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Ahmed Chalabi: vor zwei Jahren politisch tot, jetzt als Wunderwuzzi im Irak zurück.

Foto: AP/Suemori
Etwas befremdet - aber es war nur eine Facette des Chaos bei der Veranstaltung - beobachteten die Gäste der konstitutierenden Sitzung des irakischen Parlaments in Bagdad Mitte März 2006, dass bei der Vereidigung der Abgeordneten auch einige Personen mitschworen, die den Einzug ins Parlament verpasst hatten: unter ihnen Ahmed Chalabi, Chef des Irakischen Nationalkongresses und Vizepremier jener Regierung, die die Iraker in die Wahlen von Dezember 2005 geführt hatte.

30.000 von zwölf Millionen Wählerstimmen hatte Chalabi erhalten: das endgültige politische Aus für den Mann, auf dessen nicht immer ganz sauberen Spuren die USA 2003 in den Irak gezogen waren. So dachte man wenigstens. Irrtum, heute ist er wieder da, als Wunderwuzzi der irakischen Regierung.

2005 hielt Ahmed Chalabi bei Umfragewerten, die ihn auf eine Stufe mit Saddam Hussein stellten. Im Irak hatte der umtriebige Doktor der Mathematik, der in Jordanien wegen einer betrügerischen Bankpleite in absentia zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, nie so recht die Beine auf den Boden gekriegt. Emigriert 1958, 2003 als Favorit des Pentagon zurückgekehrt: Ob er mit seinen Massenvernichtungswaffenstorys die Neocons in den Krieg getrieben oder ob er ihnen nur geliefert hatte, was sie sich sonst bei jemand anderem geholt hätten, darüber wird heute noch heftig gestritten.

Jedenfalls, die Iraker wollten ihn nicht. Die Amerikaner bald auch nicht mehr. 2004 führte die US-Armee Razzien in seinen Büros durch, er wurde der Spionage für den Iran verdächtigt und der Kollaboration mit antiamerikanischen schiitischen Kräften beschuldigt. Solange der - säkulare - Chalabi Mitglied der schiitisch-religiösen Liste UIA war, war sein Platz in der Politik gesichert, nach einem Krach mit der UIA trat er zu den Wahlen im Dezember 2005 allein an - die Stunde der bitteren Wahrheit.

Man konnte nur staunen über die Demontage eines Mannes, der von einigen als "George Washington des Irak" gesehen worden war. Auch Kanan Makiya, der die US-Kriegsentscheidung auf intellektueller Ebene entscheidend beeinflusste, hielt ihn für einen möglichen "irakischen Nelson Mandela". Heute - das "blame game" setzte 2006 ein - beschuldigt er Chalabi, am Abgleiten des Iraks mitschuldig zu sein: durch Chabalis Umwandlung des Entbaathifizierungskommittees in eine antisunnitische "Straforganisation", die den Aufstand anheizte, und weil Chalabi sich selbst den Schiiten anschloss und damit konfessionelle Politik betrieb.

Chalabi selbst nennt Paul Wolfowitz und das Pentagon als Schuldige - "sie haben gekniffen", zitiert ihn Dexter Filkis in einem New York Times-Artikel im Sommer 2006. Hätten sie sich getraut, 2003 den Irakern die Kontrolle zu übergeben, wäre alles anders gekommen.

Wie auch immer. Filkis fragt Chalabi, ob es nicht an der Zeit sei, seine Memoiren zu schreiben: "Zu früh", sagt dieser. Im Herbst 2007 dann die ersten Reportagen in US-Zeitungen: Ahmed Chalabi, der Mr. Fix-it des Irak, tourt durch Bagdad und lässt die Straßenlampen leuchten. Die Menschen applaudieren. Er hört sich ihre Sorgen an und sucht Abhilfe. Dass es nicht einfach nur Zeitungs-Spin ist, wird klar, als im Gespräch ein Kurdenpolitiker eher nebenbei anmerkt, dass der Chalabi noch was werden könnte, wenn die jetzige Regierung endgültig den Bach hinuntergeht.

Die Schlange am Busen?

Diese Regierung, das heißt Premier Nuri al-Maliki, ist es jedoch, die Chalabi zurückgeholt hat: zuerst als Chef eines Komitees, das öffentliche Unterstützung für den neuen Sicherheitsplan in Bagdad mobilisieren sollte. Als die sunnitische Tawafuq-Partei im Sommer die Koalition verlässt, wird die Leitung des Komitees für Dienstleistungen frei, dem bis dahin der sunnitische Vizepremier vorgestanden ist. Chalabi übernimmt sie.

Chalabi, der Lichteranzünder: Seine Feinde werfen ihm vor, dass nur die Selbstinszenierung zählt, dass er von den Leistungen anderer profitiert. Schon ruft er in einem BBC-Interview nach Neuwahlen (ohne zu sagen, wie er diesmal antreten würde). Nährt also Maliki eine Schlange an seinem Busen? Ein Mitglied des schiitischen Establishments dazu: Chalabi sei ein guter Verkäufer der Regierungspolitik, ein guter Organisator, ein guter Kommunikator - aber weder Iraker noch Amerikaner wollen ihn wirklich. Maliki bedient sich seiner, nicht umgekehrt. Das könnte noch spannend werden. (DER STANDARD, Printausgabe, 9.1.2008)