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Georges Prêtre

Foto: REUTERS/Herwig Prammer
Ist er mit seinen 83 Jahren der älteste Debütant des Neujahrskonzertes, so muss man nach einer Begegnung mit Dirigent Georges Prêtre zwangsläufig zum korrigierenden Schluss kommen, dass es sich bei ihm in Wahrheit um einen sehr jungen Mann handeln muss.

Die Impulsivität der in ihren Facetten unerschöpflichen Gestik mit den abrupten Rhythmuswechseln; diese aus jeder seiner Erzählungen hervorsprudelnde unmittelbare Emphase nicht nur für die klangliche Seite des Lebens - sie weisen darauf hin, dass sich der 1924 in Waziers (bei Douai) geborene Franzose unendlich viel Energie und einen signifikant frischen Zugang zu den Dingen bewahrt hat.

Wenn man an seinen Spruch denkt - aus Anlass seines 80. Geburtstags getätigt -, wonach er eben nicht 80, sondern "8 x 10" geworden sei, will man darin denn auch eine Pointe erblicken, hinter der ernstgemeinte musikethische Erwägungen stecken.

Aus diesen ergibt sich logisch: Für Prêtre soll jedes Konzert in den Rang einer Neuheit erhoben werden. Für ihn ist eine gewisse Ungebundenheit wichtig, was ihn zum beliebten Ersten Gastdirigenten (auch der Wiener Symphoniker) gemacht hat, der zwar gerne intensiv und genau probt, das administrative Drumherum einer Leitungsposition allerdings nun gar nicht schätzte und schätzt.

Und: Es liegt ihm viel an der Frische der musikalischen Kommunikation. Sie läuft für ihn als magischer Prozess zwischen Dirigent und Orchester ab. Man habe Musik auf eine Ebene des Besonderen zu heben. Womöglich dorthin, wo Prêtre selbst war, nachdem er erfuhr, dass ihn die Philharmoniker eingeladen hatten, das Neujahrskonzert zu leiten - "im siebenten Himmel!"

Schon in den 1960er-Jahren hat man miteinander erste gute Erfahrungen gemacht. Trotz zu kurzer Proben. Da hatte Prêtre schon einiges hinter sich. Eine Ausbildung, während der er als Jazztrompeter Geld verdiente (an der Seite von Edith Piaf und Yves Montand). Aber er schrieb auch zwei Operetten unter dem Pseudonym "Dherian". Er wollte Komponist werden.

Geworden ist er dann aber auch einer der Lieblingsdirigenten von Maria Callas, Pilot und für kurze Zeit Chef an der Pariser Oper. Ein Job, den er bald aufgab, ob des enervierenden Kampfes mit den Gewerkschaften.

Ein erfahrener Mann. Einer, der, wie er meint, jedes Neujahrskonzert gesehen hat. Einer, der sich für einen Interpreten und nicht für einen Dirigenten hält. Letzterer schlage den Takt. Er habe dies, wieder so eine Prêtre-Pointe, zuletzt bei seiner Abschlussprüfung am Pariser Konservatorium getan. Die "Philis" stört das wenig. Im Gegenteil. Sie kennen Prêtres eigenwillige Zeichensprache und schätzen sie als Garant für aus Unberechenbarkeit geborene musikalische Ausnahmesituationen. (Ljubisa Tosic / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31.12.2007/1.1.2008)