ist, warum es Viren und Bakterien überlebt, obwohl es keine spezifische, erworbene Immunreaktion hat."

Unspezifische Immunität

Die Antwort fanden Forscher wie Hoffmann in der angeborenen oder unspezifischen Immunität. Jener "allerersten Abwehrreaktion, die bei der Fruchtfliege wie bei Säugern und damit auch bei Menschen anspringt, wenn Eindringlinge erkannt werden", erklärt Jules Hoffmann. Die "fundamentale Entwicklung der Immunität" sei bei Mensch und Fliege gleich. Hoffmann: "Die Hauptaspekte der Zellbiologie des Menschen wurden in den letzten 20 Jahren durch die Genetik bei der Fliege gefunden."

Wirbellose Tiere erkennen gefährliche Invasoren durch immunkompetente Zellen

Die wesentliche Entdeckung: Wirbellose Tiere erkennen gefährliche Invasoren durch immunkompetente Zellen und erzeugen abwehrende Proteine. Die erworbene Immunabwehr der Wirbeltiere, über Jahrzehnte Liebkind der Forscher, ist für Hoffmann "ein äußerst elegantes Konzept". Vielleicht habe man deshalb so lange die angeborene Immunität in der Forschung vernachlässigt, sinniert Hoffmann. "Hat doch die erworbene Immunität ein unglaubliches Repertoire an Erkennungsmolekülen." Was aber gefehlt habe, sei das Wissen darüber, wie die erworbene Immunabwehr, diese "Kaskade an Reaktionen", von der angeborenen Immunität angekurbelt wird. Und wie schlau die angeborene Immunabwehr tatsächlich reagiert.

Eine tolle Sache

"Toll", soll die spätere Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard gerufen haben, als sie und ihr Team jenen Rezeptor entdeckten, der bei der Fruchtfliege fremde Eindringlinge von körpereigenen Molekülen unterscheiden kann. Ihr Ausruf wurde der Namensgeber. Wie bei der Fliege kann das angeborene Immunsystem auch beim Menschen schädigende Erreger entdecken. Mindestens zehn solcher Toll-ähnlicher, "Toll-like receptors" (TLR) hat der Mensch. Sie setzen das Schnellwarnsystem des Körpers in Betrieb. Diese angeborene Immunität "aktiviert dann die erworbene Immunität" (Hoffmann) für die Feinarbeit, die gezielte Abwehr der Invasoren.

"from bench to bed"

"Seit unserer Toll-Arbeit sind weltweit über 10.000 Publikationen erschienen", erzählt Hoffmann. Die medizinische Forschung habe die Erkenntnisse "sehr schnell aufgegriffen", rasch "from bench to bed", aus dem Labor an das Krankenbett, gebracht. Einer dieser Mediziner ist Bruce Beutler, der seit zehn Jahren mit Hoffmann kooperiert.

TNF-Blocker

Er hat die Insektenforschung auf Säugetiere übertragen und erkannt, dass körpereigene Fresszellen einen Botenstoff produzieren, der identisch mit dem Tumornekrosefaktor (TNF) ist. TNF löst Schaden, wie einen Endotoxischen Schock oder Entzündungen aus. Beutler zeigte, dass Antikörper gegen TNF vor diesem Schock schützen. TNF-Blocker kommen nun gegen chronisch entzündliche Darmerkrankungen und Arthritis zum Einsatz.

"Großer Traum": Entzündungsreaktionen unterbinden

An seiner stattlichen Mäusesammlung in Ja Jolla, Kalifornien, erforschte Beutler die molekularen Mechanismen, die den Endoxin-Schock auslösen und landete beim TLR-4-Gen. Bruce Beutler: "Wir wissen nun, dass eine ganze Reihe von Medikamenten, die wir in der Krebstherapie anwenden, über diese Toll-like-Rezeptoren wirken." Etwa der Immunmodulator Imiquimod, der bei Basalzellkrebs, dem häufigsten Hautkrebs, das Immunsystem aktiviert. Beutlers "großer Traum", den er gemeinsam mit Jules Hoffmann träumt, ist zu entdecken, wie man Entzündungsreaktionen unterbinden, Überreaktionen des Immunsystems blockieren kann. "Das wäre dann der Nobelpreis für Bruce", scherzt Hoffmann.

Balzan-Preis

Vorerst teilen sich die beiden den renommierten Balzan-Preis "für ihre Entdeckung der genetischen Mechanismen, die der angeborenen Immunität zu Grunde liegen". Der mit einer Million Schweizer Franken dotierte Preis wurde kürzlich in Bern überreicht. (Jutta Berger, MEDSTANDARD, 17.12.2007)