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„Man muss die Forschung an embryonalen Stammzellen fortsetzen“, fordert Shinya Yamanaka, der Entdecker der iPS-Zellen.

Foto: AP/Shizuo Kambayashi
Der japanische Shinya Yamanaka, der neue Weltstar der Stammzellenforschung, fordert auch für die von ihm entdeckten induzierten pluripotenten Stammzellen neue Rechtsvorschriften und dämpft die Hoffnung auf baldige therapeutische Anwendungen.

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Der Mann ist zurzeit der unumstrittene Weltstar unter den Stammzellenforschern. Shinya Yamanaka vom Institute for Frontier Medical Science an der Kioto Universität war es im Jahr 2006 erstmals gelungen, Hautzellen so zu „verjüngen“, dass Stammzellen entstanden.

Die Forschung reagierte auf die allzu fantastisch anmutende Entdeckung eher skeptisch. Doch mittlerweile ist es bewiesen: Die von Yamanaka erfundene Methode des Einschleusens von Retroviren macht es tatsächlich möglich, ausdifferenzierte Hautzellen zu sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) rückzuprogrammieren. Diese wiederum konnten die Forscher wie embryonale Stammzellen in Gewebe wachsen lassen.

Was zunächst nur bei Mäusen gelang, schaffte Yamanaka wie auch ein Team der US-Universität Wisconsin im November 2007 ebenso mit menschlichen Hautzellen. Der Clou an der Methode: Die iPS könnten das ethische Dilemma um die embryonalen Stammzellen beenden. Denn bei ihrer Gewinnung muss der jeweilige Embryo zerstört werden.

Die britische Wissenschaftszeitschrift Nature erklärte Yamanakas Entdeckung daraufhin zum wichtigsten Durchbruch des Jahres 2007; in der US-Zeitschrift Science wurde die „Reprogrammierung“ zum zweitwichtigsten Durchbruch gewählt, wobei womöglich auch ein gewisses Konkurrenzdenken der bis dahin unumstritten führenden US-Stammzellforschung bei der Nachreihung mitgespielt haben könnte.

Yamanaka darf seitdem jedenfalls als einer der heißesten Kandidaten für einen der nächsten Medizin-Nobelpreise gelten – auch wenn die Methode selbst noch verbessert werden muss, wie der Forscher im Gespräch mit dem Standard klarstellt: „Aus der Gentherapie wissen wir, dass Retroviren Krebs auslösen können. Unser Traum ist es daher, in Zukunft ohne Gentransfer auszukommen.“ Wenn der Gentransfer vermieden werden könnte, so Yamanaka weiter, würde die Anwendung der neuen Methode in der klinischen Therapie erleichtert werden.

Das scheint nicht ganz utopisch, zumal den Forschern in den wenigen Monaten seit der Bestätigung der Entdeckung schon ein wichtiger Fortschritt gelungen ist: Bisher war von den vier Genen, die zur Modifikation der Hautzelle übertragen wurden, eines ein Krebsgen. Inzwischen kommen die Stammzellpioniere ohne dieses Gen aus.

Auf die Frage, ob die Entdeckung der iPS die Forschung an embryonalen Stammzellen erübrige, zeigt sich Yamanaka hingegen einigermaßen abwartend bis skeptisch: „Ich denke nicht, dass wir auf diese Forschungen verzichten können. Denn bisher können wir noch nicht mit Sicherheit behaupten, dass sich iPS-Zellen identisch wie Stammzellen oder sogar ,besser‘ verhalten.“ Man müsse daher die Forschung an embryonalen Stammzellen fortsetzen, um vergleichen zu können.

Nicht zu vergessen sei aber auch noch ein anderes wichtiges forschungspolitisches Argument: „Wir konnten die iPS-Zellen nur auf der Grundlage der embryonalen Stammzellenforschung entwickeln.“

Neue Rechtsvorschriften

Zugleich warnt der japanische Forscher auch davor, dass die iPS ethisch völlig unbedenklich seien – Stichwort Totipotenz: „Obwohl es sich bei den iPS-Zellen nicht um menschliche Embryonen handelt, können sich daraus möglicherweise Samen- und Eizellen herstellen lassen.“ Bisher sei das zwar noch nicht gelungen. Aber weil nun so viele Labore daran forschen, könnte es schnell einen Durchbruch geben. „Natürlich könnte dies sinnvoll eingesetzt werden, zum Beispiel für die Behandlung von Unfruchtbarkeit“, so Yamanaka. „Aber es kann auch missbraucht werden. Ich denke daher, dass wir für diese Fälle dringend neue Rechtsvorschriften brauchen.“

Was den Einsatz der Methode zu therapeutischen Zwecken betrifft, will der Forschungspionier jedenfalls nicht zu viel versprechen: „Das ist die schwierigste Frage. Ich muss vorsichtig sein, keine falschen Hoffnungen zu wecken.“ In erster Linie hänge es von den Krankheiten ab, so Tawanaka. „Für einige Krankheiten wird es noch zehn Jahre dauern, für andere länger.“ Für toxikologische Untersuchungen oder Medikamentenentwicklungen sei die Methode schon heute verwendbar.

Noch skeptischer reagiert er auf die Frage, ob man durch die Entdeckung der iPS-Zellen in ferner Zukunft kranke Menschen mit Gewebe und Organen aus eigenen Zellen behandeln werde können. Yamanaka meint, dass die auf jedes Individuum maßgeschneiderte Medizin in der Realität wohl eine Utopie bleiben werde. „Denn der Prozess ist erstens so teuer, dass nur sehr reiche Menschen ihn sich leisten können und keine Normalbürger wie ich. Zweitens dauert er noch zu lange.“

Im Moment wird nämlich noch rund ein Monat für den ersten Prozessschritt benötigt, ein weiterer, die Zellen zu vermehren und ein dritter, um sie zu Gewebe zu differenzieren. Im Falle einer Rückenmarksverletzung würden neue Zellen innerhalb von zehn Tagen benötigt werden.

Große Erleichterung

Dabei ist die Forschung an den iPS-Zellen im Vergleich zu den embryonalen Stammzellen jetzt schon eine große Erleichterung: Die Forschung an iPS-Zellen beruht nämlich auf vergleichsweise einfacher Zell- und Molekularbiologie. „Man braucht keine besonders teuren Anlagen“, so Yamanaka. „Daher forschen mehr Labore daran. Das ist für mich sehr stressig. Aber es ist sehr gut für die Patienten, weil sich so der Entwicklungsprozess beschleunigt.“ (Martin Koelling aus Tokio/DER STANDARD, Printausgabe, 16.1.2008)