Bagdad/Wien – Schneefall – so etwas kommt in Bagdad nur alle paar Jahrzehnte vor – und ein Durchbruch im irakischen Parlament, das nach längerer Zeit wieder einmal beschlussfähig war, weil genügend Abgeordnete erschienen: Am Samstag verabschiedete der „Repräsentantenrat“ eine Novellierung des Entbaathifizierungsgesetzes (die Baath war die Regimepartei unter Saddam Hussein). Für viele war es für den Aufstand und Bürgerkrieg nach 2003 mitverantwortlich, weil es frühere Parteimitglieder und deren Familien pauschal marginalisierte und kriminalisierte.

Es hat eineinhalb Jahre gedauert, das „Rechenschafts- und Gerechtigkeitsgesetz“ durchzubringen, das die USA als eine der Prüfmarken (benchmarks) auf dem Weg zur nationalen Versöhnung des Irak betrachten. Dahinter steht ein Paradigmenwechsel, der für manche Iraker nicht leicht mitzutragen ist, sehen sie doch ganz einfach nur „die Rückkehr der Baathisten“. Tatsächlich erlaubt das neue Gesetz, einer Klasse von Baath-Parteiangehörigen (Schätzungen sprechen von bis zu 30.000), die 2003 von ihren Posten in der öffentlichen Verwaltung entfernt wurden, wieder in den Staatsdienst zurückzukehren. Andere bleiben oder werden pensioniert, aber mit Ruhegehältern.

Für die einen geht das Gesetz zu weit, für andere nicht weit genug, beziehungsweise befürchten sie eine neue Pensionierungswelle im öffentlichen Dienst. Es herrscht auch einige Verwirrung über seine exakte Anwendung, dazu wird erst einmal eine Kommission eingerichtet (gegen deren Entscheidungen man berufen kann, auch das ist neu).

Damit ist also „Order Number 1“ Geschichte: US-Zivilverwalter Paul Bremer hatte das Entbaathifizierungsgesetz als seinen ersten Gesetzesakt 2003 erlassen. In seinen Memoiren („My Year in Iraq“) betont Bremer, dass ihm das Gesetz vom Pentagon-Untersekretär Douglas Feith fertig überreicht worden war und auf Wunsch von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld – der dabei mit dem irakischen Politiker Ahmed Chalabi zusammenarbeitete – „ohne Rücksicht auf administrative Schwierigkeiten“ umgesetzt werden musste.

Wer einem der obersten vier Parteiränge angehört hatte, wurde entfernt. Laut Bremer war damals auch der jetzige US-Botschafter in Bagdad, Ryan Crocker, involviert – der seit seinem Amtsantritt in Bagdad im Frühjahr 2007 starken Druck auf die Regierung des Schiiten Nuri al-Maliki machte, das Gesetz zu ändern.

Maliki hat an dem Gesetz schwer zu schlucken: Er war selbst früher Vorsitzender der Entbaathifizierungskommission. Bremer und andere US-Offizielle beschuldigen die Iraker beziehungsweise die Schiiten im Interimsregierungsrat (den Bremer 2003 eingesetzt hatte), und da besonders Chalabi, das Gesetz auf die Spitze getrieben zu haben und weit mehr Baathisten entlassen zu haben als nötig.

Nach dem neuen Baath-Gesetz bleiben weitere offene „benchmarks“: die Vorbereitung von Provinzwahlen, die Verfassungsrevision und das Ölgesetz. Ob der Gesetzesbeschluss die Rückkehr der 2007 aus der Regierung ausgeschiedenen arabischen Sunniten einleiten könnte, ist unklar. Beobachter sprechen überhaupt von anderen möglichen politischen Konstellationen in der Zukunft: Die Kurden sind unzufrieden mit Maliki, der ihrer Meinung nach das Referendum über die Zugehörigkeit von Kirkuk verschleppt. (Gudrun Harrer /DER STANDARD, Printausgabe, 14.1.2008)