Politologe Anton Pelinka: "Frau Winter ist heute sicher sehr glücklich."

Foto: Standard/Corn
Die Taktik der FPÖ ist aufgegangen, sagt Politologe Anton Pelinka im Interview mit derStandard.at. Die Freiheitliche Partei habe mit den beim FPÖ-Neujahrstreffen getätigten Aussagen das BZÖ im Grazer Gemeinderatswahlkampf "ausgestochen": "Es waren ziemlich dumme Äußerungen, die genau den Sturm provozieren sollten, den sie auch ausgelöst haben."

Im Interview erklärt Pelinka außerdem, warum Winter sich heute "auf die eigene Schulter klopfen" kann und er spricht über das "Schüren antimuslimischer Vorurteile" innerhalb der ÖVP und über die Islamophobie als Unterschichten-Phänomen. Die Fragen stellte Rosa Winkler-Hermaden.

****

derStandard.at: Beim Neujahrstreffen der FPÖ hat Susanne Winter, die Spitzenkandidatin der FPÖ bei der Grazer Gemeinderatswahl, Mohammed mit einem Kinderschänder verglichen. Natürlich hatte sie dabei die Gemeinderatswahl, die am kommenden Sonntag stattfindet, im Blickwinkel. Was wollte Sie mit ihrer Aussage erreichen?

Pelinka: Ihr Ziel war es, um jeden Preis aufzufallen. Das ist mit solchen Aussagen auch gelungen. Frau Winter ist heute sicher sehr glücklich. Sie wird sich heute selbst auf die Schulter klopfen und sagen, jetzt sind wir im Wahlkampf sehr gut, jetzt können wir noch mehr Stimmen gewinnen. Die Freiheitliche Partei hat damit das BZÖ ausgestochen. Für das BZÖ ist es unmöglich, noch eins draufzulegen.

Die getätigten, extremistischen Aussagen sind intellektuell natürlich absoluter Unsinn, aber politisch machen sie Sinn. Vorhandene Ressentiments werden gestärkt und für die Grazer Gemeinderatswahl instrumentalisiert. Es waren ziemlich dumme Äußerungen, die genau den Sturm provozieren sollten, den sie auch ausgelöst haben.

derStandard.at: Wie sollten andere Parteien auf Äußerungen wie jene von Susanne Winter reagieren? Besonders die ÖVP hat lange für eine Reaktion auf die Winter-Aussagen gebraucht. Bis zu Mittag hatte von Seiten der ÖVP nur der Grazer Bürgermeister Stellung bezogen.

Pelinka: Wenn ich an die Äußerungen des niederösterreichischen Landeshauptmannes Pröll("Artfremdheit der Minarette") denke, so geht das Schüren antimuslimischer Vorurteile sogar weit hinein in die politische Mitte bis zur ÖVP.

Ich möchte nicht zu viel hineininterpretieren, dass sich außer dem Nagl bisher niemand geäußert hat, aber es gibt natürlich - Stichwort Erwin Pröll - auch Politiker, die, ähnlich wie die freiheitliche Partei, glauben, im Wahlkampf antiislamische Ressentiments instrumentalisieren zu können.

Es gibt in der ÖVP aber diesbezüglich schon auch vernünftige Leute. Ich verweise an die Haltung des ÖVP-Bürgermeisters von Telfs in Tirol, der eine Gemeinde mit Minarett hat.

derStandard.at: Ist das Potenzial der islamophoben WählerInnen in Österreich größer als in anderen Ländern?

Pelinka: Es gibt in anderen Ländern ähnliche Phänomene. Nur setzt die freiheitliche Partei jetzt zum Vernichtungsschlag gegen das BZÖ an. Sie stiehlt dem BZÖ die Show. Zwischen ÖVP und FPÖ bleibt wenig Platz übrig für das BZÖ.

derStandard.at: Welche Gruppen sind für Islamophobie besonders empfänglich? Gibt es hier Ähnlichkeiten zum Antisemitismus?

Pelinka: Die Islamophobie ist in Österreich eher ein Unterschichten-Phänomen. Der Antisemitismus hingegen war, zumindest historisch, eher eine Sache der Bildungsschicht.

derStandard.at: Erinnert Sie die ganze Debatte an Jörg Haider und seine Angriffe auf Ariel Muzicant? Wo liegen die Unterschiede zur Situation damals?

Pelinka: Es gibt Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den anti-jüdischen und den anti-islamischen Äußerungen. Die Gemeinsamkeit ist natürlich, dass man ein Feindbild braucht, nutzt, instrumentalisiert, verstärkt, um zu mobilisieren. In einem Fall sind es die Juden, im anderen Fall die Muslime. Der Unterschied ist auch, dass in österreichischen Bildungsschichten offener Antisemitismus heute nicht mehr akzeptiert ist. Der Tabubruch ist stärker, während beim Anti-Islamismus die Tabuschwelle viel geringer ist.

Deshalb hat Susanne Winter besonders dick aufgetragen. Sich lustig machen über arabisch-türkische Namen reicht ja nicht. Da muss man kräftig hineinhauen um aufzufallen. Beim Antisemitismus muss man sehr differenziert argumentieren: Zwischen den Zeilen, wie das der Haider bei Muzicant gemacht hat.

derStandard.at: Sie haben es schon selbst erwähnt: Susanne Winter freut sich über das (Medien-)Echo zu ihren Äußerungen. Was wäre ein gangbarer Weg für die Medien, über die Ereignisse beim FPÖ-Neujahrstreffen zu berichten?

Pelinka: Ich sage das jetzt, obwohl ich weiß, dass das so nicht umsetzbar ist. Die Geschichte sollte nicht auf Seite 1 mit Schlagzeile veröffentlicht werden, sondern auf Seite 3 oder 8 oder wo auch immer. Die Überschrift sollte lauten: "Die FPÖ ist wiedereinmal sehr grauslich gewesen." Und dann könnte man kurz erwähnen, was die Frau Winter da gesagt hat, aber auch kommentieren: "Die Partei ist so wie sie ist, schrecklich und eine Schande." Und man sollte ihr nicht diese Bühne geben, die sie angestrebt hat.

derStandard.at: Heute Vormittag wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft im Fall Winter ermittelt. Es wird überprüft, ob der Tatbestand der Verhetzung erfüllt ist. Was glauben Sie?

Pelinka: Das kann ich schwer abschätzen. Aber es kann schon sein, dass ein Verfahren rauskommt. Die Winter wird sich dann als Märtyrerin der Meinungsfreiheit präsentieren. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 14.1.2007)