Mit Skinhead-Porträts in Schwarz-Weiß gelang dem Engländer Nick Knight als 24-Jährigem der Durchbruch.

Foto: Nick Knight

Er fotografierte Kampagnen u. a. für Yohji Yamamoto, Jil Sander, Alexander McQueen, Christian Dior und Swarovski.

Foto: Nick Knight

Seine Bilder sind von hoher ästhetischer Perfektion, oftmals glamourös, immer perfekt komponiert.

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In diesem Stil fotografierte er auch behinderte und ältere Menschen oder porträtierte Frauen mit Brustkrebs.

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2000 gründete er das Mode-Laboratorium Showstudio.

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Nick Knight lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in einem Vorort von London.

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Nicht nur Stars und Sternchen funkelten Ende November in Wattens: Swarovski hatte zur Eröffnung der umgebauten Kristallwelten geladen. Menschenmassen schieben sich durch André Hellers Kristallräume, unter ihnen auch Nick Knight (49). Er fotografiert seit einigen Saisonen die Kampagnen des Unternehmens. Ein Superstar in der Welt der Mode, doch hier in Tirol kennen den schlanken englischen Gentleman nur wenige. Mit seiner Frau Charlotte Wheeler ist er aus London angereist. Er trägt einen Anzug von Kilgour, ein weißes Hemd von Frank Foster, die Schuhe sind bei Tricker's maßgefertigt. Seine Umgangsformen sind von distinguierter Höflichkeit. Dem Standard gibt er das einzige Interview.

DER STANDARD: Sprechen wir über Stereotypen.

Nick Knight: Gut. Warum?

DER STANDARD: Die Beschäftigung damit ist doch eine Konstante in Ihrer Arbeit.

Nick Knight: Das liegt wohl daran, dass ich mit zwei verschiedenen Kulturen aufgewachsen bin. Mein Vater hat für die NATO gearbeitet, sodass wir von Großbritannien nach Frankreich ziehen mussten. Als ich dann als Teenager nach Großbritannien zurückgekommen bin, war mir das Thema nationale Identität sehr wichtig.

DER STANDARD: Sie haben mit französischen Augen auf Ihr Heimatland geblickt?

Nick Knight: Und mit britischen auf Frankreich. Ich fühlte mich anders als alle anderen um mich herum.

DER STANDARD: In Ihrer Jugend waren Sie ziemlich rebellisch.

Nick Knight: In einer Familie wie der meinen konnte ich gar nicht anders, als Autoritäten infrage zu stellen. Es ging mir schon damals darum, die Welt besser verstehen zu lernen. Wobei ich mich nicht als besonders rebellisch bezeichnen würde.

DER STANDARD: Weil Ende der Siebziger ohnehin schon viele junge Menschen Punks oder Skinheads waren?

Nick Knight: Nein, weil rebellisch auch aggressiv bedeutet. Und das war ich nicht. Sie müssen wissen: Mein Vater war Psychologe, meine Mutter Therapeutin, mein Bruder Chemiker. Ich sollte Mediziner werden. Mit der wissenschaftlichen Analyse der Welt um mich herum bin ich aufgewachsen.

DER STANDARD: Und dennoch: Als Sie Skinhead wurden, war Ihre Mutter sehr geschockt, oder?

Nick Knight: Sicher, sie war nicht glücklich darüber. Meine Skinhead-Phase hatte viel mit dem Übergang ins Erwachsenenalter zu tun. Das ist kein ganz einfaches Alter. War's auch für mich nicht.

DER STANDARD: Aber anders als andere gingen Sie dazu über, Ihre Erfahrungen produktiv zu nutzen: Mit Ihren Fotos von Skinheads wurden Sie bekannt. Ihre späteren Bilder allerdings unterscheiden sich sehr davon.

Nick Knight: Es war nie mein Wunsch, mich mit verschiedenen Jugendkulturen auseinanderzusetzen. Nach meinem Studium habe ich mich mit russischen Propagandapostern beschäftigt, mit Fotografen, die mit ihren Bildern eine bestimmte Information verbanden. Meine Skinhead-Fotos waren eine Auseinandersetzung damit.

DER STANDARD: Dann begründeten Ihre Fotos im "i-D-Magazin" Ihre Karriere. Gerade für die Modefotografie wurden Subkulturen sehr wichtig. Warum eigentlich?

Nick Knight: Weil für Subkulturen Mode so wichtig ist! Hier verstanden Menschen plötzlich, wie wichtig Mode als Kommunikationsmittel sein kann. Die Art der Kleidung hatte sofort Auswirkungen darauf, wie man behandelt wurde.

DER STANDARD: Es war auch eine Art von Protest.

Nick Knight: Natürlich.

DER STANDARD: Im Modebusiness gelten Sie als Rebell. Sie haben behinderte, ältere oder dicke Menschen fotografiert – und somit gängige Körpernormen infrage gestellt.

Nick Knight: Mich interessiert die normale Modewelt nicht. Die Modefotografie tendiert dazu, die Welt kleiner zu machen, als sie ist. Dabei wissen wir doch aus unserem eigenen Leben, wie unterschiedlich Menschen sind.

DER STANDARD: Die derzeitige Mode langweile Sie, haben Sie vor einiger Zeit einmal gesagt.

Nick Knight: Stimmt, manchmal ist das Ganze ziemlich frustrierend. Wie wohl in jedem Bereich.

DER STANDARD: Weil die Modestereotypen immer normativer werden?

Nick Knight: Nein, das trifft es nur halb. Es stimmt zwar, in der jetzigen Saison tut sich nur wenig Aufregendes. Aber schauen Sie nicht nur auf den Mainstream – das wäre ja so, als würde man nach Hollywood schielen und gelangweilt sein. Denken Sie an Hussein Chalayan, Alexander McQueen oder John Galliano. Sie schaffen es, Mode mit Themen zu verknüpfen, die unser aller Leben angehen.

DER STANDARD: Sie selbst arbeiten auch im Mainstream.

Nick Knight: Ich würde John (Anm.: Galliano) nicht als Mainstream bezeichnen. Natürlich gibt es auch in der Arbeit mit ihm kommerzielle Aspekte, die man nicht außer Acht lassen darf. Aber grundsätzlich geht es bei ihm immer um sehr künstlerische Anliegen. Wie auch bei Swarovski: Es gibt in diesem Unternehmen eine neue Generation von Leuten, die sich ein interessantes, kantiges Image verpassen möchten. Sie unterstützen junge Designer wie Gareth Pugh oder Marios Schwab, die in der Kunst genauso zu Hause sind wie in der Mode. Ich suche mir sehr genau aus, mit wem ich arbeite.

DER STANDARD: Und dennoch: Das Auf und Ab der Mode ist vorhersehbar. In der nächsten Saison wird wieder alles bunt und voller Blumen sein. Wird Ihnen da nicht langweilig?

Nick Knight: Ach, das ist doch schön! Ich bereite gerade ein großes Blumen-Fotoshooting vor.

DER STANDARD: Mit Kate Moss.

Nick Knight: Genau, ich habe auf meiner Homepage einen Aufruf gestartet, Kate Blumen zu schicken, die wir beim Shooting verwenden werden. Das wird gut! Mein halbes Leben schon fotografiere ich Blumen und Pflanzen.

DER STANDARD: Deshalb dachte ich, Sie können Blumenmuster in der Mode nicht mehr sehen.

Nick Knight: Nein, so funktioniert Mode eben. In gewissen Abständen kommen die Themen wieder.

DER STANDARD: Ein Zitat von Ihnen: Mode transportiert Ideen, genau wie die Popmusik in den 1960ern. Jetzt klingt das bei Ihnen anders.

Nick Knight: Ich würde mir wünschen, es wäre so. Mode kann das schaffen. Politische Ideen sind transportierbar.

DER STANDARD: Politik lässt sich einfacher machen als mit Mode.

Nick Knight: Naja, Mode ist Massenkommunikation, und sie ist von öffentlichem Interesse. In den 1960ern wurde Musikern ihre wichtige Rolle in der Öffentlichkeit bewusst. Und die benutzten sie. Heute ist es wohl nicht mehr wichtig, was Musiker singen. Aber vielleicht ist es wichtig, welche Kleidung sie tragen. Das ließe sich politisch nutzen.

DER STANDARD: Kann man Menschen durch Mode ändern?

Nick Knight: Ihre Wahrnehmung lässt sich ändern. Das versuche ich mit meiner Arbeit: Spiegel zu errichten, mit denen sich Menschen anders wahrnehmen. Mode ist Teil des kapitalistischen Systems, und es ist beinahe ein Widerspruch, Änderungen von innen heraus anstoßen zu wollen. Anders geht's aber nicht.

DER STANDARD: Auf Ihren Bildern sehen Menschen meistens sehr gut aus. Idealisieren Sie bewusst?

Nick Knight: Ich neige dazu, Menschen und Dinge zu fotografieren, die ich mag. Als ich behinderte Menschen fotografiert habe oder Frauen mit Brustkrebs, suchte ich sehr bewusst nach der Schönheit in ihnen.

DER STANDARD: Wie viel Wahrheit liegt in Ihren Bildern?

Nick Knight: Ich habe nie an die eine Wahrheit geglaubt. Es gibt derer viele.

DER STANDARD: Fotografen wie Wolfgang Tillmans oder Juergen Teller suggerieren mit ihrer Schnappschussästhetik, dass sie die Welt zeigen, wie sie ist. Sie hingegen führen die Betrachter hinters Licht?

Nick Knight: Ich mag beide sehr und kenne sie seit Jahren. Sie haben einen ganz anderen Zugang zu Fotografie als ich. Fotografie ist immer Manipulation, auch wenn ich das Wort nicht mag. Denn es impliziert: Man betrügt jemanden.

DER STANDARD: Viele Ihrer Bilder entstehen mittlerweile zur Gänze am Computer.

Nick Knight: Ich bin nie wirklich glücklich mit meinen fotografischen Ergebnissen gewesen. Also musste ich immer weiter laborieren, bis ich mich so weit wie möglich einem perfekten Bild angenähert hatte. Heute würde ich mich kaum noch als Fotograf bezeichnen. Ich arbeite mit mathematischen Repräsentationen von Ideen, mache 3-D-Scans von Menschen oder arbeite mit Skulpturen.

DER STANDARD: Warum nennen Sie sich nicht Künstler?

Nick Knight: Das müssen andere machen. Mich kümmert nicht, wie andere meine Arbeit verstehen. Ich mache keine Ausstellungen und ich verkaufe keine Abzüge. Mir ist lieber, meine Arbeiten hängen an Bushaltestellen als in Galerien. Vor zwei Wochen war ich zur Frieze Art Fair eingeladen. Zu der Zeit stand ich im Studio, fotografierte Rosen und konnte nicht aufhören damit. Auf die Messe bin ich dann einfach nicht hingegangen

DER STANDARD: Sie mögen keine gesellschaftlichen Veranstaltungen?

Nick Knight: Nein. Arbeit ist mir wichtiger.

DER STANDARD: Manche bezeichnen Sie als Glamour-Fotograf, privat führen Sie aber ein sehr zurückgezogenes Leben. Passt das zusammen?

Nick Knight: Glamour ist eine soziale Sache, ich selbst würde meine Arbeiten nicht als glamourös bezeichnen. Ich arbeite lieber mit John Galliano, als mit ihm auf einer Party herumzustehen. Und ich verbringe lieber Zeit mit meiner Frau und meinen Kindern, als Interviews zu geben. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/21/12/2007)