Berlin/Wiesbaden - Harte Strafen für jugendliche Kriminelle fordert der wahlkämpfende, hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Zu drastischen Mitteln in der Kriminalitätsbekämpfung greifen die Behörden aber jetzt schon in seinem Bundesland. Weil man in Hessen nicht mehr wusste, wie man mit einem besonders gewalttätigen 16-Jährigen umgehen soll, schickte das Jugendamt im Landkreis Gießen diesen nach Sibirien.

"Die Ultima Ratio, der einzige Weg", sei diese Entscheidung gewesen, sagt Stefan Becker, Jugend- und Sozialdezernent des Landkreises. Der junge Mann habe in Hessen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie immer wieder seine Betreuer und auch seine Mutter angegriffen. Mehrere Psychologen hätten daraufhin zur Reise in den Osten geraten. Becker: "Das ist für ihn die letzte Chance."

Neun Monate soll der Aufenthalt im 5000-Einwohner- Ort Sedelnikowo hinter dem Ural dauern. Die Hälfte davon hat der Gast aus Deutschland bereits hinter sich, wobei Becker betont: "Das ist keine Art der Sanktionierung, sondern eine erlebnispädagogische Maßnahme." Und diese sieht so aus: Bei minus 30 Grad Celsius musste er zunächst selbst ein Plumpsklo im Garten ausheben. Zur täglichen Arbeit gehört auch Holzhacken zum Heizen, sonst bleibt die Unterkunft kalt. Es gibt kein fließendes Wasser, von Fernsehen und Internet gar nicht zu reden, der Weg in die Schule ist 2,5 Kilometer weit.

In dieser "reizarmen" Umgebung soll der junge Hesse lernen, sich auf seinen Betreuer zu konzentrieren und Aggressionen in den Griff zu bekommen. Sowohl seine Mutter als auch er selbst haben dem Aufenthalt in Sibirien zugestimmt, der das Land Hessen nach Angaben der Bild-Zeitung nur ein Drittel eines deutschen Heimplatzes kostet.

600 junge Intensivtäter waren 2006 laut Arbeitsgemeinschaft für Kinder und Jugendhilfe in Projekten außerhalb Deutschlands untergebracht. Die Maßnahmen sind nicht unumstritten. Kritiker werfen Jugendämtern vor, sie würden die Jugendlichen kostengünstig abschieben. Für Schlagzeilen sorgte 2004 ein 14-jähriger Deutscher, der in Griechenland seinen 63-jährigen Betreuer mit einem Bolzenschussgerät getötet hat. (bau/DER STANDARD, Printausgabe, 18.1.2008)