Die Anzeige stand nun auf 20 Minuten für Rollstuhlfahrer

Foto: Rottenberg

Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war heute. Da stand ich ratlos an der Haltestelle und war erst beruhigt, als nicht nur Touristen die Stirn in Falten legten, sondern schräg hinter mir auch in urwienerischem Idiom die Frage zu hören war, was denn das nun wieder heißen solle. Und im selben Atemzug die Zurechenbarkeit der Wiener Linien in toto in Frage gestellt wurde. Und obwohl das Vokabular ein wenig derb war, war ich beruhigt: Nicht nur ich war mit dem, was die automatische Wartezeitanzeige anzeigte, überfordert.

Denn über meinem Kopf waren die Wartezeiten auf den D-Wagen und den 1er angegeben. Nur: So wirklich glauben wollte ich nicht, dass ich an einem normalen Werktag zu Mittag auf den nächsten D-Wagen ganze 23 Minuten warten sollte. Und auf den nächsten Ringwagen immerhin 18 Minuten. Aber das stand da so. Plus einem Logo, das mir neu war: Zwischen der Linienkennung und der Wartezeit war ein - vermutlich - sitzender Mensch abgebildet.

Sitzpause?

Ob die Wiener Linien damit wohl meinten: "Setz dich hin – oder geh ins Kaffeehaus" fragte die wienerische Stimme hinter mir just in dem Augenblick, als ich beschloss, genau das nicht zu tun: In 18 Minuten bin ich zu Fuß so ziemlich überall in der Innenstadt. So lange zu warten, dachte ich (und maulte der Wiener hinter mir) wäre eine Zumutung. Erst recht im Winter.

Doch als ich mich zum Gehen wandte, fiel mein Blick noch einmal auf die Tafel. Drei Minuten für den D, zwei für die 1 hieß es jetzt. Und das ohne Sitz-Logo. Ich blieb stehen. Und wartete. Denn auch wenn U-Bahn-Minuten (also jene Minuten, die von den Wiener Linien auf ihren automatischen Wartezeittafeln angegeben werden) dehnbar sind – mein persönlicher, handgestoppter Rekord war eine 197-Sekunden-Minute - ist das eine zumutbare Zeit. Außerdem wollte ich wissen, ob die Anzeige kaputt war. Oder ob da doch eine Störung vorlag – denn dann würde ja wohl gleich eine Durchsage kommen.

Kaputt?

Stattdessen sprang die Anzeige wieder: 21 Minuten – plus Logo. Und nach ein paar Sekunden wieder zurück. Die Touristen fragten einander, was das hieße – und wandten sich dann an den Wiener hinter mir. Der schnaufte nur. Er stieß einen Fluch los, verwünschte die Wiener Linien – und sagte: "Straßenbahn kaputt – müssen leider gehen." Dann drehte er sich um und stapfte davon.

Ich war verunsichert – und rief F. an. Schließlich ist F. kompetent: Er sitzt im Standard in der Wien-Redaktion. F. lachte: ja, das Logo kenne er. Nein, die Bim sei nicht kaputt. Die Anzeige auch nicht. Ganz im Gegenteil. "Das ist Service." Das Logo symbolisiere nämlich einen Rollstuhl – und die Zeit, die da angezeigt werde, sei eben die Wartezeit auf den nächsten "Ulf". Aber, setzte F. fort: "Außer ein paar Eingeweihten weiß das wirklich keiner. Wie auch?"

Service!

Die Anzeige stand nun auf 20 Minuten (für Rollstuhlfahrer). Mein D-Wagen fuhr in die Station ein. Es schneite, der Wind blies und mir war nach vier Minuten Warten schon kalt geworden. Ich stieg ein – und war eigentlich grantig: Die einzigen, die – vermute ich jedenfalls – das Logo auf der Anzeige kennen & richtig deuten können, sind die, für die es gemacht wurde. Rollstuhlfahrer also. Soweit so gut. Nur: wie man auf die Idee kommen kann, die Dokumentation eines unzumutbaren Zustandes für eine Gruppe ohnehin schon schlechtergestellter Menschen als "Service" zu verkaufen, erschließt sich mir nicht.

Aber vielleicht irrt sich F. ja. Und das "nächste berollbare Bim in einer halben Stunde"-Zeichen ist eh so gemeint, wie ich es verstanden habe. Als Frozzelei nämlich. Oder – wienerischer – als Chuzpe. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 3. Jänner 2008)