Bild nicht mehr verfügbar.
Konsequent einmal pro Woche tritt Woody Allen mit seiner Dixieland-Band in einem New Yorker Club auf.
Man mag dieses herbe Mehrzweck-Ambiente vor allem mit Pop- und Unterhaltungsevents assoziieren. Manchmal geht es aber auch anders. Nachdem dort vor kurzem Ennio Morricone mit 200-Mann-Orchester, hochkomplexer Musik und konsequent mit dem Rücken zum Publikum demonstrierte, wie man sich hocheffektiv unterverkauft, bis 6000 Fans in Begeisterung ausbrechen, stand ihm am Sonntagabend ein weiterer weltberühmter Privatobsessionist in nichts nach: US-Starkomiker und Filmemacher Woody Allen, der seit Jahren konsequent behauptet, dass ihm der "wirklich große Film noch nicht gelungen" sei (worüber man spätestens seit Verbrechen und andere Kleinigkeiten oder Matchpoint streiten kann). Und der durchaus nicht untertreibt, wenn er sagt, es sei nur ein Hobby, wenn er als mäßig geübter Jazzklarinettist mit Dixieland-Band wöchentlich in einem New Yorker Club auftritt (sofern es derzeit Dreharbeiten in Europa erlauben) - dieser Woody Allen ging ebendiesem Hobby am Weihnachtsvorabend in Wien vor breitest denkbarem Auditorium nach.
Man muss sich das so vorstellen: Ein kleiner, unscheinbarer, und in all seiner (ostentativen) Unscheinbarkeit höchst auffälliger Mann genehmigt sich mit alten Kumpels eine Entspannungsübung, wird aber gerade beim Abtauchen ins Private besonders bejubelt. Friedfertiger, humaner, weihnachtlicher könnte die Botschaft nicht sein: Leute, vielleicht mache ich heute Fehler, und vielleicht bin ich in manchem wirklich nicht so gut, aber mir macht's Freude, und das könnte auch für euch genügen.
Produktiver Riss
Altersweisheit? Das System Woody Allen war seit jeher eines, das sich aus wiederholter Verweigerung von Virtuosität speiste. Egal, an welchem Punkt seiner Karriere man sich den 1935 in Brooklyn Geborenen in Erinnerung ruft, gibt es diesen produktiven Riss, der sich sehr eigen durch Leben und Werk zieht: Da wäre einerseits eine Hollywood-Karriere mit all dem Starkult und Skandalpotenzial, die dadurch konterkariert wird, dass Allen beim üblichen Oscar-Getöse nie mitmacht. Da wäre weiters das Motto: jedes Jahr ein Film, und sei es auch einmal ein minder dotiertes Projekt - in Zeiten, in denen selbst höchstdotierte Mainstream-Regisseure nicht immer wissen, wie und ob man Herzensprojekte wirklich realisieren kann.
Und da wäre der fanatische Cineast und Ingmar-Bergman-Fan Woody Allen, der auf die Verzweiflungskatastrophen des 20. und 21. Jahrhunderts bevorzugt mit Kalauern antwortet, "in dem Bewusstsein, dass nicht allein unsere Zeit auf Erden begrenzt ist, sondern dass die meisten Küchen um zehn schließen". Letztere Zeile stammt aus einer neuen Textsammlung des Meisters, seiner ersten seit gut 25 Jahren. Betitelt ist sie mit Pure Anarchie, und anarchisch ist sie vor allem einmal mehr in der Tendenz, dass sich einer wie Woody Allen einfach nicht mehr vorschreiben lässt, wann er jetzt wirklich witzig zu sein hat, und wann "geistreich", und wann nicht.
Am ehesten sind diese Geschichten, die fast durchwegs um zeitgenössische westliche Modewahnvorstellungen - von Esoterik über künstlerischen Marktwert bis hin zur Weltformel - kreisen, mit den frühen Satiren und Feuilletons von Tschechow aus dem Moskau des späten 19. Jahrhunderts zu vergleichen.
Stricken mit Luft
Es ist da nicht immer wesentlich, dass jede politische und soziale Absurdität gleich eine Pointe abwirft. Der Autor strickt gewissermaßen mit Luft, wie unheilschwanger oder bedeutungssüchtig die Atmosphäre sein mag, in der er das tut. Er setzt einen Tonfall, in dem die reale Komik ihre tragischen Aspekte nicht aus den Augen verliert. Das Ziel der Übung kann nicht "Gelingen" heißen.
Vielmehr geht es darum, sich jene vertrackte Ahnungslosigkeit zu bewahren, die einen vor einem leeren Blatt Papier trotz Schreibauftrag beschleichen mag, um dann selbst überrascht zu werden von Sätzen wie diesem: "Als ich am Freitag erwachte, brauchte ich, weil sich das Universum ausdehnt, länger als sonst, um meinen Morgenmantel zu finden."
Woody Allens Anti-Meisterschaft liegt seit jeher im Spiel mit richtigen und falschen Proportionen. Auf politisch korrekte Ansagen mit größtmöglicher Geschmacklosigkeit antworten. Große Philosophien und Erkenntnisse aufs Glatteis von Alltagsverhältnissen führen. Unter der Vorgabe von "Autorenkino" frühen Slapstick-Komikern nacheifern. Oder: als Hobbymusikant große Stadthallen füllen. Mit einem Starnamen einem großen Publikum zeigen, was geht, wenn man weniger großen Stars nacheifert.