Leere Tribüne, kahle Pappeln, halbgeräumtes Spielfeld. Stadionmeister Ludwig Schappelwein hat sich darangemacht, das Bundesligastadion in Mattersburg winterfest zu machen.

Foto: Weisgram
Von Wolfgang Weisgram

Die Tribüne leer, die Pappeln kahl, der Rasen zum Großteil mit Schnee bedeckt: Das Bild gleicht der Erinnerung an den Herbst und leider auch dem Ausblick aufs Frühjahr. Es gibt ja kaum etwas Traurigeres als ein leeres Stadion, in dem man sich vorkommt, als würde – wie in einer leeren Wohnung – schon die bloße Anwesenheit zu einem irritierenden Echo führen, das über Gebühr unerwünschten Lärm erregt.

Ludwig Schappelwein blickt nachsichtig auf einen so erstaunlich pubertären Eindruck. Denn natürlich gibt es weitaus Traurigeres als ein leeres Stadion. Ein eben verlassenes zum Beispiel. Wenn da er und seine Männer zur Bestandsaufnahme schreiten und in den Toilettenanlagen des Gästesektors einen Totalschaden zu Protokoll nehmen müssen wie nach dem letzten Heimspiel des Jahres gegen die Wiener Austria: Das ist traurig. Nur zum Beispiel. Aber vielleicht hat sich Ludwig Schappelwein auch bloß an die weitläufige, ein wenig dröhnende Leere gewöhnt. Immerhin ist sie sein Arbeitsplatz. Seit den Tagen der Regionalliga, also seit den späten Neunzigerjahren, ist er der Hausmeister des Mattersburger Pappelstadions, ein Mädchen für alles außerhalb des sportlichen Bereichs, und damit auch der, zu dessen Berufsbild die Unsichtbarkeit gehört. „Die Menschen, die ins Stadion kommen, haben dafür gezahlt. Die sollen gar nicht wissen, welche und wieviel Arbeit da dahinter steckt.“

"Das hamma gleich"

Jetzt geht es im Pappelstadion, der Heimstätte des SV Mattersburg, ans Einwintern. Ein dick verpackter Mann stapft über die Tribünenstufen abwärts, dem Chef zu. „Die Fahnenstange klemmt“, sagt er mit einem charmanten magyarischen Akzent, der im ganzen Burgenland fürs zielgerichtete Zupacken steht. Der Stadionmeister nickt: „Das hamma gleich.“ Aber noch eilt nichts.

Im Grunde, sagt Ludwig Schappelwein, unterscheidet sich das Einwintern eines Stadions nicht von dem eines normalen Hauses. Nur die Dimensionen sind andere. Nicht nur eine kurze Wasserleitung ist zu entleeren. Vom Einfrieren bedroht sind viele hundert Meter: unterirdisch verlegte Sprenkleranlagen, zahlreiche Toilettenanlagen, Zuleitungen zu den Außenkantinen und natürlich die Heizungsrohre. Nicht alles lässt sich einfach auslassen, indem an der tiefsten Stelle ein Hahn geöffnet wird. Ludwig Schappelwein muss dazu einen eigenen Kompressor anwerfen, um die Leitungen mit Pressluft auszublasen.

Manche Leitungen bleiben aber gefüllt. Die schützt eine elektrische Begleitheizung, und die muss selbstverständlich auch kontrolliert werden. So wie die Heizung in den Kantinen, die den Winter über die Funktion eines Frostwächters übernimmt. Fahnenstangen und Werbetafeln müssen entfernt, kleinere Reparaturen angegangen, für größere konzessionierte Firmen beauftragt werden.

Dennoch beginnt für Ludwig Schappelwein und seine drei Mitarbeiter nun, nach dem letzten Heimspiel, die ruhige Zeit. Eine halbe Woche ungefähr dauere es, bis die Einwinterungsarbeiten gemacht sind. Dann beschränkt sich die Stadionmeisterei auf gemächliche Kontrollgänge. Und auf Wachsamkeit. Denn wenn es schneit, muss auch in der Winterpause mit Schneeschaufeln ausgerückt werden. Besonderes Augenmerk gilt dem riesigen Zelt, in dem sich ansonsten die „Very Important Persons“ herumtreiben. Schneit es heftig, kämpft das VIP-Zelt nämlich mit seiner Tragfähigkeit, und dann muss Ludwig Schappelwein die Heizung hochfahren, damit der Schnee vom Dach schmilzt.

„Der Verein“, sagt der Stadionmeister, „nimmt enorme Summen in die Hand für den Betrieb und die Erhaltung.“ Sein Chef, SV Mattersburg-Obmann und Bundesligapräsident Martin Pucher, verweist ja auch immer wieder darauf, wenn ihm einer blöd zu kommen versucht: Im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesligavereinen zahlt der SVM das Stadion aus eigener Tasche. „Wir haben einmal“, erzählt Ludwig Schappelwein von seinen einschlägigen Spionageerfahrungen, „das Horr-Stadion in Wien besucht. Da waren zwölf Gärtner mit dem Rasen des Spielfeldes beschäftigt. Wir waren ganz baff: Das muss ganz schön was kosten, so viele Gärtner. Aber die von der Austria haben gesagt: Die hat uns das Stadtgartenamt geliehen.“ Nicht dass er neidig wäre, der Mattersburger Stadionmeister. Aber das möchte er schon deponieren: „Das ist irgendwie eine Wettbewerbsverzerrung.“ Nur Altach und Mattersburg seien zahlungspflichtige Herren im eigenen Haus.

Mag sein, daraus resultiert auch eine erhöhte Sorgfalt. Nach jedem Heimspiel würden zum Beispiel die Tribünen geputzt. Nicht bloß abgespritzt. „Da wird mit dem Aufwaschfetzen durchgegangen.“ Beim letzten Auswärtsspiel der Mattersburger im schönen neuen EM-Stadion in Salzburg sei ihm deshalb besonders unangenehm aufgefallen, wie dreckig dort die Zuschauerplätze waren. „Neben uns war ein Salzburger Stammgast, der hat sich schon ausgekannt, ein eigenes Tuch mitgehabt, mit dem er den Sitz abgewischt hat.“ So was, versichert er, sei in Mattersburg nie und nimmer möglich. Und zeigt auf ein Patzerl Vogeldreck an der Lehne eines Tribünensitzes. „Das wird abgewischt.“ Beziehungsweise: „Das wäre abgewischt worden.“ Denn beim letzten Saisonheimspiel am vergangenen Freitag gegen die Austria wurden die Mattersburger hinterrücks vom Winter und seinen Kältefolgen überfallen. „Aufwaschen ist nicht mehr gegangen.“ Das wird nun nachgeholt. Irgendwann, wenn die Temperatur wieder über null klettert.

Wenn der Winter über Mattersburg herfällt, rücken Ludwig Schappelwein und die Seinen stets ein wenig ins Rampenlicht der Aufmerksamkeit. Noch nie – sagt er mit nicht geringem Stolz – hat ein Spiel in Mattersburg abgesagt werden müssen. Auch im unglaublichen Winter vor zwei Jahren nicht, als alle, denen ihr Stadion nichts kostet, nach einer Rasenheizung riefen. In Mattersburg hat sich die Stadionmeisterei ein eigenes System aus Plastikplanen und Muskelkraft ausgedacht. Die Planen zögern ein Gefrieren des Bodens hinaus, die mit Schneeschaufeln ausgerüsteten Heinzelmännchen und -mädchen können dadurch sehr zügig arbeiten.

Am Freitag hat der Schiedsrichter, der Wettervorhersage folgend, dennoch orange Linien verlangt. Und dafür ist natürlich auch der Stadionmeister zuständig: dass immer alles für den Fall des Falles vorrätig ist, und sei es orange Linienfarbe. Dass das hinhaut, wenn es hinhauen muss, auch dafür ist die nun angebrochene ruhige Zeit da. „Wir machen jetzt Inventur.“ Dressen, Schuhe, Bälle, Werkzeug, Ersatzteile, Rasensamen, Dünger. Und wenn eine Maschine kaputt ist, dann ist jetzt die Zeit, sie in Schuss zu bringen. Der Spindelmäher, der Vertikutierer und ein Gerät mit dem schönen Namen „Earthquake“, das den Boden so durchrüttelt, dass die Graswurzeln zum Tiefenwachstum angeregt werden, wodurch der Rasen insgesamt sehr herzeigbar wird.

Ludwig Schappelwein blickt mit einiger Zufriedenheit übers leere Pappelstadion, das ihm gar nicht so traurig vorkommt wie dem _hereingeschneiten Besucher, der das Stadion stets als Spiel- und nicht als Arbeitsplatz erlebt hat. Ein durchaus schöner Arbeitsplatz, immerhin verfügt er im Stadionbauch, unter der Tribüne, über ein eigenes Kaffeehaus. Hier verkehren die Aficionados, weshalb sich die Gespräche in der Hauptsache um die Hauptsache drehen: den Mattersburger Fußball.

Ludwig Schappelwein mischt sich in solche Gespräche selten ein. „Ich war kein besonderer Fußballfan.“ Der gelernte Schlosser erwarb 1985 die Hausbesorgerkonzession, machte sich selbstständig und kam so ins Fußballgeschäft, in das er „mittlerweile natürlich hineingewachsen“ ist. Auch bei Auswärtsspielen ist er mit dabei. Aber seine Aufmerksamkeit gilt dabei nicht nur der Mannschaft und ihrem Spiel. Sondern auch dem Gelände, dem Rundherum. Der Konkurrenz mit einem Wort. Man lernt ja nie aus.

So wie auch der Zuhörer, der in der naiven Vorstellung lebt, ein Stadion sei Arbeit genug. Ludwig Schappelwein und die Seinen wissen es besser. Denn zusätzlich zum Pappelstadion haben sie noch die Jugend- und Amateurplätze im nahen Krensdorf und Hirm und die Kabinen des Gymnasiumplatzes zu betreuen. Und demnächst wird die noch junge Fußballakademie Plätze für sich reklamieren. Fünf, schätzt der Stadionmeister, seien das Minimum. Auch die ressortieren dann bei ihm. So wie die bockige Fahnenstange. Die hat – das ALBUM war ja da und hat Zeit in Anspruch genommen – bis jetzt eine Gnadenfrist bekommen. Aber jetzt: „Jetzt gemmas an!“ (DER STANDARD PRINTAUSGABE 22.12. 2007)