Bild nicht mehr verfügbar.

Laut geltendem Recht haben Schwarzkappler und sogar Polizisten wenig Handhabe gegen Schwarzfahrer.

Foto: APA/Fohringer

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA/Schnizlein
Vor einigen Wochen hatte der Oberste Gerichtshof darüber zu entscheiden, ob einem Kontrolleur eines öffentlichen Verkehrsbetriebes das Recht zukommt, einen ertappten "Schwarzfahrer" festzuhalten, um zu verhindern, dass sich dieser der Kontrolle entzieht. Anlassfall war eine Auseinandersetzung zwischen drei Kontrolleuren der Linz AG und einem Schwarzfahrer. Die Kontrolleure stellten sich dem Ertappten in den Weg, dieser setzte sich zur Wehr und fügte den Mitarbeitern dabei leichte Verletzungen zu.

Der OGH erklärte eine solche Anhaltung für rechtmäßig, wenn sie maßvoll geschieht und nur so lange dauert, bis die Polizei zur Identitätsfeststellung eintrifft (OGH 15 Os71/07s vom 6.9.2007). Damit scheint der Kampf der Verkehrsbetriebe gegen Schwarzfahrer auf der Rechtsebene gewonnen.

Die Grundlage sieht das Gericht im allgemeinen Selbsthilferecht zur Bewahrung und Durchsetzung eines zivilrechtlichen Anspruchs – nämlich auf Entrichtung des Fahrpreises sowie einer allenfalls vorgesehenen Konventionalstrafe –, wenn sonst behördliche Hilfe zu spät käme. Dieses Selbsthilferecht stammt aus dem Privatrecht. Als Rechtfertigungsgrund im Strafrecht ist diese Figur aber nicht gesetzlich verankert, sie wurde vielmehr von Rechtsprechung und Lehre durch Rechtsanalogie entwickelt. Rein strafrechtlich gibt es gegen diese Konstruktion nichts einzuwenden – wenn da nicht noch die im Verfassungsrang stehenden Grundrechte wären.

Abenteuer "Öffi"

Denn die Anhaltung einer Person bedarf als Freiheitsbeschränkung gemäß dem Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit einer ebenso ausdrücklichen wie eindeutigen gesetzlichen Grundlage. Ob eine wissenschaftlich konstruierte, dem Zivilrecht entlehnte Rechtfertigung diesen Anforderungen gerecht wird, ist mehr als fragwürdig. Dass die Grundrechte in Angelegenheiten der Personenbeförderung auch von privatrechtlichen Verkehrsbetrieben zu beachten sind, stellte der OGH selbst in einer früheren Entscheidung (4 Ob 146/93 vom 30.11.1993) fest.

Eine konsequente Anwendung der aktuellen OGH-Rechtsprechung würde bedeuten, dass jede Privatperson einen ertappten Schwarzfahrer anhalten darf. Mit den "Öffis" zu fahren wäre dann ein echtes Abenteuer.

Zulässig ist nicht jede Anhaltung schlechthin, sondern nur das "kurzfristige Anhalten eines Schwarzfahrers zur Identitätsfeststellung durch die Polizei". Damit drängt sich die Frage auf, ob die Polizei dazu überhaupt befugt ist – notfalls auch durch Zwangsmaßnahmen. "Na klar doch!", wird sich jeder vernünftige Mensch denken.

Die entsprechende Polizeibefugnis ist im § 35 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) geregelt. Grundsätzlich ist dies nur "im Zusammenhang mit einem gefährlichen Angriff" statthaft, was nun jedenfalls die gerichtliche Strafbarkeit der verbotenen Handlung voraussetzt. Schwarzfahren ist jedoch "nur" eine Verwaltungsübertretung.

Identitätsfeststellung

Eine Identitätsfeststellung oder gar Festnahme aufgrund einer solchen ist nach § 35 Verwaltungsstrafgesetz aber ausschließlich bei unmittelbarer Wahrnehmung durch ein Polizeiorgan zulässig. Demgegenüber kommt der Polizei allein zur Sicherung zivilrechtlicher Ansprüche keinesfalls eine solche Kompetenz zu. Auch eine allgemeine Bürgerpflicht zur Identitätsoffenbarung ist der österreichischen Rechtsordnung bisher fremd.

Wenn aus der Sicht ex ante des handelnden Polizeiorgans kein Verdacht auf eine weitere, nämlich gerichtlich strafbare Handlung hinzukommt, ist die zwangsweise Feststellung der Identität nicht zulässig. Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt vor der Anhaltung durch den Kontrolleur, die eine strafrechtsrelevante Auseinandersetzung meist erst provoziert. Dieses Ergebnis mag im Hinblick auf die Erfahrungen des Alltags überraschen, was aber nichts daran ändert, dass der Entscheidung des OGH der verfassungsmäßige Boden fehlt. Wenn nämlich die herannahende Polizei mangels eigener Wahrnehmung der "Straftat" gar nichts tun darf, worauf sollen dann Kontrolleur und Schwarzfahrer eigentlich warten?

Damit klafft freilich eine unbefriedigende Gesetzeslücke auf. Völlig richtig weist der OGH darauf hin, dass ansonsten "die Aufrechterhaltung dieser Form städtischen Verkehrs überhaupt in Frage stehen würde".

Eindeutige Rechtslage

Deshalb wäre es Aufgabe des Gesetzgebers, hier eine eindeutige Rechtslage zu schaffen. Das bedeutet aber nicht nur, die Polizeikompetenzen zu klären und ein Anhalterecht zu normieren. Es ist ebenso erforderlich, Ausbildung und Supervision der Kontrolleure zu regeln. Bereits jetzt sieht z. B. § 30 Eisenbahngesetz Aufsichtsorgane vor, die zur Gewährleistung der Betriebssicherheit über Befugnisse bis hin zur Anhaltung verfügen. Dass diese Bestimmung – die auch auf den Betrieb von Straßen- und U-Bahnen anwendbar ist – gerade die Problematik der Schwarzfahrer ausklammert, mag eine planwidrige Lücke darstellen. Diese ist aber im Sinne der Verfassung vom Gesetzgeber und nicht von einem Höchstgericht zu beheben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.12.2007)