ModeratorIn: derStandard.at begrüßt Wolfgang Schüssel im Chat. Wir bitten die UserInnen um Fragen zum Thema Europa.

Wolfgang Schüssel: Hi, hoffe Weihnachten ist glücklich und ohne familiäre Probleme abgelaufen, bei uns war es jedenfalls so. Freue mich auf Ihre Fragen.

Haussalami: Wie beurteilen Sie die Europapolitik Ihres Nachfolgers Alfred Gusenbauer?

Wolfgang Schüssel: Kein Kommentar zum Nachfolger (eiserne Regel).

Manfred Bieder: Haben Sie den EU-Reformvertrag ganz gelesen? Wie lange haben Sie dafür gebraucht? Testfrage: Gibt es auf EU-Ebene die Möglichkeit für ein Bürgerbegehren

Wolfgang Schüssel: Nein, habe ich noch nicht ganz gelesen, weil die 350 Seiten englischer Text noch nicht eingelangt sind, aber die Änderungen, die in den letzten Monaten eingearbeitet wurden sind natürlich präsent. Neu ist im Vertrag ein sog. Bürgerbegehren, das ab 1. Mio. Unterschriften den Gesetzgebungsprozess der Union beeinflussen kann.

Der Weg zur Knechtschaft: Wie sieht Ihre weitere Karriereplanung aus? Haben Sie Interesse an einer Funktion innerhalb der EU oder bevorzugen Sie den Verbleib in Österreich?

Wolfgang Schüssel: Freiheit ist mir lieber - Ihnen doch auch. Bin und bleibe Klubobmann.

dce18eed-ee4b-4c1f-9678-f72f8a959d00: warum fehlen in europa basisdemokratische übergreifende mechanismen? warum ist z.b. ein europaweites referendum über wichtige, gesamteuropa betreffende fragen nicht möglich? und wenn es nicht möglich ist, warum macht man es nicht möglich?

Wolfgang Schüssel: Ist seit 10 Jahren eine österreichische Forderung, dazu müssten aber natürlich alle 27 zustimmen. Einige wollen das nicht, einige wie Deutschland können das nicht - das Grundgesetz lässt eine Volksabstimmung nicht zu. Irgendwann setzen wir es sicher durch - wie übrigens auch das Bürgerbegehren (eine österreichische-italienische Initiative).

blablabla blablabla: Sehr geehrter Herr Dr. Schüssel, wie ist es zu erklären das Deutschland als führendes EU-Land, die Verfassung nicht ratifiziert hat. (Bundespräsident hat seine Unterschrift nicht gegeben) und Österreich schon.

Wolfgang Schüssel: Die Unterschrift des deutschen Bundespräsidenten fiel genau in die Zeit nach dem frz. und nld. Referendum, daher wollte man einfach abwarten. Mehr steckt da nicht dahinter.

event14: Ab welchem Zeitpunkt waren Sie überzeugt von einem gemeinsamen Europa?

Wolfgang Schüssel: Ich habe immer an die europäische Einigung (mit Österreich) geglaubt. Meine erste Periode im Nationalrat habe ich im Waldviertel gearbeitet und habe hautnah die Probleme des eisernen Vorhangs mit Minengürtel, Maschinengewehrnestern und Grenzzwischenfällen erlebt. Das hat mich noch mehr überzeugt.

MyfairMister: Wie bewerten Sie die Rolle der Medien und in Österreich insbesondere der Kronen Zeitung in Bezug auf die Akzeptanz der EU in der Bevölkerung ?

Wolfgang Schüssel: Interessanterweise hat sich die Meinungslage der Österreicher nicht wesentlich verschoben. 1994 hat ein Drittel gegen den Beitritt gestimmt. Heute - so DER STANDARD - sind nur mehr 1/4 für den Austritt. Aber natürlich muss man die Bedenken, die viele Österreicher haben ernst nehmen und immer wieder neu argumentieren. Viele ältere Bürger sorgen sich um die Sicherheit, die Beschäftigungslage, die Globalisierung. Europa ist aber Teil der Lösung nicht des Problems.

BeltNiggaz: Warum stellt sich die ÖVP gegen eine Volksabstimmung hinsichtlich des "alten neuen Verfassungsvertrages", obwohl von namhaften Experten sogar die Meinung vertreten wird, dass es sich dabei um eine Gesamtänderung der Bundesverfassung handle und ein A

Wolfgang Schüssel: Alle bisherigen Verträge - Amsterdam, Nizza, Rom - wurden vom zuständigen Verfassungsorgan, dem österreichischen Parlament ratifiziert. So wird es auch diesmal sein. Wenn man den gewählten Volksvertretern das Recht abspricht, einen zweifellos wichtigen Vertrag zu beschliessen, dann stellt man auch ihre Fähigkeit in Zweifel, Pensionsreformen, Steuersenkungen oder Gesundheitsregelungen zu beschließen.

Gerhard Hudecek: Warum gelingt es aus Ihrer Sicht nicht, die EU-Skepsis vorallem der Österreicher zu reduzieren?

Wolfgang Schüssel: Weil zu wenige von Europa überzeugte Politiker bereit sind, über die großen Erfolge dieses Friedensprojekts zu reden. Weil vieles einfach selbstverständlich ist oder gar nicht bekannt. Wer weiß, dass die EU etwa die Handyauslandsgebühren deutlich gesenkt hat, gegen internationale Konzerne (Microsoft) Strafen in 100en Mio. Euro verhängt hat, für jeden europäischen Bürger konsularischen Schutz auf der ganzen Welt bietet...

minus maius: herr dr. schüssel, wie sehen sie die europäische union im gesamtkontext der weltpolitik im jahre 2050?

Wolfgang Schüssel: Bin ich ein Prophet?

Userfrage per Mail: UserInnenfrage per Mail: (Von Natasche Strobl) Welche Länder würden Sie sich in den nächsten Jahren in der EU wünschen?

Wolfgang Schüssel: Die Balkanländer.

Manfred Bieder: Am Tag der Schengen-Erweiterung haben einige Politiker (darunter auch der Innenminister Ihrer Partei) dafür gesorgt, dass das Thema Sicherheit den Freudentag überstrahlte. War es wirklich notwendig, von politischer Seite dermaßen auf die Boulevard-M

Wolfgang Schüssel: Schengen trägt ja gerade zu unserer Sicherheit bei. Bisher waren wir Außengrenze - 1300 km - und hatten die ganze Last zu tragen. Jetzt gewinnen wir eine Sicherheitspufferzone, die uns schützt. Z.B. werden 20 000 Grenzpolizisten neu die Außengrenze der EU schützen - in Polen, Slowakei, Ungarn und Slowenien. Das sind immerhin um 6000 mehr als bisher. Dazu kommt die Teilnahme am Schengen-Inforamtionssystem. Wir haben in den letzten Wochen deshalb schon 15 Verhaftungen in Österreich und 35 außerhalb Österreichs vornehmen können. Sicherheit und Schengen gehören daher sehr wohl zusammen.

Coldplay21: Sehr geehrter Herr Dr. Schüssel, wie sehen Sie die Chancen dafür, dass Europa gegenüber militärischen und wirtschaftlichen Größen wie den USA und China in Zukunft mehr mit geeinter Stimme als in der Vergangenheit auftreten kann

Wolfgang Schüssel: Europa soll keine militärische Supermacht werden. wohl aber sollten wir eine ganzheitliche Politik anbieten können - mit Diplomatie, Wirtschaftshilfe, Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen, Ausbildung von Polizisten und militärischer Friedenssicherung.

7a27d331-4269-40fd-8c93-fb923d5a9875: Warum sind Sie nach Ihrer dritten Wahlniederlage bei NR Wahlen nicht aus der Politik ausgeschieden? Hat dies den Grund, dass Sie noch in Europa Karriere machen wollen?

Wolfgang Schüssel: Kann mich eigentlich nur an 2 erinnern, 1995 haben wir ein halbes Prozent dazu gewonnen. Außerdem hat mich der Parteiobmann gebeten den Klub weiterzuführen, was ich gerne tue, zumal ich ja meine politische Arbeit im Parlamentsklub der ÖVP 1968 begonnen habe.

Paul Marwick: Warum wird innerhalb der EU so viel Lobbyismus betrieben. Man sieht alle wesentlichen Konzerne nach Brüssel maschieren, um dort Politiker zu beeinflussen oder zu kaufen.

Wolfgang Schüssel: Brüssel ist ein absoluter melting-pot. Dort fließen alle relevanten Informationen zusammen, dort werden etwa die Hälfte der Entscheidungen getroffen die für Österreich relevant sind. Und das ist selbstverständlich, dass sich daher jeder bemüht seine Positionen zu erklären und für sie zu werben. Seine Meinung bilden muss jeder Abgeordnete selber. Gekauft wird hoffentlich niemand.

Userfrage per Mail: UserInnenfrage per Mail: (Von Natasche Strobl) Sollte "Gott" in der Präambel einer etwaigen EU-Verfassung erwähnt werden? (Und würde das nicht das säkulare Prinzip zutiefst verletzen?)

Wolfgang Schüssel: Ich war immer dafür die christlichen Wurzeln Europas in einer Präambel zu erwähnen, weil das einfach zur europäischen Kulturgeschichte dazugehört. Ich habe mich nicht durchgesetzt.

Paul Marwick: In wie weit hat der 11. September Europa verändert!?

Wolfgang Schüssel: Sehr. Seit damals ist ein wesentlich kritischerer Blick auf bestimmte fundamentalistische Netze üblich geworden. Die Kooperation der Sicherheitsbehörden ist heute nicht annähernd vergleichbar mit 2001. Vergessen Sie nicht, dass Osama bin Laden noch vor einigen Jahren in London offen um Spenden für seine Ideen werben durfte. Gott sei Dank hat sich da manches wesentlich verbessert.

lewd da savage: Ist es so einfach möglich, zB. ein neues 'Polizeisicherheitsgesetz' in die Welt (Österreich) zu setzen, auch wenn dabei EU-Richtlinien mit Füßen getreten werden?

Wolfgang Schüssel: Ich wüsste nicht welche EU-Richtlinie mit dem Sicherheitsgesetz verletzt würde.

xEurocent: Schlittert die EU beim Thema Kosovo in die nächste Krise? Zypern wird die Unabhängigkeit doch niemals anerkennen, Spanien hat auch Bedenken. Damit hat die EU wieder mal keine einheitliche Linie und wir brechen nicht nur das Völkerrecht, sondern mach

Wolfgang Schüssel: Bis auf Zypern, das sich der Stimme enthalten hat, sind alle EU-Staaten beim letzten Außenministerrat einhellig dafür eingetreten, die Führung der zivilen Mission im Kosovo zu übernehemen. Für eine Anerkennung ist es noch zu früh, weil der Kosovo noch nicht seine Unabhängigkeit erklärt hat. Sollte dies der Fall sein, ist das Drehbuch aber bereits weitgehend akkordiert.

lewd da savage: Was halten Sie von einem EU-weitem, neuem 'Sicherheitspolizeigesetz'? Sollten nicht alle Bürger die EU die gleichen 'Rechte' haben?

Wolfgang Schüssel: Viele Dinge sind ja einheitlich geregelt - etwa der Datenaustausch, ebenso auch die Rechte der Bürger in der Grundrechtscharta (sobald der neue Vertrag in Kraft tritt). Andere Bereiche bleiben national oder einer Gruppe vorbehalten, die in Form einer verstärkten Zusammenarbeit enger zusammenarbeiten will (z.B. Österreich aufgrund des Prümervertrags mit 6 anderen Staaten).

Gerhard Hudecek: Sind Sie mit der aktuellen EU-Auspolitik bzw. der Wirksamkeit zufrieden? Wenn nein, welche konkreten Verbesserungsmaßnahmen würden Sie persönlich vorschlagen?

Wolfgang Schüssel: Die EU-Außenpolitik entwickelt sich schrittweise in die richtige Richtung. So ist etwa die erste österreichische Präs. 1998 mit der 2. 2006 überhaupt nicht vergleichbar. Hier hat Solana in Zusammenarbeit mit Ferrero-Waldner Pionierarbeit geleistet.

RebelAngel: Welches europäische Land hat die beste Regierung?

Wolfgang Schüssel: Das müssen die Wähler jedes Landes für sich selbst beantworten. Ich glaube, dass wir im schönsten Land Europas leben.

Jim Allin: Welchen der möglichen US-Präsidentschaftskandidaten würden Sie sich für die künftige Zusammenarbeit zwischen der EU und der USA wünschen?

Wolfgang Schüssel: Es mag Sie überraschen - ich denke, die amerikanische Außenpolitik wird sich nicht wesentlich ändern, gleich ob ein Demokrat oder Republikaner gewählt wird. Auch die Unterschiede zwischen Clinton und Bush waren nicht wirklich fundamental.

rudi derradiohund: Hand ans Herz - sagen Sie mir Ihre persönliche Meinung zum EU-Beitritt der Türkei?

Wolfgang Schüssel: Ich war immer für einen engen Vertrag zwischen der EU und der Türkei. Nicht für die Mitgliedschaft. Vor 2 Jahren war ich noch völlig alleine - heute sind einige wichtige Länder auf unseren Weg eingeschwenkt.

rudi derradiohund: Wieso schafft es die Bundesregierung nicht, den ÖsterreicherInnen besser die Vorteile des Reformvertrags besser zu vermitteln, als es die Kronen Zeitung schafft Panik zu verbreiten. Liegt es daran, dass die Regierung nur durch Streitereien in Ersche

Wolfgang Schüssel: Ich glaube an den kritischen Bürger der sich weder von Propaganda noch von Panik beeinflussen lässt. Ich bevorzuge ruhige, sachliche Informationen. Die EU hat uns 62 Jahre Frieden, eine beispiellose wirtschaftliche Erfolgsgeschichte ermöglicht. Gerade Österreich hat seit dem Beitritt enorm profitiert. Ich habe als junger Wirtschaftsminister mit 30 Mrd. Euro Exporte begonnen. Heuer werden wir fast 115 Mrd. exportieren. Nicht alles ist perfekt in der EU, aber eine bessere Alternative ist noch niemandem eingefallen.

PQS: In letzter Zeit häufen sich in Österreich die EU-kritischen Stimmen. Die Regierung scheint wenig zu unternehmen, um die Stimmung zu verbessern. Meinen sie nicht, dass es hier Versäumnisse gibt?

Wolfgang Schüssel: Viele, die mit der Entwicklung Europas einigermaßen zufrieden sind, drücken dies nicht eigens in Leserbriefen oder Wortmeldungen aus (was sie tun sollten). Wer kritisch ist, meldet sich häufiger zu Wort. Das ist Demokratie. Daher sollten Politiker öfter die Zusammenhänge erklären.

SCANone: Die Österreicher gelten EU weit eher als "Verzögerer" und eventuell sogar als Querolanten, sehen Sie das auch so?

Wolfgang Schüssel: Nein. Wir sind im oberen Drittel. Nützen die EU-Angebote perfekt - mit 2 % Bevölkerung bekommen wir 10% der Umweltförderungen. Wir sind Europameister im Exportzuwachs und bei der Biolandwirtschaft. Ursula Plassnik ist gerade in Fragen der Balkanpolitik oder der internationalen Frauennetzwerke eine gefragte Gesprächspartnerin. Bartenstein, der absolute Profi unter den Wirtschaftsministern, Platter mit Schäuble ein wirklicher Sicherheitsmotor.

SCANone: Macht Ihnen der starke EURO wirtschaftspolitisch Sorgen?

Wolfgang Schüssel: Bisher nicht. Der Euro ist mittlerweile ein starker Herausforderer für den Dollar geworden. 25% der Weltwährungsreserven werden in der europäischen Währung gehalten. Der Euro hat die Energiepreisanstiege gedämpft. Gefährlich erscheint mir die Inflationsentwicklung zurzeit.

jeff5: warum ist lt. eu-vertrag die atom-lobby gestärkt?

Wolfgang Schüssel: Der EU-Vertrag verändert nichts am Euratom-Vertrag. Gleichzeitig wird das Recht jedes Staates betont, seinen Energiemix selbst zu wählen. Dabei bleibt es.

Cauby Peixoto: Sehr geehrter Herr Dr Schüssel Würden Sie gerne das Amt des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik der EU ausüben? MfG

Wolfgang Schüssel: Nicht aktuell bis 2009. Dann wird ein großes Personalpaket mit Kommission, Ratsvorsitz und hohem Vertreter verhandelt.

ModeratorIn: UserInnenfrage per Mail: Sie haben sich vor kurzem kritisch zum Ablauf von EU-Gipfeln geäußert. Was stört Sie? Welche Verbesserungen schlagen Sie vor?

Wolfgang Schüssel: Meiner Ansicht nach sollten zumindest alle 2 Monate EU-Räte der Regierungschefs stattfinden. Das würde mehr Zeit für inhaltliche Aussprachen geben und den Charakter von mittelalterlichen Turnieren reduzieren. Die Besten europäischen Räte die ich erlebt habe, waren sog. "informelle" Räte, bei denen frei, ohne Tagesordnung und Manuskripte nachgedacht wurde, so ist etwa die europäische Energiepolitik entstanden.

SCANone: Würden Sie Serbien auch auf Kosten eines dann nicht unabhängigen Kosovo in der EU haben wollen?

Wolfgang Schüssel: Warum soll der Kosovo auf seine Unabhängigkeit verzichten müssen, um Serbien in die EU zu bringen?

Hannes Einheimler: Wie weit wird sich die EU max. ausdehnen können? Kann man in naher Zukunft das geographische Europa mit dem politischen Europa dann noch vergleichen

Wolfgang Schüssel: Die Grenzen im Norden, Süden und Westen sind durch die Meere bestimmt. Die europäische Grenze im Osten ist fließend - für die EU ergibt sich hier außerdem - durch österreichische Initiative - die Notwendigkeit der Aufnahmefähigkeit. Die ist mit dem Beitritt der Länder des Balkans sicherlich ausgeschöpft.

Der Weg zur Knechtschaft: Was würde die EU mit Mitgliedsstaaten machen, die langfristig und hartnäckig Vorgaben, Ziele und Spielregeln mißachten? Wäre auch ein Ausschluß dieser Staaten denkbar?

Wolfgang Schüssel: Es gibt im Vertrag festgelegte Sanktionen - und Rechtsmittel dagegen. Ausschluss gibts nicht, wohl aber freiwilligen Austritt von Ländern die die Spielregeln der Union nicht einhalten wollen/können.

rudi derradiohund: Würden Sie einen EU-Austritt in Erwägung ziehen, falls die EU Österreich wieder mit Sanktionen belegen würde, im Falle einer FPÖ-Regierungsbeteiligung?

Wolfgang Schüssel: Niemals. Wir haben im Jahr 2000 bewiesen, dass wir stärker als die sog. Sanktionen der anderen 14 Staaten waren.

Bernhard Cluny: Wie stehen sie zu einer gesamteuropäischen einwanderungspolitik und einer gesamt europäischen Asylgesetzgebung?

Wolfgang Schüssel: Das ist eine heikle Frage, weil sie an das Tabu der nationalen Souveränität rührt. Gemeinsam kann eine europäische Grenzsicherung sein (Frontex - z.B. Mittelmeer), gemeinsam sind die Standards der Grenzssicherung für Schengen. Hier hat die EU übrigens 1 Mrd. Euro in unsere Nachbarländer investiert. Die Frage, wer als Asylwerber aufgenommen wird, Aufenthaltsrecht und Arbeitsmöglichkeiten bekommt, soll weiter der nationalen Entscheidung vorbehalten bleiben.

ModeratorIn: UserInnenfrage per Mail: Soll nun die Türkei der EU beitreten oder einen anderen Status bekommen?

Wolfgang Schüssel: Schon beantwortet - eigener Vertrag, keine Mitgliedschaft.

rudi derradiohund: Wie stehen Sie zum Tschad-Einsatz? Warum spricht hier die Regierung mal wieder nicht mit einer Stimme? Die ÖVP tut so, wie wenn sie das nix angehe.

Wolfgang Schüssel: Wieso glauben Sie, dass hier unterschiedlich vorgegangen wird? Die Initiative kam von Verteidigungsminister Darabos, der Ministerratsvortrag wurde von der Außenministerin gemeinsam mit ihm vorgelegt und im Ministerrat einstimmig beschlossen.

C. Pragovic: s.g. herr schuessel, wie beurteilen sie die neuen abstimmungsmechanismen innerhalb der eu? - wird österreich dadurch aus ihrer sicht eher benachteiligt oder bevorzugt?

Wolfgang Schüssel: Der neue Vertrag bringt einige zusätzliche Mehrheitsabstimmungen. Halte ich für gut. Neu kommt die doppelte Mehrheit - d.h. 55% der Mitgliedsstaaten und 65% der Bevölkerung müssen zustimmen. Das begünstigt uns leicht gegenüber größeren Staaten.

SCANone: Werden Sie der nächste "hohe Gesandte"?

Wolfgang Schüssel: Nein, Solana bleibt.

ceiberweiber.at: Ist es nicht nach wie vor ein wenig so, dass PolitikerInnen in Brüssel anders agieren als dann zuhause, sodass Brüssel manchmal als Ausrede herhält, wenn etwas nicht umgesetzt wird, bei dem man aber mehr Spielraum hätte als man zugeben will?

Wolfgang Schüssel: Ich hoffe, dass Sie weder mir noch unserer damaligen Außenministerin diesen Vorwurf machen. Ich habe mich immer bemüht, zu Hause wie in Brüssel zu argumentieren und umgekehrt.

SCANone: Hätte es aus heutiger Sicht, Verbesserungspotential bei der österreichischen Rats-Präsidentschaft gegeben?

Wolfgang Schüssel: Wir haben die Präsidentschaft 2006 nach dem Urteil der anderen Mitgliedsstaaten und Institutionen der EU sehr gut bewältigt. Kleiner Buchtipp: Gerade ist von Gregor Woschnagg "Hinter den Kulissen" der österreichischen Präsidentschaft 2006 im Styria Verlag erschienen. Ein lesenswertes Buch für all jene die mehr über das Funktionieren diese sehr komplizierten Mechanismus wissen wollen.

Haussalami: Herr Schüssel, was wäre Ihr "Traumjob" in Europa?

Wolfgang Schüssel: Es gibt keine Traumjobs. Aber viel Arbeit und einiges, was Österreich in Europa einbringen kann.

Cauby Peixoto: s.g. herr dr. schüssel welche frage haben sie im chat vermisst und wie hätten sie diese beantwortet? mfg

Wolfgang Schüssel: Selber nachdenken.

Cauby Peixoto: S.g. Herr Dr. Schüssel! lesen Sie den STANDARD auch online (& postings)? mfG

Wolfgang Schüssel: Nein. Aber täglich den STANDARD.

ModeratorIn: Das war der Chat mit Wolfgang Schüssel. Vielen Dank für die vielen Fragen zum Thema Europa. Eine Abschlussfrage von derStandard.at: Sie waren nun nach 1999 zum zweiten Mal im Chat. Warum hat das solange gedauert? Hat sich im Laufe der Jahre Ihre Ein

Wolfgang Schüssel: Wahrscheinlich haben Sie mich nicht öfters eingeladen, aber ich hoffe es dauert nicht weitere 8 Jahre bis zum nächsten Tratsch!! Ich habe Internetgeneration nie abfällig verwendet, sondern als Bezeichnung für eine bestimmte Generation die damit aufgewachsen ist. Was ja nicht heißt, dass nicht auch ältere (wie sogar ich) damit umzugehen gelernt haben. Internet ist eine faszinierende Welt des Wissens, der Information, der Kommunikation - wenn man damit umgehen kann und weiß was man sucht und wofür mans braucht. Sonst droht man in der Flut der Informationen unterzugehen.

ModeratorIn: Auf Wiedersehen.

Wolfgang Schüssel: Ciao, hat Spaß gemacht und hat sich wohltuend in den Fragenstellungen von so mancher EU-Diskussion unterschieden, die ich erlebt habe. Guten Rutsch - nicht aus, sondern hinein ins 2008. ********************************************************* Fotos vom Chat unter http://derStandard.at/?id=3163480