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Stücke vom Ohr sollen ja, in der Silvesternacht oder am Neujahrstag verzehrt, besonders viel Glück bringen.

Foto: Reuters/Stringer

Die Sauschädel vom Schwein sind auch zum Verzehr freigegeben. Bei allen anderen Sauschädeln kann es durchaus als Tatbestand bewertet werden, sie beim Namen zu nennen. Obwohl: Wieso eigentlich? So eine Sau bringt Glück, und wieso irgendjemand beleidigt ist, zum Überbringer einer Frohbotschaft ernannt zu werden, ist schleierhaft. Egal: Das Schwein findet das Glück, weil es zielgerichtet vorgeht. Das Schwein ist völlig unsentimental, es schaut nie zurück. Es wühlt sich fressend linear in die Zukunft. Was einer solchen im Weg steht, wird vertilgt. (Wobei es schon bitter ist, für die Sau auf Erfolgskurs, dass auch ihr die vollständige Einlösung des Glücksversprechens versagt bleibt: Ist die unmittelbare Zukunft zu rosig, also albaweiß oder périgorddunkel, wird sie der Sau von gemeinen zweibeinigen Mundräubern entzogen).

Jedenfalls, viele Kulturkreise neigen dazu, sich bestimmte Eigenschaften Dritter auf dem Umweg über den Verdauungstrakt anzueignen: Wo bodenständiger Kannibalismus gepflegt wird, geht es meist darum, sich die Kräfte des Feindes vergnügt kauend einzuverleiben, die Christen stärken sich auf dem langen Marsch zur Transzendenz mit kleinen Bissen vom Leib Christi, den Germanen schmeckte der wilde Eber göttlich.

"Schwein gehabt"

Unter Weglassung aller spirituellen, esoterischen oder gar gesundheitlichen Aspekte bringt das Schwein seit Jahrtausenden vor allem deshalb Glück, weil sein Besitzer Fleisch hat, viel Fleisch und eine Menge Fett für bestes Schmalz. "Schwein gehabt" bedeutet also vorweg "satt". Und "Schwein gehabt" heißt auch, dass kaum etwas übrigbleibt, nicht einmal vom Schädel. Im Schweinskopf nämlich kulminieren die Aneignung von Glück und Kalorien. Um das auch auszudrücken, wird so ein Sauschädel auch festlich aufgeputzt, ehe er mitsamt den Ohren den Weg alles Essbaren geht.

Stücke vom Ohr sollen ja, in der Silvesternacht oder am Neujahrstag verzehrt, besonders viel Glück bringen. Wieso, ist nicht ganz klar. Vielleicht trifft ja auf jene, die den Knorpel tatsächlich runterbringen, das Sprichwort von den Glücklichen zu, denen die Welt gehört. Obwohl, dann müsste den Portugiesen immer noch die ganze Welt gehören: Die genießen Schweinsohren nach wie vor, und dies das ganze Jahr über. Immerhin mariniert.

Auf die Backen

Bei uns wird so ein Sauschädel in Wurzelsud langsam vor sich hin geköchelt, nachdem er zumindest eine Nacht lang gewässert wurde. Lustig aufgeputzt mit einem Apfel im Maul, Petersilienbüschel und/oder Karotten in den Ohren kommt er dann in der Silvesternacht auf einer rustikalen Holzplatte in die Mitte einer mit Messern bewaffneten angeheiterten Runde. Und alle stürzen sich – Vor- sicht! Jetzt auf die Finger aufpassen – auf die Backen. Profis wenden sich gleich dem gallertigen Rüssel zu (und machen sich dabei vielleicht zum guten Vorsatz, diesen im neuen Jahr endlich einmal auch in Scheiben geschnitten und paniert an ganz viel Senfsauce zu verkosten).

Dazu gibt es möglichst frisch gerissenen Kren, in bibelfesten Haushalten auch Linsen (jetzt ganz intensiv darüber nachdenken, wie der Esau das mit dem Hunger hingekriegt hat).

Wer nicht nur nicht ganz bibelfest, sondern auch nicht ganz so trinkfest ist, dem bleibt selbst im Verlauf einer Silvesterparty Alkoholisches über. Und womöglich ist eben der auch in jener Nacht zu müde, den Sauschädel aus dem Wasserbad in den Sud zu hieven. Kein Problem: Das mit dem Glück funktioniert auch noch am Neujahrstag. Also: Sofern es sich bei den Überbleibseln um Riesling oder gar Champagner handelt, können die – aber bitte entweder oder – mit in den Sud.

Sauschädelsuppe

Und überhaupt: Wer jetzt nicht unbedingt den ganzen Kopf der Sau von einer ländlichen Salomé am Holzbrett serviert haben muss, kann natürlich den Schweinskopf auch gleich zu einer Sauschädelsuppe verkochen und die vorher aufgesparten Backerln hinterher paniert verkosten.

Und zuletzt: Wer, wie etwa die Steirer, auch außerhalb der geschützten Werkstätte "Silvester" auf Jux und Tollerei mit Schweinsköpfen abfährt, der imitiere deren Brauchtum. Das geht so: Erfährt man von einer Hausschlachtung im Ort und ist zugleich ein junger Bauer, dann stehle man der hingeschiedenen Sau Schädel, schmücke ihn mit Buchsbaumzweigen und klage den Bestohlenen in einer Gerichtsverhandlung an, fahrlässig mit der Sau umgegangen zu sein. Unter Einnahme von viel Schnaps und Knopfharmonika wird der sich schuldig bekennen und den Sauschädel zum Verzehr freigeben. Rundherum wird dann getanzt. (Markus Mittringer/Der Standard/rondo/28/12/2007)