Österreichs bekanntester und beliebtester Literaturwissenschafter, Professor für Germanistik, bekennender Fußballexperte, streitbarer Intellektueller und nun endlich auch Wissenschafter des Jahres: Wendelin Schmidt-Dengler.

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Wendelin Schmidt-Dengler, Vorstand des Instituts für Germanistik und Leiter des Literaturarchivs der Nationalbibliothek, ist Österreichs Wissenschafter des Jahres. Ein Porträt des hochproduktiven Literaturwissenschafters als bekennender Fußballfan.

 

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Deutschland sei ihm wurscht, sagt Wendelin Schmidt-Dengler. Die Gleichgültigkeit des Professors für Germanistik an der Universität Wien hat freilich nichts mit seinem Fach zu tun, sondern betrifft allein die deutsche Fußballnationalmannschaft.

Wendelin Schmidt-Dengler ist nicht nur Österreichs bekanntester und beliebtester Literaturwissenschafter. Er ist auch der prominenteste Fußballexperte unter den Intellektuellen des Landes. Und vor allem: Er war es schon, längst bevor spätestens mit der WM 2006 - über die Schmidt-Dengler für den Standard regelmäßig schrieb - plötzlich alle möglichen Denker zum Thema Fußball etwas abzusondern hatten. "Vor zehn Jahren war ich noch allein auf weiter Flur - und am Fußballplatz", sagt der bekennende Rapidler, der den Grün-Weißen "auch bis in die Regionalliga" die Treue halten würde.

Ausgerechnet im Jahr zwischen einer Fußball-WM und der EM in Österreich wurde der heute 65-Jährige nun vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten zum Wissenschafter des Jahres gewählt. Und selbst die zahlreichen Gratulationen aus der Politik können nichts am Eindruck ändern, dass da jemand endlich mit jenem Preis ausgezeichnet wurde, den er sich längst verdient hat.

1942 in Zagreb geboren, ging Schmidt-Dengler unter anderem im steirischen Weiz in die Schule, ehe er an der Universität Wien die Fächer Latein, Griechisch und Germanistik inskribierte.

"Ich hätte auch gerne Mathematik studiert", sagt der Vorstand des Instituts für Germanistik auch mit Verweis darauf, dass die Geisteswissenschaften oft als die "Soft Sciences" abgetan würden. "Denn im Grunde haben unsere Fächer einen genauso harten Kern, verlangen eine beinharte Arbeit und auch entsprechende Exaktheit."

Schmidt-Denglers Hauptfach war zunächst die Klassische Philologie, in der er auch über Aurelius Augustinus' Confessiones promovierte. Dass es ihn im Anschluss daran nicht als Lehrer ans Gymnasium, sondern als Assistent ans Germanistik-Institut verschlug, sei Zufall gewesen. So habe sich dann Chance um Chance ergeben.

Auch seine Karriere als Literaturkritiker war nicht groß geplant, wie er sich in seinem charakteristischen, nahezu atemlosen, aber stets geistvollen Gedankenstakkato erinnert: "Man hat als Assistent nicht sehr viel verdient. Und beim Rundfunk gab es die Möglichkeit, für 600 Schilling eine Rezension zu schreiben und dann auch noch das Buch dafür zu kriegen."

Dass Schmidt-Dengler es in seiner nun rund vier Jahrzehnte währenden Laufbahn zu den produktivsten seines Faches gebracht hat, verdankt sich auch einem bis heute andauernden Arbeitsethos.

Täglich 80 Seiten

"Ich habe mir vorgenommen, täglich 80 Seiten zu lesen - die Hälfte Belletristik und die Hälfte Wissenschaft - sowie ein bis zwei Typoskriptseiten pro Tag zu verfassen. Da kommt man dann doch auf rund 500 geschriebene Druckseiten pro Jahr."

Die Spannbreite seiner Publikationen reichen denn auch von Horaz über Goethe bis zum neuen Roman von Michael Köhlmeier, den er nicht ganz so gelungen findet wie die meisten seiner Kollegen. Zudem ist er dann auch - noch für ein weiteres Jahr - als Leiter des österreichischen Literaturarchivs Herausgeber der Werke von Doderer, Herzmanovsky-Orlando und Thomas Bernhard. Dieser ist neben Nestroy auch sein erklärter Lieblingsautor. "Bei den beiden finde ich Trost, wenn es mir einmal nicht so gut geht."

Der andere Tröster ist der Fußball: "Das ist meine Befreiung vom Alltag. Und ich sehe mich ja auf dem Spielfeld mitlaufen." Für die EURO übt er sich in Zweckpessimismus, auch wenn das Wunder von Klagenfurt" natürlich denkmöglich sei.

Bleibt für den in Zagreb geborenen immer noch das kroatische Nationalteam als Ersatzhoffnung. Weil: "Deutschland ist mir wurscht." (Klaus Taschwer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9. Jänner 2008)