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"In vielen Fällen verlieren wir große Talente, weil man sie verheizt, bevor sie so weit sind." Cura begann erst spät zu singen.

Foto: APA/ Robert Jäger
Daniel Ender sprach mit dem José Curaüber seinen Zugang zum Dirigieren, verheizte Kollegen und Weihnachten als Folklore.


STANDARD: Herr Cura, Sie haben unterschiedliche Zugänge zur Musik. Sie haben Klavier und Komposition studiert, mit 15 Jahren zu dirigieren begonnen, erst viel später begonnen zu singen. Ist es manchmal schwer, zwischen diesen Zugängen umzuschalten?

Cura: Ich denke nicht, dass ich da umschalten muss, sondern dass alle diese Tätigkeiten miteinander interagieren. Es ist sehr interessant, dass niemand überrascht ist, wenn ein Instrumentalist beginnt zu dirigieren, bei einem Sänger aber schon. Leider wurde ein Sänger über viele Jahre nicht als Musiker angesehen, sondern nur als jemand, der das Glück hat, eine Stimme zu besitzen. Heute gibt es aber viele Sänger, die echte Musiker sind. Und als Sänger hat man vermutlich einen anderen Zugang zur Phrasierung und zum Atem der Musik.

STANDARD: Ist es für Sie etwas anderes, in der Oper oder bei einer Weihnachtsgala aufzutreten? Sehen Sie Unterschiede zwischen Kunst und Event?

Cura: Wir verwenden diese traditionellen Konzerte vor allem, um in der Gesellschaft an solchen Terminen präsent zu sein. Es ist eine Sache, in einer Stadt als Künstler zu Gast zu sein und im Konzertsaal aufzutreten, eine andere, langsam zur gesellschaftlichen Szene eines Landes dazuzugehören. An einer Weihnachtsfeier teilzunehmen hat mit einem familiären Gefühl zu tun: Der Künstler wird hier Teil der Gesellschaft und ist nicht nur jemand, der kommt und wieder abreist. Dieses Konzert zeigt diesen Unterschied. Es ist schön für einen Künstler, sich mit vielen Menschen zu identifizieren, nicht nur mit jenen, die in die Oper gehen, sondern auch mit denen, die den Fernseher einschalten, um Weihnachtslieder zu hören.

STANDARD: Unterhaltung als Kunst, nicht nur für die Elite?

Cura: Wenn man das sagt, heißt das, dass man das Gegenteil denkt. Künstler sind dazu da, dass sich das Publikum gut und glücklich fühlt. Das heißt, dass wir Künstler zu den Wurzeln zurückkehren und uns fragen, was es heißt, Künstler zu sein - ein Mensch aus der Gesellschaft, der dazu da ist, die Gesellschaft zu unterhalten. Wenn man das nur dazu verwendet, Geschäfte zu machen, verliert man den Kontakt zur Realität. Es sollte beides geben: Ich muss auch meine Rechnungen bezahlen, aber auch das gute Gefühl haben, Teil eines Ganzen zu sein, wie ein Arzt, Rechtsanwalt oder Journalist und nicht nur ein isoliertes Individuum. All dieser Bullshit über die Elite ist anachronistisch. Entschuldigung, aber eine normale Eintrittskarte für die Wiener Staatsoper ist viel billiger als ein Ticket für ein Fußballspiel.

STANDARD: Ein großes Thema sind heute die Gefahren für junge Sänger, die viel zu viel singen.

Cura: Das war auch für mich eine Gefahr, als ich begonnen habe. In vielen Fällen verlieren wir große Talente, weil man sie verheizt, bevor sie so weit sind. In dieser Hinsicht ist das Musikgeschäft sehr brutal. Das ist eine Frage der Kontrolle und sehr schwierig, weil junge Leute Angst haben, dass der Traum zu Ende ist, wenn sie einmal Nein sagen. Ich denke mir heute: Vielleicht sind die, die das überstehen, die stärkeren als die, die auf der Strecke bleiben - eine Art natürliche Auslese. Aber das ist sehr gefährlich und auch sehr traurig.

STANDARD: Was bedeutet Ihnen Weihnachten?

Cura: Ich komme aus einer katholischen Familie, und Weihnachten ist für uns ein wichtiger Termin. Ich denke, heute sind Feste mit starker Symbolik sehr wichtig. Der Individualismus ist heute so stark, und Weihnachten ist ein Tag, an dem alle zur selben Zeit an dasselbe denken. Wir sollten das ausnützen und eine Botschaft des Friedens, der Liebe, des Dialogs aussenden. Das ist etwas, was wir heute verloren haben. Wir reden nicht mehr miteinander, sondern verschicken SMS. Wir sprechen nicht mal mehr am Telefon miteinander, weil das eine direkte Konfrontation bedeutet. Wenn man jemanden zur Hölle schickt, sendet man ein SMS. Zu Weihnachten geben sich wenigstens alle zur selben Zeit einen Kuss. Wenn es gelingt, das in den Alltag mitzunehmen, bedeutet dieses Fest mehr als eine folkloristische Erinnerung. Wir brauchen nicht noch mehr Folklore. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.12.2007)