Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war am Sonntag. Da habe ich N. auf eine Idee gebracht. Und jetzt, sagt N., fühle er sich fast ein bisserl schuldig. Weil es ihm wie ein Seitenwechsel vorkäme, auch nur darüber nachzudenken, den Spieß umzudrehen. Weil er damit ja die gelernten Rollen tausche: Die Position des Mieters, der vom gejagten, gepiesackten und drangsalierten Opfer des immer nur auf Geld und Profit schielenden Hausbesitzers plötzlich zum Forderer, Zocker und Spekulanten wird, ist N. nämlich noch ein bisserl ungeheuer. Aber, gab er dann zu, mit einer Firma, die so agiere wie jene Immobilien-AG in deren Eigentum seine Mietwohnung sich befände, müsse man auch nicht unbedingt Mitleid haben.

N. ist Altmieter. Die Wohnung ist mittelgroß und liegt strategisch günstig: Links und rechts von ihm wohnen – in kleinen Wohnungen allein stehende Damen. Die haben – aus Sicht der Hausbesitzer – zwei Vorteile. Erstens: Ihre Kinder und Verwandten sind ausgezogen. Zweitens: Sie sind alt. Sehr alt. Das Freiwerden ihrer Wohnungen ist also nur eine Frage der Zeit. Auch wenn das zynisch klingt.

Boomzone

N.s Haus liegt in einer Gegend, die am Sprung zum Hip- also mittelbar auch zum Teuerwerden ist: Ein Karmeliter- oder Brunnemarktschicksal. Wohl deshalb hat die Immobiliengesellschaft das Haus ja vor ein paar Jahren gekauft. Die Substanz ist prinzipiell gut, Lage und Ausblicke sind genial und die Straßenlärmbelästigung ist minimal. Die Mieterschaft, so N., sei großteils alt oder habe Migrationshintergrund. Und auch der Dachboden wurde schon einmal ausgebaut, wird derzeit aber nicht zu Wohnzwecken benutzt: Dass das Programm hier "Absiedeln, sanieren und teuer verwerten" heißt, versteht sogar der Nicht-Immobilienauskenner.

Nur: In seinem Stockwerk stellt er eben das Nadelöhr dar. Weil er erst 30 Jahre alt ist – und einen unbefristeten Hauptmietvertrag der Kategorie D innehat. Aber wie wichtig er dem Hausbesitzer ist, weiß N. dennoch erst seit kurzem.

Paketdienst

Denn da klingelte eines Abends sein Telefon – und eine sympathische Damenstimme flötete, dass man gerade versucht habe, ihm ein Paket zuzustellen, man ihn aber nicht daheim angetroffen habe. Ob es denn eine Ersatzzustelladresse gäbe? N. saß zu diesem Zeitpunkt auf der Couch seiner Freundin in einem anderen Bezirk und war nicht wirklich auf der Hut: Dass er eigentlich auf gar kein Paket wartete, fiel ihm erst viel später ein – und da sah er dann auch, dass die Anruferin keine Rückrufnummer auf seinem Handy hinterlassen hatte.

Im Augenblick des Anrufes aber schaltete N. nicht – und gab die Adresse seiner Freundin an. Der Zusteller, sagte die Frau, werde demnächst anläutern. Dann legte sie auf. Erst als auch am nächsten Tag kein Packerl geliefert worden war, wurde N. misstrauisch. Aber in welche Richtung? Die Nebel lichteten sich rasch: Noch am gleichen Tag läutete das Handy seiner Freundin. Ein nicht wirklich freundlicher Mann, verlangte N. Und als - man saß in einem Lokal beim Essen – N das Telefon nahm, erfuhr er, dass man jetzt wisse, wo er tatsächlich wohne. Und "man" sei in dem Fall die Immobilien AG, die N.s Wohnung besitzt.

Drohung

N. erfuhr noch mehr: Dass er sich schon einmal darauf gefasst machen solle, dass sein Mietverhältnis gekündigt werden werde. Weil er ja gar nicht hier wohne. Dass N. dagegenhielt, dass er sehr wohl in seiner Wohnung wohne und man da wohl gewartet habe, bis er einmal bei seiner Freundin sei, ließ der Hausbesitzervertreter nicht gelten: N., meinte er, müsse schon bessere Beweise vorlegen, um seine Wohnung zu behalten.

Natürlich fragte N. umgehend bei seinem Anwalt nach. Und der sagte ihm, dass er sich nicht wirklich fürchten müsse. Aber unangenehm, meinte N., sei die Sache schon. Und ganz angstfrei sei er eigentlich auch nicht. Wir pflichteten N. bei: ja, das sei schon eine echte Sauerei, wie da bespitzelt und erpresst werde. Aber N. sagte dann noch etwas: Seine Freundin und er würden eigentlich gerne zusammenziehen. Aber für zwei – eventuell einmal sogar drei – Personen, wäre sowohl seine Miets- als auch ihre kleine Eigentumswohnung zu klein. Und Geld hätten sie eigentlich auch keines.

Plan B

Ich griff nach dem Immobilienteil der Sonntagszeitung – und blätterte zu den Quadratmeterpreistabellen: Ob N. schon daran gedacht hätte, seine Wohnung zu verkaufen? N tippte sich an die Stirn: Das sei doch eine Mietwohnung. Ja, sagte ich, aber ein bisserl Zocken könne auch er sich erlauben. Die Immo-Firma brauche seine Wohnung, um Luxusappartements zu bauen. Die Wohnungen der Omas nebenan würden gratis frei – und ganz offensichtlich gebe es Nachfrage nach seiner Wohnung. Und seine Hausbesitzer wären doch ganz bestimmt Verfechter der freien Marktwirtschaft

N. zuckte zusammen: So zu denken, meinte er, sei eigentlich nicht sein Ding. Wir wechselten das Thema. Gestern aber schickte N. dann ein Mail: Ob ich ihm eventuell die Nummer eines netten Maklers schicken könne? Er, N, würde nämlich gerne wissen, was seine Wohnung so wert sei. Einfach nur so – vielleicht ja auch, um dann noch einmal darüber nachzudenken. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 20. Dezember 2007)