Neue Medikamente müssen sich vor Zulassung in Doppelblindstudien gegen Placebos behaupten.

Grafik: MEDSTANDARD/Höfinger
Ferenc Puskas, der Kapitän der ungarischen Wunderelf, wusste es gleich nach dem Endspiel der WM 1954: Beim 2:3 gegen Deutschland konnte es nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Tatsächlich hatten die deutschen Fußballer vor dem entscheidenden Spiel Spritzen bekommen.

Traubenzucker statt Pervitin

Enthielten sie, wie das Magazin der Süddeutschen Zeitung kürzlich vermutete, das im Zweiten Weltkrieg massenhaft von Wehrmachtsoldaten geschluckte Aufputschmittel Pervitin? Wahrscheinlich darf man dem damaligen Mannschaftsarzt Franz Loogen glauben, dass in den Spritzen gar keine dopende Substanz, sondern lediglich verflüssigter Traubenzucker war. Rein pharmakologisch betrachtet hätte das nämlich ebenso gut oral verabreicht werden können, denn auch dann gelangt Zucker rasch ins Blut.

Doch Loogen ahnte, dass die gespritzte Form und die damit verbundene Geheimnistuerei den spielerisch unterlegenen deutschen Kickern helfen würde, ungeahnte Kräfte freizusetzen.

Placebo wirkt im Spitzensport

Dass der Placeboeffekt im Sport eine größere Rolle spielt als bisher angenommen, zeigt auch eine kürzlich in Turin durchgeführte Versuchsreihe. Der Neurologe Fabrizio Benedetti ließ seine Probanden mit einem Handexpander trainieren: Diejenigen, die zur Unterdrückung der Schmerzen Morphin bekamen, hielten erwartungsgemäß um fast die Hälfte länger durch als ungedopte Teilnehmer.

Doch auch als das Morphin vor einer späteren Trainingseinheit durch ein Placebo ersetzte wurde, hielt die Wirkung an. Anscheinend erinnerte sich der Organismus an die schmerzstillende Wirkung. Was wiederum nahelegt, dass mit in der Vorbereitung erlaubten Substanzen, die rechtzeitig vor dem Wettkampf ersetzt werden, ungestraft gedopt werden kann.

Konferenz der Placeboforscher

Dass dieses Schlupfloch von den Sportfunktionären bald geschlossen wird, erwartet der Tübinger Psychosomatiker Paul Enck. Enck war Mitorganisator einer Konferenz, die kürzlich im bayrischen Tutzing führende Placeboforscher aus aller Welt versammelte.

Wider die Skepsis

Die Einsicht, dass gute Worte zur Heilung beitragen, findet sich schon beim Philosophen Platon. Während Homöopathen und Heilpraktiker ganz auf die Karte des Vertrauens setzen, tun sich Schulmediziner schwer damit. Als Harry Beecher 1955 die erste wissenschaftliche Studie vorlegte, wurde der Placeboeffekt von vielen Ärzten belächelt. In den letzten Jahren hat seine Erforschung dank der modernen bildgebenden Verfahren rasante Fortschritte gemacht.

Nun lässt sich nachverfolgen, was wirkstofffreie Gaben im Hirn auslösen. Sie setzen Endorphine frei, die Schmerzen lindern helfen. Oder aber CRH (Corticotropin Releasing Hormon), das einerseits das Stresshormon ACTH abbaut und andererseits die Bildung des Steroids Kortisol auslöst, das den Zuckerspiegel und damit die Immunreaktion erhöht.

Heimliche Medikamentengabe

Es kommt aber darauf an, dass der Patient erfährt, wenn ihm etwas verabreicht wird und wogegen es helfen soll. Dass viele Medikamente wirkungslos verpuffen, wenn sie heimlich, etwa ins Essen gemischt, verabreicht werden, hat Fabrizio Benedetti nachgewiesen. Eine Behandlung wirkt umso eher, je mehr der Arzt an die Wirksamkeit glaubt. Patienten merken allerdings, wenn ihnen etwas vorgespielt wird, berichtete Ted Kaptchuk von der Harvard Medical School in Tutzing.

"Ich werde schaden", der Noceboeffekt

Auch der entgegengerichtete, sogenannte Noceboeffekt (nocebo, Lateinisch: Ich werde schaden) kann dann eintreten. Teilnehmer klinischer Studien müssen vorschriftsgemäß ausführlich über mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt werden und berichten, auch wenn sie reine Placebos erhalten haben, hinterher genau das, wovor sie gewarnt worden waren. Auch die Lektüre von Beipackzetteln und Ärzte, die sich abfällig über Medikamente äußern oder keine Zeit für Nachfragen haben, können negativ auf den Behandlungserfolg wirken.

Überraschende Wirkung von Oxytocin

Überraschend war in Tutzing laut Enck vor allem eine Studie von Harald Gündel aus Hannover mit Oxytocin. Das Hormon, das für seine wehenauslösende Wirkung bekannt ist, wirkt in der Muttermilch beruhigend auf das Baby, wird aber etwa auch beim Sex freigesetzt. Probanden, die zusätzlich zu einem Medikament Oxytocin erhielten, sprachen deutlich stärker auf die Behandlung an. Auch wenn sich der routinemäßige Einsatz des Hormons wegen seiner sonstigen Wirkungen gerade bei Frauen verbietet, ist damit laut Enck ein völlig neuer Ansatz offen. (Stefan Löffler, MEDSTANDARD, 24.12.2007)