Ins Hochland oberhalb von Kufstein führ keine Straße. Die Gasthöfe werben mit "abgasfreier Luft". Ob das so bleiben wird, wenn erst der Tunnel ins Tal geöffnet ist, bleibt abzuwarten.

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Das Kaisergebirge mit dem Wilden Kaiser.

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Kurz vor sieben am Abend sitzt ein gutes Dutzend Gäste in der Stube im Pfandlhof, als plötzlich das Licht ausgeht. Eine Laterne bewegt sich, ruhig wird's im Raum. Die erwartungsvolle Stille wird von sanften Stimmen unterbrochen: "Sing ma im Advent, trag ma Liacht in d'Wölt, stad und stüll. Sing ma mitanand', wia's der alte Brauch, werd' ma stad und stüll." Als es wieder hell wird, sind Hüte, Holzstöcke und Lodenumhänge zu sehen. Josef Schwaighofer, der Pfandlhofwirt, lässt den Sängern Bier ausschenken.

Seit den Morgenstunden sind die Jungbauern und Jungbäuerinnen von Ebbs am vorletzten Samstag vor Weihnachten unterwegs. Zum ersten Mal haben die fünf Männer und drei Frauen das Nebental zwischen Zahmen und Wilden Kaiser auf ihren Adventrundgängen besucht: "Brauchtum muss gepflegt werden", sagt einer der Burschen. Und: "Die Kaisertaler gehören ja auch zu uns."

Nach der kurzen Stärkung geht es in der Dunkelheit talauswärts. Mit Spikes an den klobigen Bergschuhen, den Stöcken und Laternen ist die knappe Stunde Gehzeit auf dem gefrorenen Schneeweg und vor allem der letzte Abschnitt über die lange Stiege sicher zu bewältigen. Erst am Ende der Stiege können die Bauern in ihr Auto steigen.

Abgestufte Mühsal

Keine Straße führt bisher ins Hochtal oberhalb von Kufstein, einer seit dem 19. Jahrhundert beliebten Wandergegend im bayerisch-tirolerischen Grenzgebiet. 285 Stufen aus Rundhölzern, links und rechts mit Holz- und Metallgeländer, müssen am Taleingang bewältigt werden, um die 200 Höhenmeter vom Inntal aus zu überbrücken: eine anstrengende Viertelstunde auf winterlichem Boden.

Dennoch wohnen hier Menschen das ganze Jahr. Seit Generationen. Jetzt sind es noch 32, viele leben von den Wandergästen, ein Vollerwerbsbauer ist darunter. Es gibt Internetanschlüsse, ganzjährig geöffnete Gasthäuser, asphaltierte Wege, Autos und Traktoren; aber keine Zufahrt, auf der man mit den kleinen Suzukis hierher fahren hätte können. Viele Jahre wurden die Geländewägen, die im Wald am oberen Ende der Stufen geparkt sind, mit der Materialseilbahn transportiert, mit der seit 1954 alles, was nicht in den Rucksack passt, befördert wird. Nachdem einmal ein Fahrzeug beim Transport nach unten gestürzt ist, werden die Autos, in Einzelteilen zerlegt, mühsam mit Seilwinden über die Stufen des "Kaiseraufstiegs" gehievt.

Im Sommer fährt die Materialseilbahn dreimal die Woche, im Winter nur am Montag und Freitag. "Wenn einer der Tage ein Feiertag ist", wenn wie heuer der Heilige Abend auf einen Montag fällt, "dann fährt die Bahn nicht", ärgert sich Hilde Schwaighofer, die Mutter vom Pfandlhofwirt. Sie ist mit 20, ein paar Jahre vor dem Seilbahnbau, ins Tal gekommen: "Ich hab die Zeit erlebt, als der Rotwein mit den Rössern gebracht worden ist." Sie ist froh, dass es nach einem halben Jahrhundert nun einfacher wird, Lebensmittel, Benzinkanister oder einen Kühlschrank herzubringen. "Wenn der Tunnel offen ist, kann man jeden Tag hinaus."

800 Meter lang wird die neue Zufahrt. Ab Mai 2008 soll sie befahrbar sein. Der Tunnel ist ein Kompromiss nach Jahren heftiger Auseinandersetzung. Vor allem der Österreichische und der Deutsche Alpenverein haben sich lange gegen eine Straße in das Tal gewehrt, das 1963 mit dem Kaisergebirge unter Naturschutz gestellt wurde. Die Alpenvereine hatten Unterstützung von der Stadt Kufstein, die den Kaisertalern vorschlug, eine größere Anrainerseilbahn zu bauen, mit der auch Autos befördert werden können. Aber die Talbewohner haben sich mit dem Hinweis auf menschliche Notfälle und mithilfe des Bürgermeisters von Ebbs, wozu das Tal politisch gehört, durchgesetzt. Dafür wird nun die einspurige Straße mit Ampelregelung aus Gründen des Landschaftsschutzes ins Berginnere verlegt und mit einer Schranke versperrt, zu der nur Talbewohner und Einsatzkräfte einen Schlüssel erhalten.

Mängel auf Rügen

Beate, Kellnerin beim Berghof Enzian, hofft, dann "öfter mal raus" zu kommen, mehr als einmal die Woche. Die Flachländerin von der Insel Rügen hat es im Juli 2006 hierher verschlagen. Zig Bewerbungen hatte sie verschickt, bis ihr jemand riet, es telefonisch zu versuchen. Drei Tage später stand sie 1200 Kilometer weiter südlich mit Rucksack und großem Koffer am Bahnhof Kufstein und wusste nicht wie weiter, als sie das Taxi vor dem Kaiseraufstieg aussteigen ließ. Eine Gruppe Jugendlicher hat ihr das Gepäck über die Stufen geschleppt. Sie hält es aus. "Lieber hier als Hartz IV."

Oft legt Patrizia, die in Ebbs wohnt und im Pfandlhof bedient, den Weg zurück. "Ich mag die Luft, das Licht, das immer anders ist." Heim geht sie manchmal spät. "Gestern ist es fünf Uhr früh geworden, nach einer Weihnachtsfeier."

Christian, der Briefträger, kommt jeden Tag, Montag bis Samstag. Bei jedem Wetter. Am Pfandlhof hängt ein Briefkasten, hier hinterlegt er die Post für alle Talbewohner. Bald wird er nicht mehr über die Stufen steigen, wenn mit der Tunnelöffnung Postkästen am Parkplatz vor dem Aufstieg montiert werden.

Die Gäste, viele Tagesausflügler aus Bayern, wären froh, wenn sich trotz Straße wenig ändert. Ein Ehepaar aus Rosenheim kommt "jedes zweite Wochenende", um zu wandern: "Wegen der Ruhe." Ein Pensionst aus dem Zillertal geht "jeden Sonntag" bis zur Antoniuskapelle, dem Postkartenmotiv des Tales: "Ich brauch das." Ob es so ruhig bleiben wird, ist die Frage.

Nicht nur im Alpenverein fürchtet man, dass sich die Schlüssel für die Schranke rasch vermehren könnten, dass bald auch Taxis, Jagdpächter, Lieferfirmen, Grundeigentümer - mehr als 200 - eine Genehmigung erhalten. Der Druck auf einen Ausbau des zwei Meter schmalen Weg durchs Kaisertal würde erhöht, eine Spirale in Gang gesetzt. Aber noch werben Homepages der Gasthöfe mit "abgasfreier Luft". (Benedikt Sauer/DER STANDARD/Printausgabe/22./23.12.2007)