Wien - Viele Wirtschaftswissenschafter haben laut Falk Reckling vom Wissenschaftsfonds FWF in der Vergangenheit Österreich verlassen: "Der Brain Drain war hier weitaus dramatischer als in anderen Disziplinen." Jüngere Initiativen wie etwa ein Doktoratskolleg nach US-Vorbild lassen aber hoffen, so der FWF-Abteilungsleiter für Geistes- und Sozialwissenschaften.

Dass die Volkswirte an einigen Unis das richtige Rüstzeug mitbekommen, dafür spricht aus Sicht des FWF auch die Dominanz der Ökonomen unter den Geistes- und Sozialwissenschaftern bei Auslandsstipendien. Denn ohne gute Ausbildung als Doktorand fällt man bei den internationalen Begutachtern etwa der Schrödinger-Stipendien durch. Die Ausbildung "hat offensichtlich in den letzten zwei Jahrzehnten in einigen Fällen ganz gut funktioniert", lautet Recklings Fazit.

Doch viele junge Forscher, die über ein Stipendium ins Ausland gingen, kehrten nicht mehr zurück - "und zwar bei den Volkswirten im Vergleich zu anderen Disziplinen in einem noch stärkeren Ausmaß", so der Experte. Im FWF kennt man rund 30 arrivierte Ökonomen, die ins Ausland abwanderten. Darunter sieben Forscher, die den Sprung an US-Einrichtungen - etwa die University of Chicago und Stanford University - schafften.

"Platz zur Entfaltung"

Gerade in einigen Teildisziplinen der Wirtschaftswissenschaften sind laut Reckling österreichische Forscher ganz hervorragend. Prominentestes Beispiel sei Ernst Fehr mit seinem Forschungsgebiet der Verhaltensökonomie ("Behavioural Economics"). Der heutige Direktor des Instituts für empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Zürich ging 1988 mit einem Schrödinger-Stipendium an die London School of Economics. Zwar kehrte der Ökonom als Assistent an die Technische Universität Wien zurück, doch nicht für lange: Ein Angebot der Uni Linz schlug er aus. Mit dem gebotenen Gehalt von 45.000 Schilling (3.270 Euro) - kaum mehr als sein Assistentenverdienst - konnte der aufstrebende Forscher nicht aufgehalten werden. Fehr, der nach eigenen Worten das Offert "als große Frechheit" empfand, folgte einem großzügigeren der Uni Zürich. Hier fand er "mehr Platz zur Entfaltung", lukrierte Förderungen für seine experimentelle Forschung und hat heute eine Forschergruppe von rund 20 Doktoranden und Postdocs um sich.

"Fehr hat natürlich sehr gute Leute nachgezogen, die auch schon ihre Ausbildung an der Universität Wien genossen haben", sagte Reckling. Prominente Beispiele sind Simon Gächter, Georg Kirchsteiger und Arno Riedl, die nun alle Professuren in Europa haben. "Wenn die mir damals ein halbwegs anständiges Gehalt angeboten hätten, dann wäre ich in Linz gelandet", so Fehr über seine damalige Entscheidung gegenüber der APA: "Ob ich dann so erfolgreich geworden wäre, weiß ich nicht, da die Ressourcensituation an den österreichischen Unis viel schlechter ist als etwa in der Schweiz."

Fehr zählt laut dem FWF-Experten derzeit zu den weltweit sieben meist zitierten Wirtschaftswissenschaftern, er allein hat in den vergangenen zehn Jahren nahezu soviele Zitationen erzielen können wie alle österreichischen Wirtschaftswissenschafter zusammen. Ähnliche Spitzenpositionen nehmen u.a. auch Simon Gächter (Nottingham), Wolfgang Pesendorfer (Princeton) und Werner Ploberger (Rochester) ein.

Das Grundproblem liegt für Reckling im noch zu geringen Durchschnittsniveau der Wirtschaftswissenschaften in Österreich. Aufbauend auf einer besseren Nachwuchsausbildung liege das Niveau etwa in den skandinavischen Ländern, in den Niederlanden und in Israel viel höher. Neben dem Geld, das in die Grundlagenforschung fließt, spiele die Struktur eine genauso wichtige Rolle: "Es braucht eine gute und systematische Ausbildung, eine frühe Unabhängigkeit des Nachwuchses, attraktive Karrierewege wie ein Tenure-Track-System und natürlich auch die entsprechende finanzielle Ausstattung."

Hoffnungsschimmer für Rückbewegung

Gründe für die ausgeprägte Abwanderung von Forschern im Bereich der Wirtschaftswissenschaften sieht Falk Reckling vor allem in den "weitaus besseren Bedingungen", die etwa in den angelsächsischen Ländern vorherrschen. "Die Departments sind größer, es wird mehr Geld ausgegeben und es gibt attraktive, wettbewerbsorientierte Karrierewege", so Reckling. Die "dramatische Lage" beim Abwandern von Spitzenforschern habe sich aber etwas entspannt: "Es gibt einen Hoffnungsschimmer für eine Rückbewegung."

"Das Gehalt spielt eine wichtige Rolle für gute Leute", sagt auch der Ökonom Ernst Fehr - doch nicht ausschließlich: "Die Reputation der Uni ist ebenso wichtig, auch die Kollegen, etwa die Frage, wie kooperativ es an der Fakultät oder am Institut zugeht." In Europa fehle die kritische Masse. "Am MIT (Massachusetts Institute of Technology, Anm.) sitzen drei potenzielle Nobelpreisträger und zehn andere gute Leute. Die Diskussionskultur ist hier ganz anders", so Fehr.

Doch jüngere Entwicklungen in Österreich geben Anlass zur Hoffnung: So steht mit der Vienna Graduate School of Finance (VGSF) in Wien seit 2005 eine Graduiertenausbildung im Bereich der Finanzwirtschaft zur Verfügung. Entscheidend dafür verantwortlich war der Finanzökonom Josef Zechner, der nach acht Jahren an der University of British Columbia 1993 an die Uni Wien zurückkehrte. Zechner sowie der ebenfalls lange im Ausland tätige Finanzforscher Engelbert Dockner von der Uni Wien "waren die Katalysatoren, die andere Leute mit an Boot genommen haben, um ein vernünftiges Programm aufzuziehen", berichtete Reckling.

Nationales Forschungsnetzwerk

Solche Doktoratskollegs bieten laut Reckling eine Chance, die Ausbildung zu professionalisieren und letztendlich die Möglichkeiten zur guten Bezahlung zu geben. Zudem können jetzt junge Leute aus dem Ausland nach Österreich geholt werden.

"Ein anderes gutes Erfolgserlebnis" für positive Ansatzpunkte ist laut dem FWF-Experten ein nationales Forschungsnetzwerk, das im Bereich "Labour Economics" die besten Forschungsgruppen in Österreich zusammenbringt. Hier liegt das Zentrum im Wesentlichen in Linz. "Das Interessante dabei ist, dass sieben ehemalige Schrödinger-Stipendiaten daran beteiligt sind", so Reckling. Ein drittes Beispiel: In Innsbruck hat sich eine Gruppe von hauptsächlich jungen Forschern gefunden, die ihren Forschungsschwerpunkt auf "Behavioural Economics" legen.

Ganz allgemein darf bei der Abwanderungsproblematik laut Fehr eines nicht vergessen werden: "Es gibt keine andere Sozialwissenschaft, die so international ist wie die Ökonomie." So seien andere Disziplinen der Sozialwissenschaften weitaus weniger globalisiert. "Die Globalisierung erleichtert immer die Mobilität."

"Bis vor Kurzem hat der US-Markt so dominiert wie faktisch in keiner anderen Disziplin", so Reckling. Nun werden nach Beobachtung des Experten die Europäer stärker, "insbesondere in einigen neuen Teilgebieten". Dann sei auch zu erwarten, dass die Ab- bzw. Zuwanderung nicht mehr nur in Richtung USA verläuft. "Es ist zwar nicht so, dass US-Amerikaner so massenhaft nach Europa strömen werden. Aber für Forscher aus anderen Teilen der Welt könnte es attraktiver werden, in Europa zu bleiben." (APA)