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Das jährliche Rennen ums Neujahrsbaby? In Zeiten des Kaiserschnitts ein Thema des Timings.

Foto: AP/Michael Sohn
Hatten Sie so um den 9. April Sex? Ja? Dann können Sie, so der Akt nachhaltig war, vielleicht noch mitmachen beim Wettlauf um das Neujahrsbaby, bei den alljährlichen Termingeschäften in heimischen Kreißsälen, die heute Nacht mit den Schlägen der Pummerin entschieden werden - mit allen Manipulationsmitteln.

Nachhilfe

Dass Geburtswehen künstlich verstärkt werden, falls die Gebärmutterkrämpfe nicht zeitgerecht zum Erfolg führen wollen, ist dabei noch die geringste Nachhilfe. Wollen die Wehen überhaupt nicht termingerecht eintreten, werden sie vielerorts mit Medikamenten eingeleitet. Und dass der exakt getimte Jubiläumsnachwuchs der Mutter immer öfter herausgeschnitten wird, verwundert auch nicht. Nicht in dieser Nacht und auch sonst nicht. Denn die Sectio liegt weltweit voll im Trend.

Boom

In China kamen vergangenes Jahr 48 Prozent aller Neugeborenen per Kaiserschnitt zur Welt. In Deutschland waren es 28 Prozent, in der USA 22, in Japan neun. Und in Österreich zählten die Gesundheitsstatistiker 25,8 Prozent aller Kinder, die mit einer Sectio caesarea zur Welt kamen. Zehn Jahre davor waren es lediglich 13 Prozent.

Empfehlungen

Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt übrigens eine Sectiorate von zehn bis maximal 15 Prozent. Das umfasst all jene Fälle, in denen ein Kaiserschnitt Leben und Gesundheit von Mutter und Kind rettet. Der dem zuwider laufende weltweite Sectioboom halte aber dennoch an, vermuten Fachleute wie der Wiener Gynäkologe und Klinikchef Peter Husslein (siehe Interview unten), schon bald könnte die Rate auch hierzulande bei 50 Prozent liegen.

Doch welche Ursachen hat diese Entwicklung? Geld kann es jedenfalls nicht sein: "Vor einigen Jahren wurden bereits die Honorare vereinheitlicht. Wir zahlen heute gleich viel, egal ob es sich um einen Kaiserschnitt oder eine Spontangeburt handelt", erklärt Hermann Fried, Leiter der Krankenversicherung bei der Wiener Städtischen: "Aus pekuniären Gründen ist es deshalb sinnlos, irgendeine Art von Geburt zu favorisieren." Was aber sonst steckt dahinter?

Burgenländerinnen . . .

Zur Beantwortung dieser Frage hat der Standard die Kaiserschnittraten in den heimischen Krankenhäusern verglichen. Dabei traten massive Unterschiede zu Tage, nicht alle davon ließen sich aber schlüssig erklären. Dass das AKH in Wien mit 42,9 Prozent und die Uniklinik Innsbruck mit 39,1 Prozent die höchste beziehungsweise zweithöchste Kaiserschnittrate bundesweit haben, ist zwar logisch - Frauen mit Risikoschwangerschaften, die eher zu Sectios führen, bevorzugen große Spitzenhäuser. Der Umkehrschluss aber, dass Unikliniken immer hohe Kaiserschnittraten haben, ist falsch, wie die Grazer mit 28,6 Prozent zeigt.

Und warum österreichweit an dritter Stelle knapp hinter der Innsbrucker Uniklinik das burgenländische Krankenhaus Oberwart mit einer Sectiorate von 37,5 Prozent liegt, ist überhaupt ein Rätsel. Wenngleich - die Burgenländerinnen sind generell heimische Spitzenreiterinnen, wenn es darum geht, sich zum Entbinden unters Messer zu legen. Selbst im Spital mit der niedrigsten Sectiorate im Burgenland, den Barmherzigen Brüdern in Eisenstadt, werden noch 28,8 Prozent aller Babys per Kaiserschnitt entbunden.

. . . Spitzenreiterinnen

Das ist mehr als doppelt so viel wie im Spital mit der niedrigsten Rate Österreichs, dem Krankenhaus Oberndorf in Salzburg, das gerade einmal auf 13,8 Prozent kommt. Überhaupt tendieren die Salzburgerinnen am stärksten zur natürlichen Geburt. Salzburgs Sectio-Spitzenspital Mittersill es nur auf 24 Prozent.

Der Blick in die Daten liefert aber auch so manche Erklärung für die Unterschiede: Offensichtlich macht die Übung tatsächlich den Meister. Die Wiener Kliniken Rudolfsstiftung und Semmelweiß haben zusammen mit 4103 die meisten Geburten in Österreich, liegen mit einer Sectiorate von 19,2 Prozent aber deutlich unter dem Bundesschnitt. Und (abgesehen vom Sonderfall AKH) jene Wiener Spitäler, welche die wenigsten Geburten pro Jahr aufweisen, haben die höchsten Sectioraten - das Krankenhaus Hietzing mit 29,2 und das Hanusch-Spital mit 27,1 Prozent.

Übung macht aber nicht überall Meister. In Vorarlberg etwa liegt der Geburtenspitzenreiter Dornbirn mit einer Sectio-Rate von 23,4 Prozent auf Platz zwei hinter dem Spitzenspital Feldkirch (32 Prozent). Ähnlich ist die Situation auch in Kärnten: je mehr Geburten, desto mehr Kaiserschnitte.

Auch folgende Gründe dürften eine wesentliche Rolle für den Sectiotrend sein: Ärzte verlernen zunehmend, mit Problemgeburten umzugehen, aus rechtlichen Gründen wird sicherheitshalber sectioniert. Und das Alter der erstgebärenden Frauen steigt - somit die Tendenz zu Kaiserschnitten.

Top Ten

Die Top Ten der österreichischen Sectionierer sind jedenfalls nach Raten: AKH Wien (42,9), Uniklinik Innsbruck (39,1), KH Oberwart (37,5), LK Tulln (36), KH Oberpullendorf (35,5), LKH Deutschlandsberg (33,4), LKH Leoben (32,3), KH Klosterneuburg und BKH St. Johann (je 32,2), LKH Feldkirch (32). Und am wenigsten geschnitten, dafür am meisten natürlich geboren wird hier: LKH Rohrbach (16,9), Wiener St. Josefs KH (16,4) KH Schwarzach (16,3), KH Grieskirchen (16.2), KH Tamsweg (15,9), KH Hallein (15,7), KH Oberndorf (13,8). (Andreas Feiertag, Martin Rümmele, DER STANDARD, Printausgabe, 31.12.2007/01.01.2008)