Den Haag - Der Belgier Serge Brammertz hat am Dienstag das Amt des Chefanklägers am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) von Carla Del Ponte übernommen. Del Ponte, die dem Gericht acht Jahre lang vorsaß, hatte bei ihrer Abschiedsrede Anfang Dezember ihre Enttäuschung über die Bilanz der Arbeit des Tribunals kundgetan. Sie warf den serbischen Behörden vor, die Verhaftung der beiden Hauptverdächtigen für den Völkermord an den bosnischen Muslimen in der Enklave Srebrenica im Juli 1995, Ex-General Ratko Mladic und Ex-Serbenführer Radovan Karadzic zu hintertreiben. Brammertz war UN-Sonderermittler im Fall des ermordeten ehemaligen libanesischen Regierungschefs Rafik Hariri und stellvertretender Chefankläger beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (IStGh). Der 45-jährige Spezialist für Terrorbekämpfung soll bis 2010 alle Prozesse wegen Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien abschließen.

Nach dem Tod von Ex-Präsident Slobodan Milosevic kurz vor Ende seines Prozesses im März 2006 erlitt das Haager Tribunal einen schweren Rückschlag, da die Hoffnung, dass die politische Verantwortung für die Kriegsverbrechen in den Prozessen geklärt werden kann, schwand. Dem Gerichtshof gehören 16 von der UNO-Generalversammlung gewählte Richter an. Seit der Strafgerichtshof 1994 seine Arbeit aufnahm, wurden 161 Verdächtige angeklagt. Bisher kam es zu 51 Schuldsprüchen und fünf Freisprüchen. Neben Mladic und Karadzic sind auch der ehemalige Präsident der selbsternannten serbischen Republik Krajina, Goran Hadzic und der ehemalige Chef der Sicherheitsdienste in Banja Luka, Stojan Zupljanin flüchtig.

Zu den bekanntesten Untersuchungshäftlingen gehören der kroatische Ex-General Ante Gotovina, der Führer der serbischen Radikalenpartei Vojislav Seselj und der ehemalige Premierminister des Kosovo Ramush Haradinaj. Del Ponte hatte immer wieder kritisiert, dass im Fall Haradinaj Zeugen eingeschüchtert und ermordet wurden. Die Ex-Chefanklägerin hatte zudem stets die Zusammenarbeit mit dem Tribunal als Voraussetzung für weitere Schritte im EU-Integrationsprozess der betroffenen Balkan-Staaten eingefordert. (awö/DER STANDARD, Printausgabe, 2.1.2008)